Julia Willie Hamburg: Rede - Erwiderung zur Regierungserklärung „Ein neuer Alltag in Zeiten von Corona – Perspektiven für den Umgang mit dem Virus

Anrede,

wir sind weiter als vorher, reden wir nun wenigstens über einen Plan.

Herr Ministerpräsident Weil, Ihre abwägenden Worte treffen die Herausforderungen der Zeit, nämlich einen Spagat zwischen Bedürfnissen nach Lockerung, Bedürfnissen nach Entlastung und wirtschaftlicher Sicherheit und dem Bedürfnis Todesfälle zu vermeiden.

Aber warum beteiligen Sie bei solchen großen Fragen nicht das Parlament? Gehören nicht die Entscheidungen über solch schwere Eingriffe hier in das Parlament? Warum beteiligen Sie nicht den Ethikrat oder einen gesellschaftlichen Beirat?

Wo und mit wem stellen Sie den Plan auf? Wer hat die Kriterien festgelegt? Volkswirte, Virologen oder war das im Ermessen der jeweiligen Ministerien?

Weitere Öffnungsschritte sind große Schritte, bei denen wir nur schwer nachvollziehen können welche Auswirkungen sie am Ende haben werden

Sie haben gesagt, Sie wollen nicht deutscher Lockerungsmeister werden, sind aber als erster mit einem eigenen Stufenplan vorangeprescht und ausgeschert.

Ich rate Ihnen, wählen Sie die nächsten Schritte behutsam. Wenn selbst ein Virologe wie Kekulé sagt ihm wird angst und bange bei der Schnelligkeit, obwohl er sich eigentlich selbst für Lockerungen ausspricht, sollten wir das Mitführen bei jeder Überlegung über weitere Lockerungen, die wir tätigen..

Gleichzeitig wissen wir, dass die Kommunen extrem belastet sind. Wie sollen Gesundheits- und Ordnungsämter all die Unternehmen, die Gaststätten, Schulen, Kitas und Spielplätze im Blick behalten, ohne mehr finanzielle und personelle Unterstützung?

Da werden Kommunen an Grenzen stoßen, das müssen wir im Blick haben.

Herr Ministerpräsident Weil, ich rate Ihnen: Weiten Sie den Blick bei den Maßgaben für Lockerungen. Die Infektionsvermeidung muss weiterhin das A und O der Entscheidungen sein.

Ein zweiter Shutdown muss vermieden werden, denn sonst sinkt die Akzeptanz der Maßnahmen.

Ihr Plan hat drei Webfehler:

Er verpasst die Chance auf eine wirkliche neue Realität und darauf, neue krisenfeste Wege zu gehen.

Wo sind die Förderlinien für Innovation, Digitalisierung von Unternehmen, Geschäften und sozialen Einrichtungen? Denn damit könnten wir Kontaktvermeidung organisieren.

Bei einem zweiten Shutdown müsste nicht alles runtergefahren werden, einiges könnte im Behelfsmodus weiterlaufen, weil wir eine krisenfeste Perspektive haben und nicht eine Perspektive nur auf Zeit.

Ein Satz zur Öffnungsdebatte in der Bundesliga: Die Quarantäne konnte gar nicht eingehalten werden, weil der Spielbetrieb schon wiederaufgenommen werden sollte. Es werden Testkapazitäten für die Bundesliga reserviert und in Pflegeheimen wird immer noch nicht getestet, das versteht kein Mensch.

Der zweite Webfehler ist die Sozialpolitik

Sie reden von Zusammenhalt, aber soziale Einrichtungen, Jugendarbeit, Behindertenwerkstätten kommen nicht vor.

Sie können Kitas und Schulen nicht komplett öffnen, Betreuungsgemeinschaften, Ausweitung der Notbetreuung, Öffnung der Spielplätze aber sind wichtige Schritte.

Aber wo ist die Perspektive für die Menschen, die davon nicht profitieren?

Wo bleibt der Einsatz für ein Corona-Elterngeld: 50 Prozent der Eltern betreuen ihre Kinder zu Hause und haben keine finanzielle und wirtschaftliche Absicherung und sind stark belastet auch von Ängsten.

Vielen Kindern fehlt ein warmes Mittagessen, weil es in der Kita und der Schule die einzige warme Mahlzeit gab. Wo bleiben Modelle wie in Hamburg, wo Essenspakete verteilt werden?

Das machen Kommunen eigenständig und die haben ohnehin schon kein Geld. Dafür braucht es einen kommunalen Rettungsschirm.

Wo sind die Antworten für die Kinder, die benachteiligt sind. Wo sind Antworten für die Digitalisierung und die Unterstützung für finanzschwache Familien, die sich nicht drei Laptops für die Schularbeit zu Hause leisten können.

Damit sollten sich die Lehrkräfte beschäftigen, anstatt Nachprüfungen zu organisieren und den Abstand zwischen den Tischen zu messen.

Sie bleiben Antworten für soziale Träger schuldig, Herr Ministerpräsident. Wir müssen den sozialen Zusammenhalt erhalten und stärken. Auch für die Kommunen und Kulturschaffenden braucht es hier Antworten.

Verschwörungstheoretikern begegnet man nicht durch Erwiderung, sondern durch Maßnahmen. Für den sozialen Zusammenhalt braucht es einen Plan.

Die Situation in den Schlachthöfen, für die Saisonarbeiter*innen und die Unterbringung in den Massenunterkünften ist nicht haltbar. Wir wissen seit 2013 wie die Zustände sind. Sie haben sich das selber angesehen und passiert ist nichts. Sie sind sehenden Auges in eine Situation gegangen, in der Infektionsherde entstehen und Menschen ohne Not, die eh schon unter prekärsten Bedingungen arbeiten hier auch noch mit dem Covid-19-Virus gefährden. Das ist nicht zumutbar.

Und wenn man sich die Infektionssschutzvergehen bei Amazon in Harburg anschaut, müssen wir uns fragen, ob es nicht der Niedrigslohnsektor ist, der unter die Räder gerät, weil die Ordnungs- und Gesundheitsämter nicht in der Lage sind, ausreichend und ordnungsgemäß zu kontrollieren.

Wenn Grüne und FDP sich einig sind und dann noch die Wirtschaftsweisen zustimmen, wie können Sie denken, dass eine Abwrackprämie VW voranbringt? Dafür braucht es andere Lösungen.

VW muss sich neu aufstellen, wir brauchen eine Transformation.

Corona-Krise trifft zusätzlich hart, wir brauchen keine Anreizprämie, VW muss unterstützt werden bei der Transformation zu einem Mobilitätsdienstleister. Wichtig sind Angebote, die mit Zukunftsthemen vereinbar sind, gerade in der Krise.

Wir haben dazu Anträge eingebracht für E-Taxen, für den Logistikbereich zur Entwicklung von klimaschützenden Mobilitätskonzepten.

Umweltminister Lies hat gestern im Interview gesagt: Der Umweltschutz ist durch Corona kein Thema mehr. Herr Lies, ganz ehrlich, wenn ich Ihnen das als Grüne Oppostionspolitikerin sagen würde, weil Sie immer noch kein vernünftiges Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht haben, ist das nachvollziehbar. Aber Sie sind Umweltminister. Sie müssen das Thema auf die Agenda setzen und vorantreiben. Das wäre Ihre Aufgabe.

Und dann habe ich die aktuelle Stunde der SPD gelesen und die heißt „Pandemie und Klimawandel – Weichen für Katastrophenschutz stellen“ und dann wurde mir klar: wenn Ihre Fraktion vor allem Symptombekämpfung betreibt und gar nicht mehr an die Ursachen rangehen will dann habe ich Ihren Aufschrei verstanden. Und ich kann Ihnen sagen, wir werden gemeinsam mit Ihnen an einem Strang ziehen gegen die Klimakrise und für eine Energiewende.

Das tun wir am besten mit einem Konjunkturprogramm nach sozialen und ökologischen Kriterien durch Zukunftsinvestitionen. Wir haben massiven Investitionsbedarf in vielen Bereichen: Digitalisierung, Energiewende, Mobilitätswende, Agrarwende. Hier Investitionen anzukündigen und vorzubereiten, das wäre jetzt Ihre Aufgabe. Das nicht zu tun ist Ihr dritter Fehler.

Wenn sie sich jetzt noch entscheiden das Parlament zu beteiligen, dann kann das für Niedersachsen richtig gut werden und wir stehen dafür bereit uns an den Beratungen konstruktiv zu beteiligen.

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