Volker Bajus: Rede zur Kinderrechten und Kinderbeteiligung (TOP 6/7)

 

Top 6 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in der Niedersächsischen Verfassung und
Top 7 Kinder an die Macht“ - Partizipation von Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen systematisch weiterentwickeln und stärken

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

sehr geehrte Damen und Herren,

Zu Beginn der Corona-Pandemie vor einem Jahr sind die Interessen und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen als erstes unter die Räder gekommen. Kitas, Schulen, Jugendzentren – alles zu. Jugendarbeit eingestellt. Der Öffnungsplan im Frühjahr hatte für alle gesellschaftlichen Gruppen was dabei – nur für Kinder- und Jugendliche nicht.

Kommerzielle Freizeitangebote waren schneller wieder offen als die offene Jugendarbeit. Sommerurlaub schon wieder buchbar, als Jugendfreizeiten noch verboten waren. Und dann wurden - trotz aller anderslautender Ankündigungen - im Winter doch wieder Schulen und Kitas zu gemacht.

Auch der Stufenplan 2.0 der Landesregierung kennt junge Menschen und Kinder wieder nur als Schülerinnen und Schüler, wieder fehlen Kinder- und Jugendhilfe und die Angebote der Jugendarbeit.

Anrede,

„Kinder und Jugendliche zuletzt“, das kann doch nicht allen Ernstes politische Maßgabe in diesem Land sein.

Offensichtlich werden Kinder- und Jugendinteressen zu wenig gesehen. Einfach auch deswegen, weil sie nicht gehört, weil ihnen das „Recht auf Mitsprache in allen Angelegenheiten, die sie betreffen“, systematisch verwehrt wird. Genau dieses steht ihnen aber laut UN-Konvention zu und das schon seit über 30 Jahren. Die Kinderrechte wurden 1992 ratifiziert. Bis 2009 hat es dann gedauert, bis das Land Schutz- und einige Förderrechte in der Verfassung verankert hat. Das Recht auf Beteiligung und den Kindeswohlvorrang sucht man bis heute vergebens. Deswegen ist es Zeit für ein Upgrade unserer Verfassung!

Anrede,

es wundert mich daher nicht, dass Forscher*innen der Unis Frankfurt und Hildesheim in den „JuCo“-Studien zum Corona-Alltag von Jugendlichen nicht nur feststellen konnten, dass viele die Pandemie als große psychische Belastung erleben, dass fast die Hälfte der Befragten angibt, Angst vor der Zukunft zu haben. Ja, das die Jugendlichen den Eindruck hätten, dass diese Sorgen und ihre Bedarfe von der Politik gar nicht wahrgenommen werden. Johanna Willmes von der Uni Frankfurt verdeutlicht: „Jugendliche wollen mitbestimmen – auch in der Corona-Zeit. Sie haben wichtige Ideen zur Umsetzung unterschiedlicher Maßnahmen in ihrem Alltag. Doch diese Stimme wird kaum gehört.“

Es wird Zeit, mehr Demokratie auch für Kinder und Jugendliche zu wagen. Wir reden hier immerhin von 17 % der niedersächsischen Bevölkerung.

Ob Schulen, Kitas, Sportanlagen, Spielplätze, Straßen und Quartiere, Stadtteilzentren und Dorfgemeinschaftszentren, die Lebenswelt von Kindern wird allein von Erwachsenen gestaltet und entschieden. Dabei zeigen die bisherigen Beteiligungsprojekte gute Ergebnisse. Kind- und jugendgerechte Planungen sind nachhaltiger und werden von den Zielgruppen besser angenommen.

Kinder und Jugendliche sind Expert*innen in eigener Sache. Es wird Zeit, dass wir diese Expertise systematisch fordern und fördern.

Die Enquetekommission zum Ehrenamt hat sich auch mit den Nachwuchssorgen ehrenamtlicher Politik beschäftigt. Um das zu ändern raten die befragten Expert*innen jedoch von Besuchsprogrammen mehr oder weniger langwieriger Ratssitzungen oder gar mehr Politik-Lektionen im Schulcurriculum ab. Stattdessen empfehlen sie mehr Partizipation. Zitat: „Menschen, die in ihrer Kindheit und Jugend erfahren, dass ihre Stimme Wirkung erzielen kann, dass sie gestalten und mitbestimmen können, sind auch später eher bereit, sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen“, so Ulrika Engler, die Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung.

Darauf zielt unsere Initiative. Wir brauchen auf den unterschiedlichen Ebenen mehr alltagsnahe und altersgerechte Beteiligungsprojekte, die Kindern die Erfahrung von Selbstwirksamkeit ermöglichen. Die Kinder und junge Menschen für Demokratie begeistert und mobilisiert.

Klar, hier würden wir auf vielen Ebenen Neuland betreten. Aber was spricht gegen einen Kinder- und Jugend-Check bei allen Landesgesetzen, gegen eine Herabsenkung des Wahlalters, gegen eine Servicestelle, die kommunale Beteiligungsformate unterstützt?

Ja, das ist anstrengend und kostet. Aber wer sonntags davon redet, dass Kinder unsere Zukunft sind, der muss wochentags auch bereit sein, in ihre Gegenwart, ihre Rechte und ihre politische Bildung zu investieren.

Anrede,

Kinder und Jugendliche brauchen Unterstützung bei der Wahrnehmung ihrer Rechte und sie brauchen eine echte Lobby. In Niedersachsen ist das eigentlich die Kinder- und Jugendkommission. Leider wird sie bislang von der Landesregierung weitgehend ignoriert. Das muss sich dringend ändern. Deswegen wollen wir sie stärken und wollen sie auch zu der Beratung dieses Anliegens einbinden.

Anrede,

das Kinderrecht auf Beteiligung ist so wichtig, dass es auch in die Verfassung muss. Die Forderung nach dem Vorrang des Kindeswohls hängt damit unmittelbar zusammen. Noch immer werden in vielen Verfahren die Kinder nicht gehört, steht das Kindeswohl hintenan.

Aktuell berühren uns alle die schlimmen Missbrauchsfälle von Staufen, Münster oder auch in Lügde. Hätte man hier die betroffenen Kinder viel früher selber gehört, sie ernst genommen, sie als eigenständige Persönlichkeiten behandelt, eben ihr Kindeswohl vorrangig behandelt, es wäre ihnen viel Leid erspart geblieben und die Täter früher gestellt.

Der Kindeswohlvorrang sichert eine angemessene Repräsentation der Kindesbelange gegenüber anderen Interessen. Auch ihm gebührt Verfassungsrang.

 

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