Volker Bajus: Rede "Kinder und Jugendliche in seelischen Krisen jetzt besser unterstützen"

Rede TOP 14: Kinder und Jugendliche in seelischen Krisen jetzt besser unterstützen – Zugang zu Therapieangeboten erleichtern, Versorgungslücken schließen, Wartezeiten verkürzen

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

normalerweise gibt es hier eine hohe Sensibilität, wenn es um die Problemlagen von Kindern und Jugendlichen geht. Zumindest in der Analyse sind wir uns meistens einig. Doch ausgerechnet beim Thema seelische Gesundheit ist das anders.

Offenbar geht der Großen Koalition auf den letzten Metern der Wahlperiode die Puste aus. Schwierige Themen gehen sie nicht mehr an. Wie anders ist zu erklären, dass Sie nicht wahr haben wollen, wie extrem prekär die Versorgung von psychisch kranken Kindern und Jugendlichen bereits vor Corona war, und wie drastisch sich die Lage verschärft hat, wenn Familien mitunter viele Monate auf einen Therapieplatz warten müssen.

Statt sich der Herausforderung zu stellen, leugnen Sie mit Ihrer Ablehnung unserer Initiative das Problem, bestreiten den besonderen Bedarf, verweisen auf die Zuständigkeit anderer. Statt unseren Antrag konstruktiv aufzunehmen, eigene Vorschläge zu machen, oder wenigstens externe Expert*innen anzuhören, zeigen Sie den Betroffenen im Land nicht nur die kalte Schulter, sondern lassen sie im Stich. Das ist nicht in Ordnung.

Dabei wissen Sie es besser:

„Dass der Bedarf an kinder- und jugendpsychiatrischen Angeboten, sowohl ambulant als auch stationär, steigt, ist sehr klar erkennbar. … der Eindruck, der von überall geschildert wird … ist sehr eindeutig: eine relativ dramatische Situation nach zwei Jahren Pandemie… Die Ausstattung mit Plätzen war schon vor der Pandemie relativ eng. … Ich glaube aber, dass wir dringend mehr Angebote brauchen“, teilt Ministerin Behrens am 24. Februar 2022 hier im Plenum mit.

Wenn Sie schon den eigenen Worten nicht mehr glauben, hier Daten der Psychotherapeutenkammer Niedersachsen aus einer Befragung niedergelassener Psychotherapeut*innen (2021):

  • Wartezeit Behandlung: 32 Wochen (2017 noch 22 Wochen)
  • regionale Unterschiede: von 27 Wochen in OS bis 53 Wochen in HI

Nach Angaben der Bundes-Psychotherapeutenkammer sind die Patient*innen-Anfragen allein vom Jahr 2020 bis zum Jahr 2021 um 60 Prozent gestiegen. 2 von 3 Kindern werden abgewiesen. 40 Prozent warten länger als sechs Monate auf einen Behandlungsplatz.

Das bestätigt auch eine Studie der Unis Leipzig und Koblenz, die eine Verlängerung der Wartezeiten um rund 60 Prozent diagnostizierten.

Auch in der Anhörung im Sozialausschuss zum Antrag „Einbahnstraße Corona“ verwiesen das Winnicott-Institut und der Verband der Kinder- und Jugendärzt*innen auf den Therapiemangel und steigende Bedarfszahlen.

Anrede

Wir haben hier einige Vorschläge gemacht:

  • Sonderbedarfszulassungen für Kinder- und Jugend-Therapeut*innen mit einem Schwerpunkt auf ländlichen und anderen unterversorgten Räumen
  • Ausweitung von Gruppentherapien und Telemedizin
  • Erweiterung der Bettenkapazitäten in Fachkliniken und mehr tagesklinische Angebote
  • Prüfauftrag, wie mehr Privatpraxen eine Kassenzulassung bekommen können
  • die Vernetzung zwischen ambulanten und stationären Angeboten der Kinder- und Jugendpsychiatrie und mit der Jugendhilfe
  • weitere niedrigschwellige Präventions- und Erstberatungsangebote

Das alles lehnen Sie heute ab. Stattdessen verweisen sie auf die Zuständigkeit der KVN und des Bundes. Die Ampel in Berlin sieht das Problem und will jetzt die psychotherapeutische Bedarfsplanung reformieren. Niedersachsen könnte das aufgreifen und schon mal mit gutem Beispiel voran gehen. Leider aber verstecken Sie sich hinter der Abfrage bei der Kassenärztlichen Vereinigung und den Krankenkassen, die bislang keinen besonderen zusätzlichen Bedarf sehen wollen. Auch wenn alle anderen Expert*innen was anderes feststellen.

Anrede,

wenn alle Signale auf Alarm stehen, wenn das Hochwasser schon ins Haus schwappt, dann darf man doch nicht die Augen zu machen, nur weil der amtliche Pegel nicht funktioniert. Dann muss man handeln und zwar umgehend.

Von mir aus können Sie heute aus parteitaktischen oder koalitionstechnischen oder sonst irgendwelchen nachrangigen Motiven unseren Antrag ablehnen.

Aber nehmen Sie bitte ihre Verantwortung wahr und handeln Sie. Die seelische und psychische Gesundheit von vielen Kindern, Jugendlichen und ihren Familien ist in Bedrängnis. Denen rennt die Zeit weg. Und zwar jetzt!

Zurück zum Pressearchiv