Volker Bajus: Rede "Kinder brauchen Kinder: Kontaktregeln wirksam und familientauglich gestalten - feste kleine Kontaktgruppen statt praxisferner Plus-eins-Regel" (TOP 12)

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

sehr geehrte Damen und Herren,

Kinder brauchen Kinder. Das ist eigentlich selbstverständlich. Genauso wie die Forderung nach Kontakt-Beschränkungen, die wirksam schützen, alltagstauglich und nachvollziehbar sind.

Dazu eine kleine Geschichte:

Meine Mutter wird heute 95. Sie mag es überhaupt nicht, wenn man Aufhebens davon macht. Und so hat sie mich vor einigen Tagen gefragt, “weil du dich ja auskennst, meen Jung”, ob man die Gratulantinnen nicht einfach mit Verweis auf die Corona Regeln abwehren könnte. “Du weißt schon, morgens Bürgermeister, mittags Pastorin und nachmittags dann ein Nachbar nach dem anderen.”

Aber, was musste ich antworten. “Nee Mama, so läuft das nicht. Solange immer nur eine Person kommt, ist das nämlich erlaubt. Egal, wie viele insgesamt. Da musst du schon eine klare Ausladung machen.”

“Ich will aber, dass nur dein Bruder und seine Frau zum Kaffee kommen. Kuchen gibt es auch”. Zur Erklärung, die beiden wohnen nebenan, schauen täglich mehrfach nach ihr und kaufen für sie ein. “Nee, musste ich da sagen, das ist nach den aktuellen Regeln leider verboten”.

Ungläubiges Schweigen in der Leitung. Es ging noch ein bisschen hin und her. Überzeugen, dass dieses „Kuddelmuddel“ sinnvoll ist, konnte ich nicht.

Wenn man diese Regeln nicht mal jemanden mit der Lebensweisheit eines ganzen Jahrhunderts erläutern kann, wie erklärt man sie dann einem Kind? Dem Nachbarjungen, der fragt, warum die Freundin nicht kommen kann, weil sie schon über drei ist, oder dass das Geschwisterkind nicht mitkommen darf, obwohl die zu Hause jeden Bazille und jeden Virus brüderlich teilen?

Meine Damen und Herren

Älteren mag man das ja alles zumuten, auch wenn die Einsamkeit an ihren Nerven zehrt. Aber, mit der monatelangen Schließung von Kita und Schule und der Ein-Freund-Regel, die für viele Kinder de facto eine Kein-Freund-Regel ist, kommt es zur monatelangen Isolation. Für die Entwicklung schädlich und krankmachend. Erinnern sie sich? „Wann sind sie wir endlich da?“ schallt es schon nach wenigen Kilometern von der Rückbank. Für kleine Menschen fühlt sich ein Tag, eine Woche, ein Monat sehr, sehr lang an.

In kinderfreundlicheren Bundesländern wurde deswegen wenigstens Jüngere und Geschwisterkinder zugelassen. Bei uns brauchte es erst Proteste, um wenigstens die die ganz Kleinen auszunehmen. Willkürlich und nicht kindgerecht, denn auch 4- oder 6-Jährige gehen nicht alleine auf Spielplätze, 8-jährige besuchen nicht ihren besten Freund im Nachbardorf.

Anrede,

so verspielen wir die Akzeptanz, die Einsicht in die Notwendigkeit von Kontaktbeschränkungen, die, das bestreiten wir ganz und gar nicht, für den Infektionsschutz total wichtig sind.

Was wir brauchen, sind Infos und Aufklärung über das was wirklich hilft. Die drastische Einschränkung der Kontakte auf eine wirklich kleine Zahl. Auf möglichst feste, immer gleiche Kontakte. Statt der Ein-Person-Regel sollten sich Familien ausnahmsweise mit stets denselben zwei oder drei anderen treffen können. Sollten „Infektionsgemeinschaften“, „social bubbles“ befördert werden.

Das würde nicht nur das alltägliche Leben erheblich erleichtern, sondern auch die Unterstützung für die Maßnahmen und schließlich auch das Infektionsgeschehen effizient eindämmen.

Sinnvoll wäre es auch endlich die Sicht von Kindern und Familien, Elternvertretungen, Kinderrechtler*innen,  wie den Kinderschutzbund oder Entwicklungs-psycholog*innen bei der Ausgestaltung der Maßnahmen frühzeitig einzubinden.

Dann würden Kinderinteressen auch nicht regelmäßig aus dem Blickfeld geraten. Wie die 32.000 Kinder in Niedersachsen, die täglich eigentlich mit einer kostenlosen, warmen Mittagsmahlzeit versorgt werden. Aber jetzt nichts bekommen, weil Kita und Schule zu sind. Auch keine Unterstützung des Kultus- oder Sozialministeriums. Statt klarer Ansage an die Kommunen, nur organisierte Unverantwortlichkeit.

Für arme Familien gibt es überhaupt keine zusätzlichen Hilfen, obwohl ihre Versorgungslage schwieriger ist, Mini-Jobs weggefallen und Unterstützungsstrukturen eingeschränkt sind. Das ist sozialpolitisch fatal.  

Anrede,

Zum Glück sind anders als im Frühjahr die Angebote der Jugendarbeit grundsätzlich weiter erlaubt. Das ist auch richtig so. Jugendliche denen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, oder Ärger oder Gewalt droht, müssen einen Ort haben, wo sie hin können. Und der sollte nicht irgendwo im Wald oder hinterm Bahnhof sein, sondern in einem sicheren hygienischen Umfeld.

Wenn sich dann aber der Landesjugendring und Träger der Jugendhilfe beklagen, dass die Verunsicherung wegen der Corona-Politik so groß ist, dass man sich nicht traut, die notwendigen Angebote für Jugendliche, die es wirklich bitter nötig haben, anzubieten, dann muss man doch vom zuständigen Ministerium, erwarten können, dass es die Träger ermuntert und ermutigt. Kein Wunder, wenn sich viele fragen, wer in dieser Regierung eigentlich für Kinder und Jugendliche da ist.

 

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