Swantje Schendel: Rede zu "Ambulante sozialpädagogische Angebote für junge Straftäter zukunftsfähig weiterentwickeln" (Antrag SPD/GRÜNE)
TOP 32: Ambulante sozialpädagogische Angebote für junge Straftäter zukunftsfähig weiterentwickeln (Antrag SPD/Grüne)
- Es gilt das gesprochene Wort -
Jugendstrafrecht ist Erziehungsstrafrecht. Das steht so im Gesetz – und das hat einen guten Grund. Junge Menschen sind keine kleinen Erwachsenen. Ihre Taten entstehen häufig aus Unsicherheit, fehlender Orientierung, aus belastenden Lebenslagen. Deshalb brauchen sie vor allem eins: die Chance, es besser zu machen.
Ambulante sozialpädagogische Angebote geben ihnen genau diese Chance.
Seit über drei Jahrzehnten sind die ambulanten Maßnahmen in Niedersachsen ein zentrales und bewährtes Element der Jugendhilfe. Sie bieten eine echte Alternative zum Jugendarrest oder zur Jugendstrafe – nicht nur günstiger, sondern vor allem wirkungsvoller.
Denn wir wissen: Freiheitsentzug führt in den meisten Fällen nicht zur Besserung, sondern zur sozialen Entwurzelung. Wer Jugendliche in Haft steckt, isoliert sie und vertieft oft genau die Probleme, die sie überhaupt erst in Konflikt mit dem Gesetz gebracht haben.
Ambulante Hilfen dagegen holen die jungen Menschen in ihrem Umfeld ab. Sie setzen an ihren tatsächlichen Problemen an: familiäre Gewalt, Schulabbruch, Perspektivlosigkeit. Und sie vermitteln genau das, was im Arrest niemals gelernt wird: Verantwortung übernehmen, Konflikte gewaltfrei lösen, eigene Stärken erkennen.
Dass diese Maßnahmen funktionieren, ist wissenschaftlich seit Jahren belegt. Dennoch geraten sie zunehmend unter Druck. Viele Träger – gerade in den ländlichen Räumen – kämpfen ums Überleben. 81 Prozent der freien Träger in Niedersachsen sehen sich laut Erhebung aus 2023 in einer existenziellen Krise. Es fehlte an auskömmlicher Finanzierung, an verlässlicher Förderung und an Flexibilität für neue, aufsuchende Ansätze.
Das ändern wir mit unserem Antrag und dem kommenden Haushalt.
Und wir wollen nicht nur mehr Geld bereitstellen, damit die Träger Absicherung erhalten – wir wollen auch die Förderrichtlinie grundlegend überarbeiten.
Wir wollen nicht nur die gestiegenen Kosten anerkennen, sondern auch innovative Konzepte gezielt stärken.
Und wir wollen besonders die ländlichen Räume wieder besser unterstützen.
Kurz gesagt: Wir wollen, dass diese wichtige Säule der Jugendhilfe nicht nur erhalten bleibt – sondern zukunftsfähig weiterentwickelt wird.
Ich möchte an dieser Stelle aber auch auf die öffentliche Debatte eingehen, die sich immer mal wieder zuspitzt und auch vor diesem Parlament noch keinen Halt gemacht hat. Denn ja, es gibt nach Rückgang in den Corona-Jahren nun wieder einen Anstieg bei der registrierten Jugendkriminalität. Und ja, dabei gibt es beunruhigende Fälle, die Schlagzeilen machen. Gerade der Wiederanstieg körperlicher Gewaltdelikte unter Jugendliche muss uns besorgen, auch wenn diese noch weit unter den Zahlen der 90iger oder 2000er Jahre liegt – der Zeit meiner Jugend.
Aber: Wer daraus die falschen Schlüsse zieht, gefährdet nicht nur die Rechtsstaatlichkeit, sondern auch die Wirksamkeit unseres Handelns.
Was wir erleben, ist keine neue Jugendgewaltwelle. Es ist zum großen Teil ein statistischer Nachholeffekt nach den Corona-Jahren. Das sage nicht ich, das zeigen erste Auswertungen dieser Zahlen. Und wenn wir genauer hinsehen, erkennen wir – bei den Täter*innen, mehrheitlich Tätern, handelt es sich in vielen Fällen um Kinder und Jugendliche mit erheblichen sozialen Problemen und in multiplen Problemlagen.
Wer jetzt nach härteren Strafen ruft,
wer die Strafmündigkeit auf 12 Jahre senken will, wie es die AfD fordert,
oder wer – wie Teile der CDU – das Jugendstrafrecht verschärfen will,
der betreibt Symbolpolitik auf dem Rücken junger Menschen.
Das ist nicht nur populistisch. Es ist nachweislich kontraproduktiv.
Denn die jungen Menschen, die wir heute abschreiben, sehen wir dann doch morgen wieder – mit neuen Taten, neuen Opfern, neuen Schäden.
Deshalb müssen wir genau hinschauen, was wirklich wirkt.
Und das sind nachweislich die ambulanten Hilfen, die wir nun stärken.
Denn dort kümmern sich Sozialpädagog*innen und ihre Kolleg*innen intensiv um diese Jugendlichen. Sie schauen hin und reichen Hände, die die betroffenen Jugendlichen schon lange nicht mehr gereicht bekommen haben. Sie strafen diese Jugendlichen nicht pauschal ab, aber fordern Verantwortung ein. Sie schließen mit ihrer Arbeit keine Türen, sondern eröffnen neue Perspektiven und helfen, neue Wege zu gehen. Danke für diese engagierte Arbeit.
Liebe Kolleg*innen, Jugendhilfe ist keine Schwäche des Rechtsstaats – sie ist seine Stärke.
Sie schützt die Gesellschaft – nicht durch Wegsperren, sondern durch wirksame Integration straffällig gewordener Jugendlicher. Ich persönlich finde es ein Geschenk, ein großer Schatz unseres Rechtsstaats, dass wir Jugendlichen mit diesen Angeboten Perspektiven geben können und Lebenswege damit verändern. Lassen Sie uns gemeinsam diese Angebote stärken.
In diesem Sinne freue ich mich auf die Ausschussberatungen.