Stefan Wenzel: Rede Aktuelle Stunde: Die Landesregierung als Mess-Diener der Atomindustrie

Anrede,

diese Überraschung ist den Fernsehmachern neulich wirklich gelungen: eine Woche nach dem Castortransport nach Gorleben Anfang November zeigt die ARD die Tatort-Folge "Salzleiche". Was vorher schon die gewaltige Zahl von über 16.000 Demonstranten auf die Straße gebracht hat, verfolgen nun am Fernsehabend über 9 Millionen Zuschauer aus nah und fern: in Gorleben geht es nicht mit rechten Dingen zu. Fernsehkrimi trifft Wirklichkeit – es geht um die Arroganz der technischen Beherrschbarkeit aller Gefahren der Atommülllagerung, es geht um die Ängste der Bevölkerung und es geht sogar ganz konkret um den Verdacht, dass die Messwerte in Gorleben gefälscht werden, um die Akzeptanz für das geplante Endlager zu erhöhen.

Anfang November wurden Brennelemente mit einem erhöhten Abbrand transportiert. Außerdem wurden französische Transportbehälter verwendet, weil die neuen Castorbehälter durch die Zulassungstests gefallen sind.

Aus diesem Anlass hatte Greenpeace Vergleichsmessungen zur Strahlenbelastung durchgeführt. Dabei wurde eine Strahlenbelastung festgestellt, die um 40 Prozent über den Werten des Transports von 2006 lagen.

Anrede,

diese Messungen sind von Landesregierung und Bundesregierung angezweifelt worden. Gleichzeitig hat man sowohl Greenpeace als auch anderen unabhängigen Stellen Kontrollmessungen verweigert.
Hier also beginnt der Krimi Wirklichkeit zu werden.
Wir fragen uns, oder besser: wir fragen Sie, Herr Umweltminister, was gibt es da zu verbergen?

Und nicht genug damit. Wer versucht, von der Landesregierung, von der Bundesregierung, vom Eisenbahnbundesamt, vom Gewerbeaufsichtsamt Lüneburg oder der Gesellschaft für Nuklearservice GNS bzw. der BLG in Gorleben, der Betreiberin des Zwischenlagers, Daten und Messwerte zu bekommen, der wird auf ein wahre Odyssee geschickt. Egal welche Ausreden und Ausflüchte man zu hören bekommt, am Ende landet man immer wieder auf der Website der Gesellschaft für Reaktorsicherheit. Hier finden sich einige Messwerte der letzten Atomtransporte. Sie dokumentieren, dass die radioaktive Dosisleistung der Atombehälter schon in den Vorjahren deutlich angestiegen ist.
Entscheidende Informationen fehlen jedoch in dieser Dokumentation auf die alle Verantwortlichen verweisen:

  • Die Dosisleistung der einzelnen Messpunkte an den Behältern
  • Die Oberflächenkontamination der einzelnen Behälter
  • Angaben zu den Stellen, die die Messungen durchgeführt haben
  • Angaben zum radioaktiven Inventar

Anrede,

trägt man alle Aussagen der Beteiligten zusammen, stellt man zudem fest, dass beim Castortransport im November in Deutschland offenbar keine staatliche Stelle wirklich selbst gemessen hat.
Das Gewerbeaufsichtsamt hat nicht selbst gemessen, sondern nur daneben gestanden als in Dannenberg drei Stichproben genommen wurden. Die Messgeräte stammten von der GNS.

In einer Presseinformation des Umweltministeriums vom 06.11.08 heißt es, (Zitat) "dass bei Annahme im Zwischenlager Gorleben vor und nach der Entnahme aus dem Straßentransportgestell Kontamination und Dosisleistung gemessen werden."

Wissen Sie was mir Staatssekretär Birkner auf Nachfrage in einem Schreiben von letzter Woche mitteilt ? Bei dieser Information handelt es sich um ein Missverständnis.
Es war ein Versehen.
Die öffentlich angekündigten Messungen seien gar nicht durchgeführt worden.

Anrede,

ich sage Ihnen: das Ganze stinkt zum Himmel. Das Umweltministerium kommt offenbar seiner Verantwortung nicht nach und macht sich zum Mess-Diener der Atomindustrie. Der Öffentlichkeit werden bunte Internet-Grafiken gezeigt. Aber unabhängige Kontrollen werden verweigert.
Der Pressesprecher der GNS hat neulich sogar ausrichten lassen, dass es vor März 2009 keine Besuche mehr in Gorleben geben soll.

Meine Damen und Herren, wir leben nicht im Iran.
Ich frage Sie: muss hier tatsächlich die Internationale Atomenergie Organisation tätig werden?

Anrede,

wir fordern Sie auf:

  • Veröffentlichen Sie alle Messdaten zur Gamma- und Neutronenstrahlung, zur Oberflächenkontamination und zum radioaktiven Inventar.
  • Lassen Sie Kontroll-Messungen von unabhängigen Stellen zu.

Anrede,

und wenn wir schon mal bei Transparenz als Ermittlungsmethode in diesem Atom-Krimi sind: Gestern schrieb die Presse über einen Leitenden Mitarbeiter der GNS, der seit zwei Monaten spurlos verschwunden sein soll.
Wir würden gern wissen, welche Aufgaben zum Verantwortungsbereich dieses Leitenden Mitarbeiters gehört haben, der nach Angaben von Herrn Staatssekretär Birkner als vermisst gilt. Offenbar war er auch für Strahlenmessungen an den Behältern zuständig. Die Pressestelle der GNS dementiert das und behauptet, er sei für das Umladen der Atombehälter am Verladekran Dannenberg verantwortlich gewesen. Das will ich nicht ausschließen; aber umgeladen wird ja nur maximal einmal im Jahr. Womit war der Kollege für den Rest der Zeit beschäftigt?

Herr Minister,
damit es gar nicht erst zu weiteren Spekulationen kommt, sollten Sie hier für einen reinen Tisch und für vollständige Aufklärung sorgen.

Anrede,

Herr Wulff, Herr Sander, Herr Schünemann, bei den Informationen, die wir von Ihnen einfordern, geht es nicht nur um die Anwohnerinnen und Anwohner der Transportstrecken und am Zwischenlager. Es geht auch um die Gesundheit der eingesetzten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten.
Wenn es zur Überschreitung von zwingend gesetzlich einzuhaltenden Grenzwerten gekommen ist, dann tragen Sie unmittelbare Verantwortung für die Gesundheit aller Beteiligten.
Und dieser Verantwortung kann man nicht mit lückenhaften Messsystemen, mit Geheimniskrämerei und mit der Verweigerung von unabhängigen Kontrolluntersuchungen gerecht werden.

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