Rede Ursula Helmhold: Zweite Beratung Haushalt 2005: Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit

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Anrede,
seit ihrem Regierungsantritt beschwört diese Landesregierung, assistiert von den Fraktionen der CDU und FDP in Reden, Anträgen und Verlautbarungen nahezu gebetsmühlenartig eine verlässliche und partnerschaftliche Sozialpolitik.
Nun heißt es aber: An ihren Taten sollt Ihr sie messen und diese Messlatte bewältigt diese Landesregierung wie ein Hochspringer, der die Weltrekordmarke anpeilt und dann unter der Stange durch kriecht.
Denn in Wahrheit betreibt diese Landesregierung eine Sozialpolitik der warmen Worte, aber des kalten Herzens und mit zugeknöpftem Geldbeutel.
Blinde, Behinderte, Drogen- und Suchtkranke, Aids-Kranke, Nichtsesshafte und die Menschen, die sich ihrer annehmen - sie alle sind von teilweise existenzbedrohenden Maßnahmen dieser Landesregierung betroffen.
Diese Landesregierung zwingt die Wohlfahrtsverbände dazu, Brandbriefe zu schreiben, mit denen auf die Gefährdung von Strukturen im Bereich der sozialen Arbeit hingewiesen wird.
Diese Landesregierung setzt ein ums andere Mal die Kürzungsaxt bei dem Engagement der Akteure der sozialen Arbeit an.
Anrede,
bereits im letzten Jahr kündigten Sie ohne Vorwarnung kurzfristig den Toto-Lotto-Vertrag und kürzten die Mittel aus der Konzessionsabgabe um 10%. Und obwohl Sie danach immer noch von Partnerschaft und Verlässlichkeit sprachen, wollen Sie nun die Konzessionsabgabe nochmals um 11% und 25% kürzen. Die Spielbankenabgabe kürzen Sie ebenfalls um 25%. Auf der anderen Seite bauen Sie ein neues Lotteriespiel "KENO" als Gelddruckmaschine für den Landeshaushalt auf: wer soll diese widersprüchliche Haushaltspolitik eigentlich noch begreifen?
Damit, und das haben Ihnen die Wohlfahrtsverbände deutlich ins Stammbuch geschrieben, zerstören Sie eine wichtige vertrauensvolle Beziehung. So geht man nicht mit Partnern um!
Tatsächlich schädigen Sie die Struktur sozialer Arbeit in diesem Land enorm. An jedem Euro aus Toto-Lotto-Mitteln hängen erhebliche Summen an Kofinanzierungen, die der sozialen Arbeit in Niedersachsen durch Ihre Politik zusätzlich entzogen werden. Das nehmen Sie in Kauf und das nenne ich leichtfertig. Leichtfertig schädigen Sie auch das bürgerschaftliche Engagement, das in hohem Maße im sozialen Bereich erbracht wird. In Niedersachsen betrifft das 300.000 Ehrenamtliche innerhalb der Verbände. Dieses Engagement braucht aber hauptamtliche Strukturen als Rückgrat um überhaupt existieren zu können. Sie schädigen die Zivilgesellschaft. Regelmäßige warme Worte und Preise für das Ehrenamt sind auch hier nur Ihre weiße Salbe, mit der von Ihrer Politik des sozialen Kahlschlags abgelenkt werden soll.
Und bezeichnenderweise ist in Ihrer fünfseitigen Erklärung "Ein Jahr CDU/FDP-Regierung" vom 26.2.2004 der Sozialpolitik nicht eine einzige Zeile gewidmet. Wirtschaft, Verkehr, Bildung, Innere Sicherheit, Europapolitik – alles wortreich erläutert. Das soziale Niedersachsen kommt nicht vor. Aber Sie sind ja auch gerade dabei, es abzuschaffen und ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass Sie das nicht auch noch aufschreiben wollen.
Reihenweise verunsichern Sie Einrichtungen und bringen diese an den Rand der Existenz. In der Nichtsesshaftenhilfe haben Sie, zunächst sogar auf der Grundlage falschen Zahlenmaterials, die Landesförderung beinahe vollständig eingestellt, ohne den betroffenen Einrichtungen auch nur die Chance einer verträglichen Umstellungsphase zu lassen.
Arbeitslosenzentren und -initiativen gehören ebenfalls zu denen, die vor dem Aus stehen, ohne eine – wie in anderen Bundesländern üblich – Übergangsfinanzierung zu erhalten. Das zeugt von Ignoranz gegenüber den Notwendigkeiten solcher Einrichtungen, die sich um die Menschen kümmern, die eben nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen.
Anrede,
als Meisterstück Ihrer Kaltschnäuzigkeit muss jedoch die Abschaffung des Landesblindengelds bezeichnet werden. Mehr als 90% der blinden Menschen in Niedersachsen werden zukünftig keine Leistungen mehr erhalten. Sie verabschieden sich damit vom solidarischen Gedanken des Nachteilsausgleichs und vollziehen den Systemwechsel zur Armenfürsorge. Sie werden auch erleben, dass die durch das Blindengeld ermöglichte selbstständige Lebensführung zurückgehen wird. Die Betroffenen werden wieder vermehrt auf das Wohnen im Heim angewiesen sein. Das wird dann aber erheblich teurer als die Einsparungen durch die Kürzungen beziehungsweise den Wegfall des Blindengeldes.
Der Gipfel der Perfidie ist dabei Ihre Behauptung, Ihr neues System sei gerecht. Ist es etwa gerecht, wenn diese Landesregierung blinden Menschen den Nachteilsausgleich entzieht, auf den sie wegen der umfassenden und besonders schweren Behinderung in besonderem Maße angewiesen sind? Ist es gerecht, wenn diese Landesregierung blinden Menschen jetzt - viel eher als allen anderen - ein Leben auf Sozialhilfeniveau zumutet?
Nein, meine Damen und Herren, gerecht ist das nicht. Es ist schnöde kaltherzige Abzocke bei einer Gruppe, die damit zum Bauernopfer der Sozialministerin geworden ist, und die allein über 60% des Sparvolumens des Sozialhaushaltes zu erbringen hat. Nur noch rund 700 von den 12.000 Blinden werden in Zukunft eine Leistung erhalten. Und dann bieten Sie noch einen Härtefonds an, den Sie jetzt Mobilitätsfonds nennen, der dem parlamentarischen Zugriff entzogen wird und von dem völlig unklar ist, wer und unter welchen Voraussetzungen an ihm partizipieren darf. Das ist vorgestrig und völlig intransparent.
Ich begrüße es, dass die Blinden jetzt eine Volksinitiative starten wollen und hoffe, dass sie genügend Unterschriften zusammen bekommen.
Niedersachsen hat hier eine unrühmliche Vorreiterrolle übernommen, denn natürlich werden die Finanzminister anderer Bundesländer jetzt ebenfalls begehrliche Blicke auf die jeweiligen Landesblindengelder werfen. Ich hoffe für die Betroffenen, dass die SozialpolitikerInnen dort sich dem widersetzen und nicht wie hier die Belange der blinden Menschen auf dem Altar angeblich unabwendbarer Sparzwänge opfern. Oder will sich die niedersächsische Sozialministerin auf Kosten der niedersächsischen Blinden bei ihrer Partei für weitere Aufgaben empfehlen? Einer Partei, deren Vorsitzende einen Sozialpolitiker vom Schlage Seehofers wegmobbt und sich inzwischen Lichtjahre von den sozialpolitischen Gedanken und Ansprüchen eines Heiner Geißler entfernt hat, ist ja noch einiges zuzutrauen.
Wir wollen, dass Sie für diesen zentralen Punkt des Sozialhaushalts heute noch einmal deutlich die Verantwortung übernehmen. Deshalb beantragt meine Fraktion, über Artikel 12 des Haushaltsbegleitgesetzes eine namentliche Abstimmung. Und dann muss jede und jeder hier im Raum geradestehen vor den blinden Menschen und - wenn er oder sie es denn wirklich vor seinem Gewissen verantworten kann - dieser unsozialen Kürzung zustimmen.
Anrede,
die bisherige Arbeit der Landesregierung hat jedoch auch zu erheblichen Rückschlägen für die Frauen in Niedersachsen geführt.
Zunächst fiel ihr die Arbeit der hauptamtlichen Frauenbeauftragten zum Opfer. Ihre Zahl wird um 60 % dezimiert und die Arbeit der Verbliebenen wird dadurch erschwert, dass man ihnen Schleudersitze verpasst, weil sie künftig mit einfacher Mehrheit abgewählt werden können.
Dann überraschte die Sozialministerin die Öffentlichkeit mit der Ankündigung, den Gewaltschutzbereich neu zu strukturieren, zu kommunalisieren und die Haushaltsmittel in den nächsten Jahren um zweimal 10 % zu kürzen. Dies stieß auf erheblichen Widerstand der Betroffenen sowie der Kommunen, die nicht zum schwarzen Peter der Ministerin werden wollten. Unter diesem Druck verkündete die Sozialministerin dann zunächst, Streichungen im Gewaltschutzbereich werde es nicht geben.
Tatsächlich aber kürzt diese Landesregierung bei den Mädchenhäusern, stellt die Landesförderung für Frauengesundheitszentren und therapeutische Frauenberatung ein und hält die BISS-Stellen nur unter verschlechterten Bedingungen aufrecht.
Tatsächlich streichen Sie komplett und äußerst kurzfristig alle Mittel für die vielen Frauenprojekte, die bisher mit Kleinstförderungen zwischen 1000 und 7500 Euro eine Vielzahl unterschiedlichster Hilfs-, Fortbildungs-, Beratungs- und Integrationsangebote erbracht haben. Diese Projekte sind damit alle in ihrer Existenz bedroht.
Mich erreichen täglich Briefe, in denen Frauen Unverständnis, Betroffenheit, Ratlosigkeit, Wut und auch Resignation äußern.
Denn um es noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: In allen betroffenen Einrichtungen, seien es Mädchenhäuser, BISS-Stellen, Frauen-Gesundheitszentren oder autonome Frauenprojekte wurde und wird mit unglaublicher Energie und freiwilligem Engagement eine Arbeit geleistet, die weit über das Maß der institutionellen Förderung hinausgeht, ja diese geradezu potenziert. Auch hier werden notwendige Strukturen platt gemacht und das freiwillige Engagement vieler Frauen mit Füßen getreten. Stattdessen wollen Sie das gesamte Geld aus diesen Frauenprojekten für "Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie" in die ungenau spezifizierte Titelgruppe "Akzente der Frauenpolitik" fließen lassen.
Auch an diesem Beispiel der Mittelverschiebung im Frauenbereich wird deutlich, dass Worte und Handeln dieser Landesregierung weit auseinander liegen. Das Sozialministerium erklärt in seinem Internetauftritt, sich den Prinzipien von gender mainstreaming verpflichtet zu fühlen.
In Wirklichkeit nehmen Sie den Frauenprojekten die gesamten Mittel weg und subsumieren sie unter "Vereinbarkeit von Familie und Beruf".
Dies aber ist kein reines Frauenthema, denn gerade unter gender mainstreaming Gesichtspunkten sind nicht die Frauen, sondern die Männer an dieser Stelle das Problem.
Wäre das Gender-Konzept angewendet worden, dürfte das Geld nicht aus dem Frauenministerium kommen, sondern müsste aus dem Wirtschaftministerium bereitgestellt werden. Ein Gender-Konzept würde dann darauf abstellen müssen, auch Männer zur Teilhabe an der Familienarbeit zu bringen.
Wie notwendig eine spezifische Gleichstellungspolitik weiterhin ist, zeigt der gerade veröffentliche Bericht über die Umsetzung des Niedersächsischen Gleichberechtigungsgesetzes: Noch immer sind Frauen auf allen Ebenen erheblich unterrepräsentiert.
Auch hier also: Warme Worte auf der Homepage als weiße Salbe und die Axt in der Hand um die spezifische Frauenförderung zu zerschlagen.
Und wenn wir jetzt gerade über das Thema Familie sprechen.
Herr McAllister, Sie haben hier gestern geradezu beschwörend appelliert, die Familien der Kabinettsmitglieder aus der politischen Debatte rauszuhalten, sie in Frieden zu lassen. Ich stimme dem ausdrücklich zu. Aber, bitte entschuldigen Sie, Herr McAllister, es muss doch wohl noch erlaubt sein, einmal die Frage zu stellen, ob nicht hin und wieder auch Ursache und Wirkung verwechselt werden. Jeden Samstag liefert uns eine Bild-Zeitungs-Kolumne rührende Geschichten aus dem Hause der Sozialministerin auf den Frühstückstisch, es werden öffentlich Kekse gebacken, Spielplätze besucht; im Gästehaus der Landesregierung wird die Familie als weihnachtlicher Kinderchor vorgeführt.
Entschuldigen Sie bitte, aber finden Sie Ihren Appell nicht auch ein wenig bigott? Wer seine Familie derart einspannt und öffentlich präsentiert, und sie, wie neulich ein Kommentator anmerkte, quasi wie eine Monstranz vor sich her trägt, darf sich doch nicht wundern, wenn dann auch darüber gesprochen wird.
Offensichtlich ist das doch als eine profilbildende Maßnahme erwünscht, als Werbung für ein neues- aber doch ganz altes - Familienidyll.
Anrede,
es kann einem Angst und Bange werden, wenn man sieht, mit welcher Konsequenz und Beharrlichkeit diese Landesregierung gesellschaftliche Anforderungen im sozialen Bereich nicht zur Kenntnis nimmt oder mit den falschen Antworten reagiert. Langfristig schaffen Sie Sicherheit nicht durch immer mehr Repression und Polizei, sondern nur durch eine Sozialpolitik, die Menschen Chancen auf Teilhabe und Perspektiven für ihr weiteres Leben lässt, die Diskriminierungen, aus welchem Grunde auch immer, abbaut und mit den Akteuren der Zivilgesellschaft vertrauensvoll zusammenarbeitet.

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