Rede Ursula Helmhold: "Persönliches Budget" für Menschen mit Behinderungen

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Anrede,
wir begrüßen im Grundsatz den vorliegenden Entschließungsantrag von CDU und FDP. Das persönliche Budget ist eine sozialpolitische und behindertenpolitische Errungenschaft der rot-grünen Bundesregierung, auf die ab dem Jahre 2008 ein Anspruch besteht. Sie stellt für die Weiterentwicklung der Behindertenhilfe einen Meilenstein dar. Das "persönliche Budget stärkt die Autonomie und gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Es fördert die Weiterentwicklung und Stärkung des ambulanten Sektors und flexibilisiert die Angebotsszene", also im Wesentlichen die ambulante Assistenzszene. Das persönliche Budget entspricht einer lange gehegten Forderung der Behinderten für den Weg zu einer selbstbestimmten Lebensführung.
Anrede,
zum Vorgehen hätten wir uns allerdings gewünscht, dass Sie die Fertigstellung des Endberichtes zur Evaluation des Modells im nächsten Jahr abgewartet und analysiert hätten. Denn Ihr Antrag ist, weil er zu früh kommt, unvollständig und bedarf der Ergänzung.
Bei der Umsetzung des Instruments "persönliches Budget" muss man sehr genau auf die jeweilige Ausgestaltung der Bedingungen schauen. Ich erinnere daran, dass das zuerst von der Landesregierung Rheinland-Pfalz ausgerufene Modell des persönlichen Budgets mit dem Titel: "Hilfe nach Maß" in Mainz in der ersten Phase gescheitert ist, weil die Bemessung der persönlichen Budgets zu gering war.
Der seit 2 Jahren laufende Modellversuch der niedersächsischen Landesregierung in drei Gebietskörperschaften, der nun flächendeckend ausgebaut werden soll, war, was die Akzeptanz angeht, bisher ebenfalls nicht umwerfend. Insgesamt blieb die Resonanz mit ca. 50 Personen schwach: im Landkreis Emsland beteiligten sich zum Beispiel nur 3 Personen an dem Modellversuch, im Vorzeigelandkreis des Staatssekretärs Hoofe, dem Landkreis Osnabrück, nur 8 Personen. Nur in Braunschweig ist es zu einer relativ stattlichen Beteiligung von ca. 40 Personen gekommen. Auszüge aus Heimen gab es so gut wie gar nicht. Wie ist so etwas zu erklären?
Anrede
in der Zusammenfassung des Zwischenberichtes zum Modellversuch steht: "die bloße Umwandlung einer als Sachleistung bestehenden ambulanten Assistenz in ein Budget initiiert an sich keinerlei Veränderungen".
In Ihrem Antrag haben Sie selbst einen wichtigen Stolperstein für diese mangelnde Resonanz benannt: nämlich das Problem der so genannten Budgetassistenz, deren Finanzierung bisher nicht gelöst ist. In der Begründung Ihres Antrages sagen Sie es ja selbst: Verbindliche Empfehlungen dafür stehen im Hilfeplanverfahren noch aus. Dazu jetzt weitere Untersuchungen anzustellen, halte ich für eine reine Hinhalte- und Verschiebetaktik. Sie sagen zwar auch: wer die Budgetassistenz braucht, kann sie erhalten. Letztlich muss das aber bei den zurzeit geltenden Bedingungen der behinderte Mensch selbst zahlen. So war das aber ursprünglich nicht gemeint und so ist es auch nicht akzeptabel. Denn schließlich sind die Budgets, die Sie den Behinderten geben, nach oben hin gedeckelt. Das heißt: jeder Mensch mit Behinderung muss sehr gut abschätzen, ob er mit einigen wenigen Stunden Hilfestellung in der Woche zurecht kommt und davon soll er dann noch Budgetassistenz zahlen. Das kann in vielen Fällen nicht klappen, insbesondere wenn es sich um einen höheren Grad von Behinderung handelt. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn einige derjenigen, die am Modellversuch bisher teilgenommen haben, schon das Handtuch geworfen haben und aus dem Modellversuch ausgetreten sind, eben weil es sich für sie nicht rechnet und sie der Verbleib im Heim oder die Inanspruchnahme von ambulanten Hilfen in Form von Sachleistungen günstiger kommt – geschehen in den Landkreisen Osnabrück und Emsland.
Wir sind der Meinung, dass man das persönliche Budget nicht als Sparmodell für die Eingliederungshilfen missbrauchen darf. Dafür ist es nicht gedacht.
Anrede,
für die Zukunft sollten Sie also sehr genau darüber nachdenken, wie die Konditionen des persönlichen Budgets verbessert und Fehlanreize verhindert werden können.
Bemerkenswert finde ich auch, dass es unter den jetzt Beteiligten am Modell kaum oder gar keine körperbehinderten Menschen gibt. Über die Ursachen sollten wir uns in den Ausschussberatungen unterrichten lassen. Da scheint mir auch einer der Webfehler des bisherigen Modells zu liegen.
Anrede,
einen großen Handlungsbedarf sehen wir bei der Bildung trägerübergreifender Budgets. Die Budgets können und sollen sich ja aus vielen verschiedenen Einzelleistungen unterschiedlicher Leistungsträger zusammensetzen. Dabei hat sich gezeigt, dass die einzelnen Leistungsträger sehr viel besser zusammenarbeiten müssten. Das funktioniert bisher leider genauso wenig wie bei den Servicestellen nach dem SGB IX. Ihr Vorschlag, das SGB XI, also die Pflegeversicherung mit einzubeziehen, klingt gut, birgt aber erhebliche Gefahren. Ich habe die Befürchtung, dass es Ihnen womöglich letztlich um eine Absenkung der Kosten der von den Betroffenen bisher zu beanspruchenden Leistungen und damit um eine Entlastung der Pflegeversicherung geht.
Alles in allem: Wir stehen dem Antrag nicht ablehnend gegenüber, er ist aber sehr verbesserungswürdig. Dafür bedarf es aber einer tiefer gehenden Erörterung im Detail über eine Anhörung bei der bevorstehenden Ausschussberatung.

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