Rede Ursula Helmhold: Niedersächsisches Pflegegesetz

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Anrede,
mit den Änderungen im Niedersächsischen Pflegegesetz hat die Landesregierung den Pflegebedürftigen im Lande und den Trägern der Pflegeeinrichtungen keinen Gefallen getan.
Nachdem der Entwurf partout in Rekordzeit durch die Gremien gebracht werden sollte, gab es eine Anhörung lediglich der kommunalen Spitzenverbände, erwartungsgemäß hatten diese an der Eins-zu-Eins-Umsetzung ihrer Forderungen nichts auszusetzen.
Auf eine Anhörung der Trägerverbände dagegen wurde wohlweislich verzichtet. Zu deutlich wäre deren Ablehnung des Entwurfs ausgefallen.
Zwar wird mit der Änderung die Deckelung der Investitionskosten im ambulanten Bereich aufgehoben, daraus aber eine Stärkung der Situation der ambulanten Pflege abzuleiten greift zu kurz:
Schon heute bleiben Menschen bei Pflegebedürftigkeit so lange wie möglich in ihrer häuslichen Umgebung, 80% werden ambulant gepflegt. Die Verweildauer in den stationären Einrichtungen wird immer kürzer und die Menschen bei Heimaufnahme immer älter.
Wenn die Landesregierung etwas für die Stärkung der häuslichen Pflege hätte tun wollen, dann wäre es sinnvoll gewesen, endlich die Voraussetzungen zu schaffen, um die für die Betreuung der an Demenz Erkrankten benötigten niedrigschwelligen Angebote anzuerkennen und zu fördern. Es ist skandalös, dass zwei Jahre nach Verabschiedung des Pflegeleistungsergänzungsgesetzes des Bundes hier immer noch nichts geschehen ist.
Anrede,
mit diesem Gesetz werden nicht nur die Probleme der ambulanten Pflege nicht gelöst, sondern auch noch neue im stationären Bereich geschaffen. Durch die Abschaffung des Pflegewohngelds werden mindestens 8000 Menschen zusätzlich in die Sozialhilfe gedrängt. Dies widerspricht eindeutig der sozialpolitischen Intention des Pflegeversicherungsgesetzes, das genau diese Abhängigkeit wenn nicht gänzlich aufheben, so doch minimieren wollte. Besondere Verlierer werden 800 -1300 Angehörige sein, die in die Pflicht zur Zahlung für Ihre Angehörigen genommen werden.
Wenn das Land künftig keine stationären Einrichtungen mehr fördert hat das Auswirkungen auf die Investitionsbereitschaft von Trägern. Die geplanten Änderungen führen zu einer großen Rechtsunsicherheit bei Trägern, die derzeit neue Einrichtungen planen. Teilweise sind Investitionen wegen der unsicheren Refinanzierung bereits zurückgestellt worden.
Besonders deprimierend ist, dass Sie sich noch nicht einmal zur Fortführung der unabhängigen Beratungsstellen für die Betroffenen entscheiden konnten. Gerade im Pflegebereich, ob es sich nun um Notrufe wegen Gewaltanwendung handelt, oder um schwierige Fragen einer angemessenen Hilfe für Angehörige: alles das geben sie zu Lasten der Betroffenen leichtfertig auf. Dabei hatten Sie die Fortführung der Beratungsstelle zuerst zugesagt. Es bleibt mir bis heute ein Rätsel, warum sie sich von dieser Zusage zurückgezogen haben.

Anrede,
nun zu dem versprochenen Bürokratieabbau: Hier wird doch überhaupt nichts abgebaut, sondern im Gegenteil ein Berg von Bürokratie erst geschaffen: 1300 einzelne Einrichtung in Niedersachsen müssen bis zum 31.12.2003 Einzelverträge mit dem jeweiligen Sozialhilfeträger schließen, das ist überhaupt nicht zu schaffen, wenn das Gesetz im Schweinsgalopp unbedingt am 10.12. 2003 verabschiedet und am 1.1.2004 in Kraft treten soll.
Einige Landkreise haben schon angekündigt, dass sie Abschlagszahlungen nur mit einer Reduktion von 10% vornehmen werden. Das gibt für die träger große Probleme.
Die Schiedsstelle rechnet mit einer Lawine von Schiedsstellenverfahren, weil es im Moment überhaupt noch keine externen Vergleichsdaten gibt und das bezeichnen Sie als Bürokratieabbau!
Und in diesem Zusammenhang zeigt sich noch ein ganz wesentlicher Fehler des geänderten Gesetzes:

Mit diesem Gesetz zieht sich das Land aus seiner Verpflichtung nach §9 SGB 11, eine pflegerische Infrastruktur vorhalten zu müssen, zurück. Faktisch handelt sich um den Komplettausstieg des Landes aus seiner Verantwortung für die stationäre Pflege und damit kommt das Land seiner gesetzlichen Verpflichtung nicht mehr nach.
Das Land hat künftig überhaupt keine Steuerungsmöglichkeiten in diesem Bereich mehr und das ist eine große Gefahr für die pflegebedürftigen Menschen in Niedersachsen. Kriterien wie Wohnortnähe oder überschaubare Größenordnung (wir hatten als sozialpolitische Zielmarge immer 40 Plätze als Obergrenze angesagt, was bundesweit große Beachtung fand), all das wird über Bord geworfen. Sie reduzieren die Rolle des Landes auf die eines Nachtwächters.
Der Landkreistag hat in seinen Handreichungen für die künftig abzuschließenden Verträge nämlich die Marschrichtung schon angeben: Standards werden aufgeweicht und beliebig. Für Sozialhilfeempfänger werden zukünftig die Landkreise in den Verhandlungen mit den Trägern entscheiden, ob diesen noch ein Einzelzimmer zusteht. Ein Mindestmaß an Intim- und Privatsphäre aber ist eine Frage der Menschenwürde und des Menschenrechts. Auch aus fachlicher Sicht träfe diese Entwicklung ein unumstrittenes Qualitätsmerkmal und entspräche nicht den Wünschen der Betroffenen.
Das Alten- und Pflegeheim ist ja eben kein Krankenhaus, bei dem eine Zwangsgemeinschaft mit fremden Menschen für einen begrenzten Zeitraum hinzunehmen wäre, sondern die letzte eigene Häuslichkeit eines Menschen, an die entsprechende Anforderungen zu stellen sind.
Je nach Kassenlage der Kostenträger zukünftig Sozialhilfeempfänger nur noch im Doppel- oder sogar im Dreibettzimmer? So wird Qualität beliebig und zur Manövriermasse kommunaler Haushalte.

Anrede,
Sie haben all diese Bedenken während der Ausschussberatungen nicht widerlegen können und müssen sich deshalb bei Verabschiedung dieses Gesetzes darüber im Klaren sein, dass Sie die Hand für eine Verschlechterung der Situation pflegebedürftiger Menschen in Niedersachsen heben werden.

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