Rede Ursula Helmhold: Landesbericht Armut und Reichtum fortsetzen

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Meine Damen und Herren,
die Landesarmutskonferenz und der DGB haben vor wenigen Wochen gemeinsam vor der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich in Niedersachsen gewarnt und dies einerseits auf bundespolitische Reformen, auf die Lage am Arbeitsmarkt , auf der anderen Seite aber auch auf den "strikten Kürzungskurs" der niedersächsischen Landesregierung zurückgeführt.
Um genauere Erkenntnisse über die Entwicklung von Armut und Reichtum und die Wirkungen politischer Programme und Maßnahmen über die Armutsentwicklung, über die gerechte Verteilung von Belastungen, über die Lage von Kindern und Jugendlichen, aber auch über Vermögen und Einkommen zu erhalten bedarf es einen kontinuierlichen landesweiten Monitorings in Form eines Landesberichtes. Der Landtag hatte 1996 den Beschluss gefasst, einen solchen Bericht zu erstellen und insbesondere auch, ihn fortzuschreiben. Seit Vorlage dieses ersten niedersächsischen Berichts sind über sechs Jahre vergangen ohne dass irgendetwas geschehen ist. Das finden wir sehr beklagenswert. Offenbar, so wird wahrscheinlich bei CDU und FDP kalkuliert, würde ein solcher Bericht nicht in das Image dieser Landesregierung passen. Da lässt man es denn am besten gleich bleiben und verschließt die Augen vor der bedrohlichen Entwicklung.
Dies ist aber dann weder vorausschauende Sozialpolitik noch Benennung und Bekämpfung der Ursachen der disparaten Entwicklung. Eine Politik, die sich für soziale Gerechtigkeit und das Gemeinwohl einsetzen will, braucht eine solide Informationsgrundlage.
Sie braucht aber auch klare Wertentscheidungen: was verstehen wir unter Gerechtigkeit und was verstehen wir unter Menschenwürde. Wenn wir über Gerechtigkeit sprechen, und das ist bei einem solchen Thema immer nahe liegend, dann geht es nicht allein um Verteilungsgerechtigkeit und die große Bedeutung staatlicher Transferzahlungen. Der Gerechtigkeitsbegriff muss weiter gefasst werden: es geht auch um Generationengerechtigkeit, um Chancengerechtigkeit, um Teilhabegerechtigkeit. Diese verschiedenen Ebenen wollen wir nicht gegeneinander ausspielen, sondern in ihrer Vielschichtigkeit beurteilen und handhaben. Dafür brauchen wir aber neben inneren Überzeugungen auch eine rationale breite lebenslagenorientierte Informationsbasis.
Die Bundesregierung hat diesbezüglich ihre Schularbeiten, wenn man das so sagen will, getan. Der erste bundesweite Armuts- und Reichtumsbericht lag 2001 vor, der zweite wird am kommenden 3. März im Bundeskabinett verabschiedet und dann der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Bundesregierung weiß, dass dort nicht nur Angenehmes drin stehen wird und trotzdem bekennt sie sich zu einer solchen erneuten Analyse, im Gegensatz zur Landesregierung, die sich in Schweigen hüllt und bei schlechten Nachrichten gerne immer alle Schuld nach Berlin schiebt.
Anrede,
Darüber, dass Armut und Reichtum in Deutschland existieren, sind wir uns einig. Und dass wir in einem der reichsten Länder der Welt Armut bekämpfen müssen und als Politik in der Verantwortung stehen, ist uns hoffentlich allen klar. Doch dann beginnt die Debatte: wo fängt Armut an, wo hört sie auf, was ist Reichtum?
Sicher braucht heute in Deutschland niemand wirklich zu hungern, auch wenn bei von Armut betroffenen Menschen sehr häufig Fehlernährung und ernährungsbedingte Krankheiten zu verzeichnen sind.
Armut und Reichtum sind relativ. Nach unserer Definition ist nicht nur derjenige arm, der nicht genügend Mittel zum physischen Überleben hat, sondern auch der, der im Vergleich zu den Standards einer Gesellschaft über nur geringe Ressourcen verfügt, kaum Chancen auf Bildung und sozialen Aufstieg haben und deren Kindern die soziale Randständigkeit quasi in die Wiege gelegt zu sein scheint.
Wir wissen, dass unzureichende Bildung und mangelnde berufliche Qualifikation zu den Hauptursachen von Armut gehören.
Das Armutsrisiko ist, das kann man nicht bestreiten, gestiegen. Aber es hat viele Facetten, die genauer beleuchtet werden müssen. Zu einen höheren Risiko trägt sicher die Zunahme von geringfügigen bzw. Teilzeitbeschäftigungen bei. Diese reichen zur Existenzsicherung nicht! Die Gesamtzahl überschuldeter Haushalts erhöhte sich zwischen 1998 und 2002 um 13%.
Auf der anderen Seite haben wir einen Rückgang der Altersarmut und einen Abbau der Wohnungslosigkeit zu verzeichnen. Kindergelderhöhungen und Kinderzuschlag vermindern das Armutsrisiko erheblich.

Aber auch die Entwicklung der Vermögen muss näher betrachtet werden. Zwischen 1998 und 2003 stieg bundesweit das Nettovermögen um nominal 17%, dominiert durch das Immobilienvermögen. Die Privat- vermögen sind sehr ungleich verteilt: währen die unteren 50% der Haushalte nur über etwas weniger als 4% des gesamten Nettovermögens verfügen, entfallen auf die vermögensten 10% der Haushalte knapp 47%. Dieser Anteil ist im genanten Zeitraum sogar noch um 2% gestiegen. Sehr hoch ist das Erbschaftsvermögen. Gerade hier könnte man durch eine erhöhte Erbschaftssteuer zu einer gerechteren Lastenverteilung kommen und erhebliche Mittel für Ausbildung und Bildung erbringen.
Anrede
Unter den gegenwärtigen Umständen brauchen einen auf Landesebene zu erarbeitenden Bericht zu Armut und Reichtum dringender denn je. Wir dürfen nicht zulassen, dass immer mehr Menschen chancen- und perspektivlos am Rande unserer Gesellschaft stehen. Machen Sie sich deshalb den damaligen Beschluss des Landetages zu eigen und legen Sie der Öffentlichkeit bald einen Bericht vor.

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