Rede Ursula Helmhold: Haushalt 2008 - Soziales

 

Anrede,

heute ist die Zeit für eine Bilanz über fast fünf Jahre schwarz-gelbe Sozialpolitik. Wie fing 2003 die Dramaturgie für die Legislatur an? Der Finanzminister, sein Image als "harter Maxe" fest im Blick, zwang das Kabinett zur Ablieferung von zwei und dreistelligen Millionenbeträgen. Das dabei zugleich die sozialpolitische Landschaft des Landes erheblichen Schaden nahm wurde billigend  in Kauf  genommen – frei nach dem Motto: was wir zu Beginn einer Wahlperiode an Schweinereien durchziehen, erinnert am Schluss niemand mehr. Im Grunde ging es einmal mit der Kettensäge durch die sozialpolitische Landschaft.

Anrede,

der härteste Schnitt war die nahezu komplette Streichung des Landesblindengeldes – ein Totalaffront gegen die Betroffenen, die zur größten Gegendemonstration blinder Menschen in der Geschichte der Bundesrepublik in Hannover führte und die Einleitung eines Volksbegehrens provozierte. Hier versagte die politische Intuition nicht nur der damaligen Sozialministerin von der Leyen sondern auch die des Ministerpräsidenten. Sie wollten an den blinden Menschen ein symbolisches Exempel härtester Sparsamkeit statuieren. Sie wollten blinde Menschen wieder zu Fürsorgeempfängern degradieren.

Wir hatten Ihnen gemeinsam mit Landesblindenverband frühzeitig Brücken gebaut. Doch Sie wollten sie nicht nutzen und mussten also ins kalte Wasser. Schlussendlich musste die Nachfolgerin Frau von der Leyens den Trümmerhaufen auffegen und einen Kompromiss einfädeln, denn Sie schon viel früher hätten haben können. Ein völlig unnötiger Zick-Zack-Kurs, der die Menschen, die es betraf, auf das Äußerste irritiert hat.

Den Einrichtungen der Eingliederungshilfe wurde in den letzten 4 Jahren eine Nulldiät verordnet. Sie haben behinderte Menschen als Sparbüchse benutzt und damit "Maßstäbe" für die sozialpolitische Wertigkeit unserer behinderten Mitmenschen in der Politik der Landesregierung gesetzt, die genauso "schäbig" genannt werden müssen wie sie bei der Streichung des Landesblindengeldes "blindwütig" waren.

Der Verkauf der Landeskrankenhäuser sollte Haushaltslöcher stopfen, ihm lag keinerlei psychiatriepolitisches Konzept zugrunde. Auch hier hatten wir Ihnen mit unserem Entschließungsantrag Brücken gebaut, die Sie nicht begehen wollten, obwohl Sie bald nach Verkündung der Verkaufsabsicht schon von ihrem Vorhaben, die Forensischen Landeskrankenhäuser mit zu verkaufen und den Rest "en bloc" zu veräußern, Abstand nehmen mussten. Und ob Ihre Rechnung  aufgeht, wagen wir angesichts der weitgehenden finanziellen Zusagen, die die Landesregierung an die neuen Eigentümer bei den Investiven Kosten gemacht hat, zu bezweifeln. Und überhaupt: Der Verkauf war haushaltspolitisch überflüssig, psychiatriepolitisch äußerst leichfertig und verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Aber an Watschen von Verfassungsgerichten haben Sie sich ja geradezu schon gewöhnt.

Mit der  Abschaffung und Kommunalisierung des Pflegewohngeldes gaben Sie dem langen Drängen des Landkreistages nach und nahmen die Folgen für die alten Menschen leichtfertig in Kauf: Sie gaben jede Steuerungsmöglichkeit und die Möglichkeit einheitlicher landesweiter Standards aus der Hand. Es fallen nun erneut mehr Menschen in die Sozialhilfeabhängigkeit – doch genau das sollte mit Einführung der Pflegeversicherung weitgehend vermieden werden. Und die Sozialhilfeträger zwingen zunehmend weniger betuchte Pflegebedürftige in Mehrbettzimmer. Das ist unwürdig und das haben Sie zu verantworten. Um die Sicherung der Zahl der Fachkräfte in der Altenpflege drücken Sie sich sehenden Auges.

Das rechtzeitige Umsteuern Ihrer Politik vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung haben Sie verschlafen. Das zeigte sich nicht nur in der Ablehnung zahlreicher Anträge unserer Fraktion zur Demografischen Entwicklung. Das zeigte sich am deutlichsten in der fünf Jahre währenden Weigerung, auf das Bund-Länder-Programm Stadtumbau West einzusteigen. Gerade hier hätten Sie beweisen können, dass Sie die Zeichen der Zeit erkannt haben und die Kommunen aktiv auf die absehbaren Änderungen in der Bevölkerungsentwicklung vorbereiten wollen. Stattdessen haben Sie zwei Jahre viel Geld für eine Demografie – Enquete- Kommission ausgegeben, die letztlich Erkenntnisse zusammengetragen hat, die uns mehr oder weniger alle schon vorher bekannt waren und die in einer Enzyklopädie der Unverbindlichkeiten mündete.

Zu dieser Negativbilanz gehört auch die Aufkündigung der von Ihnen so genannten Partnerschaftlichen Sozialpolitik 2004 – von Ihnen vermutlich schon vergessen oder verdrängt!

Oder: Die Einstellung der landesweiten Fachstelle für Wohnberatung die jetzt übrigens unter dem neuen Emblem "Niedersachsenbüro" wiederbelebt wird.

Nachdem Sie in der Vergangenheit so selten auf uns gehört haben, freue ich mich ja, dass dies inzwischen anders geworden ist. Den von uns geforderten Sozialfonds für Kinder, deren Eltern das Mittagessen nicht bezahlen können, haben Sie übernommen, nachdem Sie sich in dieser Frage nahezu sechs Monate lang taub gestellt haben.

Ansonsten interessiert Sie die zunehmende Armut im Lande jedoch herzlich wenig.  Sie wollen davon so wenig wie möglich wissen, deshalb haben Sie die Fortschreibung des Armutsberichts, aber auch die regionalisierte Sozialberichterstattung abgelehnt.  Wie die Koalitionsfraktionen hier mit den Wohlfahrtsverbänden umgegangen sind, wie sie die beinahe ein Jahr lang hingehalten haben, ist mehr als schäbig.

Eine Initiative zur Erhöhung der Regelsätze, wenigstens für Kinder – Fehlanzeige. Fahrtkostenübernahme für arme Kinder, die weiterführende Schulen besuchen? Auch hier herrscht bei Ihnen das Schweigen im Walde. Aber das passt zu Ihrer Schulpolitik, die Kinder mit Migrationshintergrund oder aus ärmeren Elternhäusern maximal diskriminiert. Gerechtigkeit ist eben nicht wirklich Ihr Ding, meine Damen und Herren.

Dass Ihre frauenpolitische Bilanz im tiefroten Bereich landet werden Sie nicht bestreiten. Die weitestgehende Abschaffung und Schwächung der kommunalen Frauenbeauftragten, die Abschaffung der Projektförderung, die Änderung des Hochschulgesetzes und die vorauszusehenden Verwerfungen durch die Kürzungen in der neuen Gewaltschutzrichtlinie  zeigen den geringen Stellenwert,  den Sie der Frauenpolitik beimessen. Bei Ihnen wird aus Frauenpolitik eben Familienpolitik, aber das greift zu kurz. Warme Worte ersetzen fehlende Strukturen eben nicht.

Und überhaupt  strotzt die Sozialpolitik zur Zeit vor Ankündigungen und Verheißungen  - ohne dass dafür der jeweils notwendige "Unterbau" zur Umsetzung schon vorhanden wäre, zum Beispiel bei der Ankündigung des Budgets für Arbeit, der Seniorenbüros oder Alltagsbegleiter. 

Runde Tische, Foren, Gipfeltreffen werden eingerichtet und abgehalten. Das ist  Wahlkampfnebel  pur.  Die Ministerin versucht tapfer die katastrophalen Taten, aber vor allem die Ideenlosigkeit der letzten 5 Jahre zuzudecken und in Windeseile die Versäumnisse aufzuholen.

Ob Ihnen das die Betroffenen vor dem Hintergrund der sozialpolitischen Erfahrungen der vergangenen Jahre abnehmen, wage ich zu bezweifeln.

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