Rede Ursula Helmhold: Haushalt 2006 - Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit

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Anrede,
die ehemalige Sozialministerin hat in Niedersachsen einen Trümmerhaufen hinterlassen, den die neue Ministerin, entgegen anders lautender Verkündigungen, als Trümmerfrau aufzuräumen wohl weder willens noch in der Lage sein wird.
Da wäre die Trümmerlandschaft Landesblindengeld.
Kaltherzig wurde im vergangenen Jahr den blinden Menschen in Niedersachsen das Blindengeld gestrichen. Und alles, was wir und die Betroffenen Ihnen vorausgesagt haben, ist eingetreten:
Seit Jahresbeginn ist der Anteil blinder Menschen in Niedersachsen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, von zehn auf 25 Prozent gestiegen. Und genau das wollten Sie. Sie wollen den Wechsel von gleichberechtigter Teilhabe zur Armenfürsorge. Der Blindenfonds ist grandios gescheitert – nur etwa 5% der Summe ist ausgeschöpft – offenbar passen die dort angebotenen Leistungen nicht zur Lebensrealität der Betroffenen.
Werden Sie doch endlich vernünftig und reden Sie mit den Blinden über eine angemessene Lösung. Wir haben Ihnen im letzten Jahr gemeinsam mit dem Blindenverband einen Kompromissvorschlag vorgelegt, der ihnen goldene Brücken gebaut hat. Nehmen Sie dieses Angebot doch endlich an!
Oder wollen Sie wirklich warten, bis das Volksbegehren Sie zur Umkehr zwingt?
Die zweite Trümmerlandschaft ist die Psychiatrie in Niedersachsen. Ohne Sinn und Verstand verkündete der Finanzminister die Zertrümmerung der Landespsychiatrie. Ein reformerisches Ziel steht nicht dahinter, es geht allein darum, durch das Einstellen eines geplanten Verkaufserlöses Haushaltslöcher zu stopfen. Der Finanzminister hat die Psychiatrie als Geldquelle entdeckt und die Sozialministerin hat sie kampflos, weil am Thema uninteressiert, preisgegeben.
Die Landeskrankenhäuser arbeiten wirtschaftlich und könnten in der Form einer Anstalt öffentlichen Rechts auch für die Zukunft gut aufgestellt werden. Erhebliche Versäumnisse dagegen erkennt der Landesrechnungshof in seinem Bericht im Bereich des Sozialministeriums. Und jetzt soll die niedersächsische Psychiatrie für die Fehler des Ministeriums bezahlen!
Nun sind Sie beim Maßregelvollzug schon zurückgerudert, nachdem Ihnen aber auch jeder Experte gesagt hat, dass man das nicht machen kann. Auch der Paketverkauf steht aus kartellrechtlichen Gründen nicht mehr an.
Aber wie beim Blindengeld treiben Sie hier ein doppeltes Spiel: Die Beteiligten werden hingehalten und beruhigt und ansonsten wird die Sache durchgezockt.
Denn während die neue Ministerin noch Ende November erklärte, für sie käme auch die Übertragung auf eine Anstalt öffentlichen Rechts in Frage, schrieb das Finanzministerium eine Woche später den Beratervertrag zum Verkauf der Landeskrankenhäuser aus. Wer ist hier eigentlich für die Psychiatrie zuständig? Offenbar hat im gesamten Verfahren der Finanzminister das Heft in der Hand und die jeweiligen Sozialministerinnen dürfen Nebelkerzen werfen und der Öffentlichkeit Beruhigungspillen verabreichen.
Nun hat der CDU-Fraktionsvorsitzende McAllister in dieser Woche die Losung ausgegeben, die CDU müsse mehr Geschichten erzählen und George W. Bush als leuchtendes Vorbild hingestellt. Also, ehrlich gesagt, die Märchen, die diese Landesregierung den Blinden und auch den Betroffenen in der Psychiatrie erzählt hat und erzählt, finde ich verdrießlich genug. Lügen haben bekanntlich kurze Beine und so langsam müssen Sie aufpassen, dass Sie hier noch über die Kante gucken können. Ihnen glaubt doch niemand mehr!!
Für den Finanzminister ist die Psychiatrie offenbar nichts als eine Ware, mit der er nach Gewinnmaximierungsprinzipen verfährt. Aber auch hier mutet sein Vorgehen seltsam an. Der Wert der Grundstücke allein beträgt 290 Millionen Euro. Warum er diese Grundstücke jetzt für ca. 100 Millionen Euro privaten Investoren in den Rachen schmeißen will, wird er uns noch zu erklären haben.
Anrede,
was Sie überhaupt nicht beachten bei Ihren Verscherbelungsplänen: Sie geben jegliche Steuerungsmöglichkeit des Landes im Psychiatriebereich aus der Hand.
Die gemeindenahe Behandlung und Versorgung von psychisch kranken Menschen als gesundheitspolitische Zielsetzung muss in Niedersachsen in vielen Bereichen noch weiter vorangetrieben werden. Deshalb sollten Sie schleunigst mit bewährten und zuverlässigen regionalen Krankenhausträgern reden, die ja durchaus schon Interesse bekundet haben.
Anrede,
auch die Frauenpolitik hat in der Amtszeit Ihrer Vorgängerin schweren Schaden genommen. Wenn Frauen nur noch als Mütter oder Gewaltopfer wahrgenommen werden sollen, dann spricht das für eine äußerst eingeschränkte Perspektive. Den frauenpolitischen Strukturen haben Sie schwer zugesetzt. Die Abschiebung der Frauenbeauftragten aufs Ehren- und aufs Nebenamt wird in mehr und mehr Kommunen Niedersachsens Realität und schwächt die Möglichkeiten von Frauen, die lokale Politik und Verwaltung zu beeinflussen. Im nächsten Jahr wollen Sie bei der Novelle des NGG Geld einsparen. Frauenprojekte lassen Sie ausbluten und wenn es hart auf hart kommt, beispielsweise beim Thema Zwangsprostitution, dann sind Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, keine verlässlichen Partner. Hier ist dringend ein genereller Kurswechsel erforderlich.
Anrede,
noch eine Gruppe leidet schwer unter dieser Landesregierung. Den Behinderteneinrichtungen haben Sie bereits die dritte Nullrunde verordnet. Das geht nur auf Kosten der Qualität und damit sparen Sie auch hier zu Lasten der Schwächsten unserer Gesellschaft. Wieder einmal führt der Finanzminister das Zepter, indem er die Tarifverhandlungen zwischen Ländern und Gewerkschaften, an deren Ergebnis sich auch die Bezahlung der Beschäftigten in den Behinderteneinrichtungen ausrichtet, ins Unendliche zieht und so Millionen Euro auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer spart.
Noch immer warten die behinderten Menschen in Niedersachsen auf das lange angekündigte Gleichstellungsgesetz. Noch immer stehen angeblich schwierige Ressortabstimmungen einer Umsetzung im Wege. Wird die Sozialministerin sich da vielleicht endlich mal gegen die Innen- und Haushaltspolitiker durchsetzen und die Interessen der Menschen vertreten, für die sie da ist? Es ist doch leider zu befürchten, dass sie ein weiteres Mal klein beigibt und entweder ein windelweicher Minimalkonsens oder eine Verschiebung auf den Sankt-Nimmerleinstag dabei herauskommt.
Anrede,
einen weiteren Trümmerhaufen stellt das Verhältnis von Landesregierung und Regierungsfraktionen zur Freien Wohlfahrtspflege dar, das offensichtlich völlig zerrüttet ist. Die Kürzung der zentralen Zuschüsse an die Verbände, die Kappung der Lotto-Toto-Mittel, das Zurückfahren der Ausschüttungen und die übertriebene Kommunalorientierung der Leitung des Sozialministeriums haben schwere Vertrauensverluste nach sich gezogen. Die Folgen sind Beschneidungen sozialer Hilfen und Beratungsangebote durch die Wohlfahrtspflege, die mitnichten von den Kommunen aufgefangen werden können. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass bei der 60-Jahr-Feier der niedersächsischen Wohlfahrtspflege weder die Sozialministerin noch ihr Staatsekretär vertreten waren.
Anrede,
die Menschen merken immer mehr, was sie von Ihrer Art Sozialpolitik zu halten haben. Wer mit einem Lächeln voran Geschichten erzählend die soziale Landschaft in Trümmer schlägt, kommt auf Dauer damit nicht durch, da können Sie sicher sein.

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