Rede Ursula Helmhold: Entwurf eines Gesetzes über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen (BestattG)

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Anrede,
leider haben die langen Beratungen im Ausschuss nur zu einer halbherzigen Reform geführt. Diese Halbherzigkeit beginnt bereits mit dem von Ihnen im Ausschuss durchgesetzten Grundsatz, der dem Gesetz voransteht.
Indem Sie mit dem so genannten sittlichen, religiösen und weltanschaulichen Empfinden der Allgemeinheit operieren, unterstellen Sie das gesamte Werk einem Pietätsbegriff, unter dem sich qualifizierte Minderheiten der Bevölkerung nicht mehr wieder finden können.
Es ist gut, dass jetzt auch in Niedersachsen Friedwälder, sarglose Bestattungen und so genannte Peace-Boxen bei der Kremierung möglich werden. Aber da hört es bei Ihnen dann auch auf.
Viel Energie verwendeten Sie darauf, die Bestattung von Kardinälen und Diözesanbischöfen zu regeln.
Die vielen Menschen in Niedersachsen, die eine Aufhebung des Friedhofszwangs für Urnen wünschen, wurden von Ihnen nicht mit Aufmerksamkeit beehrt. Viele möchten beispielsweise, dass ihre Asche an einem Ort verstreut oder in ihrem Garten bestattet oder auch bei einem Angehörigen aufbewahrt wird. Das bleibt in Niedersachsen aber verboten! Dieses Verbot entspricht nicht mehr den Anforderungen einer liberalen Gesellschaft, in der Trauerrituale immer mehr an gesellschaftlicher Verbindlichkeit verloren haben. Mit der Aufhebung des Friedhofzwangs kämen wir dem Wunsch von 35% der Bevölkerung nach und uns würden uns unseren europäischen Nachbarn anpassen.
Allerdings möchten wir eine hohe Hürde einbauen: Die Aufhebung des Friedhofzwangs soll nur gelten, wenn der Verstorbene dies testamentarisch verfügt hat. Damit stellen wir dessen letzten Willen in den Mittelpunkt unseres Änderungsantrags. Gegen diesen letzten Willen wollen Sie mit Mehrheitsentscheidung Ihre Auffassung von Pietät durchsetzen. Dies verletzt in eklatanter Weise die Würde und das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen und auch der Hinterbliebenen, wenn diese den letzten Willen nicht beachten können, weil der Friedhofszwang dem entgegensteht.
Wir haben eine große Zahl von Petitionen erhalten, in denen Menschen mehr Liberalität im Bestattungswesen fordern.
Wir hätten erwartet, dass die FDP an dieser Stelle ihr Freiheitscredo laut gesungen hätte, statt feige einzuknicken. Ihre Kollegen in Sachsen-Anhalt sind da ja wesentlich weiter, meine Damen und Herren.
Ihr ganzes Gesetz atmet den Geist einer konservativen Leitkultur, den Sie auch in der Debatte um die Sterbehilfe verströmen. In beiden Fällen verweigern Sie Menschen das Selbstbestimmungsrecht und akzeptieren andere Lebens- und Sterbensentwürfe nicht.
Und eins verstehe ich überhaupt nicht: Die Urne der Witwe ehemaligen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht ist im Garten der Familie bestattet. Warum wollen Sie dieses Recht den weniger prominenten Niedersachsen und Niedersächsinnen verweigern?
Sie sprechen viel vom Recht der Hinterbliebenen auf einen Ort der Trauer. Mal abgesehen davon, dass Sie dann konsequenterweise auch Seebestattungen nicht zulassen dürften, sprechen Sie aber weiten Teilen der Bevölkerung das Recht auf ihre individuelle Form der Trauer ab.
Anrede,
Sie werden Menschen nicht davon abhalten, das zu tun, was sie für richtig und wichtig halten. Sie zwingen sie aber zur Erfüllung des letzten Willens in eine Grauzone und zu Umwegen über das benachbarte Ausland und das nenne ich würdelos.
Insgesamt haben sich die Kirchen und Interessenverbände auf ganzer Linie durchgesetzt – auf der Strecke geblieben sind die berechtigten Interessen vieler Menschen in Niedersachsen, die die von Ihnen geplante Verbotskultur nicht wollen.
Wir müssen respektieren, dass Menschen vielfältige Formen der Trauerarbeit entwickeln und ihnen einen legalen Gestaltungsrahmen für Beerdigungsriten eigener Art zu ermöglichen. Dies sollte in einer offenen und toleranten Gesellschaft möglich sein.
Wir stellen an das neue Gesetz zwei Ansprüche: Respekt vor dem Individuum und mehr Freiheit der Entscheidung für den Einzelnen.
Beide erfüllt es nicht und deshalb werden wir ihm nicht zustimmen.

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