Rede Ursula Helmhold: Das Parlament ist das Herz der politischen Willensbildung in Niedersachsen

es gilt das gesprochene Wort

Anrede,

seit geraumer Zeit gibt es Unmut über die Außendarstellung des Niedersächsischen Landtags, der im Dezember in den Debatten über Ordnungsrufe und Twitter kulminierte. Dies als einzig zu bearbeitendes Problem zu sehen, greift aus meiner Sicht jedoch zu kurz.

Natürlich kann und sollte sich jeder an die eigene Nase fassen und sich fragen, wie er dazu beitragen kann zu einer vernünftigen Auseinandersetzung im Plenum beizutragen – ich nehme mich da ausdrücklich nicht aus.

Im Kern geht es aber meiner Ansicht nach bei dem regelmäßigen Unmut hier im Plenum darum, dass Regierung, Opposition und Mehrheitsfraktionen offenbar divergierende Vorstellungen über die Prinzipien des Parlamentarismus haben und dies zunehmendes Unbehagen und Spannungen auslöst. Wir legen deshalb heute einen Entschließungsantrag vor, der die aus unserer Sicht in diesem Zusammenhang wichtigsten Punkte aufgreift.

Anrede,

das Wichtigste an einem Parlament sind nicht die Regierungsfraktionen, sondern das Vorhandensein der Opposition. Der jüngst wiedergewählte Bundestagspräsident Norbert Lammert, CDU, hat es in seiner Rede in der konstituierenden Sitzung des Deutschen Bundestags im Oktober letzten Jahres treffend ausgedrückt:

" Die demokratische Reife eines politischen Systems ist nicht an der Existenz der Regierung zu erkennen, sondern am Parlament und vor allem am Vorhandensein einer Opposition und ihrer politischen Wirkungsmöglichkeiten. Regiert wird immer und überall. Die Opposition macht den Unterschied."

Genau so ist es.

Norbert Lammert sprach auch davon, dass in der Demokratie nicht die Regierung das Wichtigste ist. Ich zitiere weiter: " Nicht die Regierung hält sich ein Parlament, sondern das Parlament bestimmt und kontrolliert die Regierung."

Im Niedersächsischen Parlament drängt sich ein anderer Eindruck auf: Die Landesregierung scheint den Plenarsaal zunehmend als ihren Thronsaal zu begreifen. Da ergreift im Dezember in einer aktuellen Stunde der Ministerpräsident als erster das Wort, ohne dass dies in irgend einer Weise vom Präsidium wenigstens kommentiert würde.

Da werden Anfragen von Abgeordneten unvollständig oder nicht beantwortet, dafür aber die Qualität der Fragen oder der Fragesteller seitens der Regierungsmitglieder kommentiert. Die Fragestunde wird zu länglichen Erklärungen von Regierungsmitgliedern genutzt, die Regierungserklärungen gleichen, nur dass keine Debatte erfolgen kann. Wir konnten das gerade gestern wieder erleben.

Da verlangt der Ministerpräsident eine Sitzungsunterbrechung und droht damit, den Plenarsaal sonst zu verlassen. Und die Sitzung wird auch prompt unterbrochen!

Mit Verlaub, meine Damen und Herren von der Regierungsbank. Ich sag es mal mit Rio Reiser:  "Dies ist unser Haus"  Und ob Sitzung ist oder keine – das entscheiden wir alleine.

Ein Teil der Unzufriedenheit des Hauses, die sich auch in Unruhe während der Sitzungen äußert, ist also zweitens schlicht dem sehr dominanten Auftreten der Regierung in diesem Plenarsaal geschuldet.

Anrede,

Sehen wir uns dann einmal die Änderungen der Geschäftsordnung an, die Sie durchgesetzt haben: Abschaffung der Kurzinterventionen bei aktueller Stunde und strittigen Eingaben, Beschränkung der Anzahl der Fragen bei den Dringlichen Anfragen, keine einleitenden Bemerkungen mehr bei der Fragestellung – alles Regierungsschutzbestimmungen und damit eine Schwächung der Opposition.

Wir erleben dies auch in den Sitzungen des Ältestenrats. Wünsche der Opposition, speziell der Linken werden zunehmend mit Mehrheitsentscheid abgebügelt, wenn es beispielsweise um die Aufstellung der Tagesordnung geht.

Warum zum Beispiel setzt Ihre Mehrheit durch, dass die mündlichen Anfragen jetzt in der Tagesordnung am Donnerstagnachmittag versteckt werden? Wir vermuten deshalb, weil es so den Ministerien noch leichter fällt, die Antworten zu veröffentlichen noch bevor der Abgeordnete die Gelegenheit dazu hatte. Wir haben das gerade gestern wieder erlebt.

Anrede,

zu einem weiteren Teil sind die beklagten Zustände auch gewissen Ritualen der Regierungsfraktionen geschuldet. Wir erleben hier regelmäßig inszenierte Spektakel der CDU-Fraktion in Abgrenzung zur Linken. Schneller lassen sich die eigenen Reihen nicht schließen, schneller die Stimmung bei den eigenen Leuten nicht anheizen als mit ein paar Bemerkungen die wahlweise "Mauer", "SED", "PDS" oder "Bauernleger" enthalten. Wenn Sie dies sein ließen, wäre viel gewonnen.

Wissen Sie, mir ist aufgefallen, dass Sie überhaupt nicht mehr über die 68ger reden. Das war doch Ihr Lieblinsfeindbild der letzten Wahlperiode, als sich die Herren MacAllister und Rösler ja teilweise vor lauter Klischees gar nicht mehr einkriegen konnten.

Heute nun funktionalisieren Sie die Linke hier im Landtag zu Ihrer eigenen Selbstvergewisserung. Das mag im Moment auch bitter nötig sein, wo einerseits Teilen der CDU in der Koalition mit den Liberalen im Bund und unter der Bundeskanzlerin die inneren Koordinaten verloren gehen, andererseits die FDP die liberalen Koordinaten verliert, eigentlich sogar im Moment ohne Kompass unterwegs zu sein scheint.  Da hilft ein gepflegtes Feindbild natürlich. Es ist aber hoch gefährlich, wenn Sie regelmäßig einer hier im Landtag vertretenen Partei das Demokratische absprechen. Dies gehörte übrigens dringend durch Ordnungsrufe getadelt.

Es ist so wie es ist. Wahlen haben es entschieden: In diesem Hause wohnen alle gewählten Fraktionen

Anrede,

um überhaupt vor dem Hintergrund der Anforderungen einer modernen Mediengesellschaft die Parlamente wieder zum zentralen Forum der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu machen, muss die Arbeit des Landtags transparenter werden.

Die Transparenz von der ich spreche bezieht sich auf größtmögliche innere Offenheit. Wir wollen endlich öffentliche Ausschusssitzungen. Wir erleben leider zu oft, dass in den Beratungen der Ausschüsse wenig argumentative Auseinandersetzung stattfindet, Anhörungen oder Unterrichtungen verweigert werden, Fristen extrem kurz gesetzt und Gesetze in größter Eile beraten werden.

Wir wollen schnellstens Audio- und Videostreamübertragungen der Sitzungen und die Einführung von öffentlichen und elektronischen Petitionen nach dem Vorbild des Deutschen Bundestags.

Und wir wollen, dass das Präsidium sich mit der Frage beschäftigt, wie der Landtag seinen Auftrag als zentraler Ort der gesellschaftlichen Diskussion wahrnehmen kann und zum Beispiel eine entsprechende Tagung ausrichtet.

Uns, meine Damen und Herren, ist nicht so sehr die Hülle des Parlaments wichtig, sondern vielmehr das, was darin stattfindet. Oder anders ausgedrückt: Es geht darum, wie es innen besser wird, nicht wie es von außen schöner aussieht

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