Rede Ursula Helmhold: Behindertengleichstellungsgesetz jetzt

Anrede,

was wir in diesem Hause zum Thema Behindertengleichstellungsgesetz erleben, gleicht einem Stück aus dem politischen Tollhaus, genauer betrachtet ist es ein Trauerspiel!

Erster Aufzug: 14. Wahlperiode

Erster Akt: Der Landesbehindertenbeauftragte legt im September 1999 einen Gesetzentwurf vor, der umgehend in den Schubladen der damaligen Sozialministerin Merk verschwand. Im April 2000 legt die damalige Regierungsfraktion einen Entschließungsantrag vor, in dem in vagen und sehr diplomatischen Formulierungen eine Reihe von behindertenpolitischen Zielen formuliert wird. Konkret geschieht nichts.

Zweiter Akt: Die Grünen bringen nach dem Tag der Behinderten im Mai 2000 den Gesetzentwurf des Landesbehindertenbeauftragten als eigenen Gesetzentwurf in den Landtag ein.

Dritter Akt: Im August 2001 fasst der Landtag einen wachsweichen Beschluss, mit dem aber immerhin  die Landesregierung aufgefordert  wird "nach Vorlage eines Bundesgesetzentwurfs zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen die dann noch nötigen gesetzlichen Regelungen zur Umsetzung der  Gleichstellung und Förderung Behinderter zügig auf Landesebene zu schaffen." Dies allerdings geschieht nicht.

Vierter Akt: Im Februar 2002 beschließt der Deutsche Bundestag das Bundesgesetz zur Gleichstellung Behinderter. Es dauert dann sage und schreibe noch einmal 9 Monate, bis im Dezember 2002 ein Gesetzentwurf auf den Tischen des Landtages liegt, der prompt der Diskontinuität anheim fällt.  Damit ist klar, dass es in der 14. Wahlperiode nichts mehr damit werden würde. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Die damalige Landesregierung erntet Hohn und Spott; die Behinderten fühlen sich, zu Recht, verschaukelt.

Zweiter Aufzug: 15 Wahlperiode

Erster Akt: Bereits im Mai 2003 legt die SPD einen Entschließungsantrag vor, in dem sie fordert, nun müsse aber schleunigst ein Landes-Gesetzentwurf zur Gleichstellung Behinderter vorgelegt werden.

Zweiter Akt: Die SPD bringt im Februar 2005 erneut ihren alten Gesetzentwurf in den Landtag ein. All das hätte sie selbst in ihrer eigenen Regierungszeit natürlich locker regeln können.

Dazwischen tritt die Landesregierung in verschiedenen Intermezzi, so zuletzt beim Landesbehindertenbeirat, auf, ohne dass Entscheidendes passiert. Nachdem das Land Mecklenburg-Vorpommern kürzlich sein Gleichstellungsgesetz beschlossen hat, ist Niedersachsen nun das (aller)letzte von 16 Bundesländern, das meint, ohne Gleichstellungsgesetz auskommen zu können.

Dabei geht es um die Verwirklichung eines Stücks Menschenrecht für behinderte Menschen. Die rotgrüne Bundesregierung hat hier längst Zeichen gesetzt. Auch mit dem Antidiskriminierungsgesetz, als Ergänzung des Bundesgesetzes zur Gleichstellung Behinderter Menschen im zivilen Rechtsraum.

Aber in dieser Debatte wird in Niedersachsen deutlich, dass die Landesregierung und die Damen und Herren Abgeordneten der Regierungsfraktionen mit der tatsächlichen Gleichstellung behinderter Menschen wenig am Hut haben. Immer wieder haben sie versucht, behinderte Menschen aus dem Diskriminierungsschutz im Antidiskriminierungsgesetz des Bundes herauszukegeln. Und hier auf Landesebene dient nun bei allen Gesetzen, die wirkliche sozial- oder gesundheitspolitische Verbesserungen bringen könnten, das Konnexitätsprinzip als Vorwand, um nicht gewünschte Vorhaben scheitern zu lassen. Das hat auch etwas von politischer Selbststrangulation, sich ständig hinter der Konnexität zu verstecken.

Höhepunkt des Ganzen ist die Tatsache, dass am Wochenende ein niedersächsisches Landesfest stattfindet, bei dem Behinderte, die mit Öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen, von der Teilnahme praktisch ausgeschlossen sind, weil der Bahnhof in Melle nicht behindertengerecht ausgestattet ist.

Das ist  beschämend! Was ist uns, was ist Ihnen, die Verbesserung der Menschenwürde und die Stärkung der selbstständigen Lebensführung behinderter Menschen wert? Der gesamte Vorgang kann nur noch als peinlich gewertet werden.

Unzählige Gesetzentwürfe sind von Ihnen in Rekordzeit durch dieses Parlament gepeitscht worden. In diesem Fall ist nun der Ministerpräsident mit seiner Staatskanzlei gefragt, denn dort liegt offenbar alles seit längerer Zeit auf Eis. Zeigen Sie, Herr Wulff, jetzt endlich mal Einsatz für die Rechte der behinderten Menschen in Niedersachsen.

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