Rede Ursula Helmhold: Änderung der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages

Anrede,

in der Sitzung am 9. April haben Sie mit Ihrer Mehrheit die Geschäftsordnung des Landtages geändert und einseitig neue Regeln aufgestellt. Eine der neuen Regeln lautet, dass es keine einleitenden Bemerkungen bei Nachfragen der Abgeordneten mehr geben soll. Ich habe gelernt, dass man sich an Regeln hält, auch wenn sie einem nicht gefallen, sofern sie demokratisch zustande gekommen und mit unseren Grundwerten kompatibel sind. Ich habe vor allen Dingen erwartet, dass sich die Mitglieder der Mehrheitsfraktionen hier im Hause, in besonderer Weise an die Regeln halten, die sie gegen den Willen der Opposition aufgestellt haben.

Nun, dem war nicht so.

Bereits einen Tag später, am 10.4. stellten nahezu alle Fragesteller und Fragestellerinnen der Koalitionsfraktionen ihren Fragen Bemerkungen voran. Ehrlich gesagt, das verstehe ich nicht. Hatte die Fraktionsführung die Abgeordneten nicht ausreichend informiert?  Oder steckt dahinter ein eher feudalistisches Verständnis im Sinne von "Regeln sind für andere"?

Vielleicht liegt es ja auch daran, dass sich die frühere Regelung bewährt hatte, auch aus der Sicht der Abgeordneten der Regierungsfraktionen. Das war nämlich wirklich besser. Die Möglichkeit, Vorbemerkungen der Frage voranzustellen, erspart der Fragestellerin das Drehen rhetorischer Pirouetten und dient damit auch einer vernünftigen Debattenkultur im Hinblick auf die Interessen der Öffentlichkeit.  Führen wir sie also doch einfach wieder ein, auch ihre eigenen Fragesteller möchten es ja offenbar so.

Die Reduzierung der Zusatzfragen bei der Dringlichen Anfrage auf 4 pro Fraktion hat sich ebenfalls bereits in der ersten Sitzung nicht bewährt.  Auf die Fragen der Abgeordneten hat die Landesregierung im Wesentlichen mit weitschweifigen Regierungserklärungen geantwortet.  Eine Beschränkung auf nur 4 Nachfragen beschränkt das Recht der Opposition, durch weitere Nachfragen die Regierung zu einer klaren Stellungnahme zu zwingen.

Und das wollen Sie nicht. Sie wollen Ihre Minister vor exakt solchen Situationen schützen.  Und sie wollen Sie vor Angriffen der Opposition schützen.

Herr Althusmann,  in der Debatte am 9. April  ist es Ihnen ja geradezu herausgerutscht. Ich zitiere aus dem Protokoll: "Die einleitenden Bemerkungen, Frau Helmhold, sind gerade von Ihnen nie dazu genutzt worden, eine Frage mit einer sachlichen Bemerkung einzuleiten, sondern Sie haben sich in der Regel - zum Teil sogar ausschließlich - zu Wort gemeldet, um die Landesregierung anzugreifen".

Also ehrlich. Ich dachte gar nicht, dass Sie und die Ministerinnen und Minister so empfindlich sind. Und überhaupt: Das müssen sie schon abkönnen.  Es ist das gute Recht und geradezu die Pflicht der Opposition, die Landesregierung zu stellen. Sie halten ihre Ministerinnen und Minister offenbar für so schwach, dass Sie eine drangsalierende Geschäftsordnung zwischen sie und das Parlament spannen müssen. Trauen Sie ihnen doch was zu: Visier hoch und offene Auseinandersetzung ohne Hemmschuhe für die eine Seite – das wäre fair.

Und dann haben Sie noch die Beschneidung der in erster Lesung zu beratenden Anträge auf zwei pro Fraktion ausgeheckt.  Übrigens sprach der Kollege Althusmann bei der Einbringung euphemistisch davon, dass er uns eine Änderung des § 39 vorschlage. Nun, einen Vorschlag verstehe ich, außer bei den Vorschlägen der Mafiapaten so, dass man ihn ablehnen kann. Sie haben das dann aber gegen den Willen der Opposition durchgezogen.

Und wieder war es seltsam. Eine Fraktion hält sich nicht an die Regeln und geht aus dem Ältestenrat mit 4 Anträgen in erster Beratung heraus. Quasi von Gnaden der Regierungsfraktionen wurde dort entschieden, dass man das ja mal machen könnte. So geht das aber nicht.  Es kann doch nicht mal eben, vielleicht weil Herr Kollege Bode gerade gute Laune hat, nach Gutsherrenart gegen die Geschäftsordnung verstoßen werden. Halten Sie sich gefälligst an Ihre Regeln, auch wenn Sie sie offenbar selbst schon blöd finden oder schaffen Sie sie mit uns gemeinsam wieder ab. 

Das ganze Verfahren ist zutiefst gegen die Opposition in diesem Landtag gerichtet und beschneidet deren Interessen massiv.  Sie behaupten ja, das Vorgehen sei gerecht, weil jede Fraktion gleich viele Anträge darf.  Das stimmt aber nicht. Sie behandeln Ungleiches gleich und das ist falsch. Ich werde Ihnen das mal vorrechnen:  In der 15. Wahlperiode haben CDU/FDP 153 Entschließungsanträge eingebracht und Grüne und SPD 587. Bei durchschnittlich 9 Sitzungsabschnitten im Jahr dürfte jede Fraktion jährlich 18 Anträge stellen, in 5 Jahren wären das für zwei Fraktionen 180.  Das heißt, CDU und FPD beschränken sich überhaupt nicht, so fleißig ist die Fraktion in der Vergangenheit überhaupt nicht gewesen und es steht aus meiner Sicht auch nicht zu befürchten, dass sich dies ändern könnte.

Ganz anders sieht es bei der Opposition aus: SPD und Grüne hätten nur 30% Ihrer Anträge in erster Beratung einbringen können.  Sie haben sich hier eine Möglichkeit geschaffen, unangenehme Themen im Plenum mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zeitnah behandeln zu müssen.  70% der Anträge verschwinden nach ihrem Willen sofort in den Ausschüssen, wo sie liegen bleiben und nach dem Gusto der Koalition früher oder auch später beraten werden. Gern wartet man so lange, bis man selbst auch einen Entschließungsantrag zu einem Thema gefertigt hat, aktuell zu besichtigen beim Thema Job-Center. Unser Antrag: bislang verschwunden in den Ausschüssen, Antrag der CDU/FDP zu demselben Thema auf der Tagessordnung in diesem Tagungsabschnitt.

Ein Schelm, der Böses dabei denkt, meine  Damen und Herren.

Meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, Ihre geänderte Geschäftsordnung dient Ihnen und Ihrer Ministerriege.  Sie dient nicht den Anforderungen eines lebendigen und offenen Parlaments. Das Parlament ist kein Kasernenhof, auch wenn der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion das vielleicht gern so hätte. Er will im Landtag ausweislich des Protokolls vom Februar dieses Jahres  viel größeren Wert auf Effizienz, Arbeitsfähigkeit und Disziplin legen und die Parlamentsarbeit straffen.

Von Lebendigkeit, Diskussionskultur und Respekt vor den Rechten der Opposition sprach er zu meinem  Bedauern nicht. Parlament kommt von reden. Das bedeutet  offenen Austausch, Waffengleichheit zwischen Regierung und Opposition und möglichst viel Öffentlichkeit.

Lassen sie uns also zur bewährten Geschäftsordnung der vergangenen Wahlperiode zurückkehren.

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