Rede Ursula Helmhold: Änderung der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages

Anrede,

seit Februar arbeitet dieser Landtag mit einer geänderten Geschäftsordnung und wir haben damit gute Erfahrungen gemacht.

Aktueller und lebendiger sollte das Plenum werden – das ist gelungen und zwar vor allem durch das Instrument der Kurzinterventionen.

Die Möglichkeit, direkt auf einen Beitrag zu reagieren hat die Debattenkultur in diesem Plenum belebt, macht eigentlich erst eine wirkliche Debatte möglich.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP,

Sie schlagen uns heute vor, das gerade eingeführte Instrument der Kurzinterventionen bei Anfragen, Aktueller Stunde und strittigen Eingaben wieder abzuschaffen.

Abgesehen davon, dass die Änderung der Geschäftsordnung sozusagen ein Gesamtkunstwerk, ein am Ende gemeinsam getragener Kompromiss war, den einseitig aufzukündigen bedeutet, auch alle anderen Punkte wieder zur Disposition zu stellen, ist die Intention Ihres Antrags mehr als durchsichtig:

Es hat seit ihrer Einführung bis einschließlich des Juniplenums 87 Kurzinterventionen gegeben, davon übrigens 28 von CDU und FDP. Das sind im Schnitt 7 pro Plenartag, aus meiner Sicht ist das durchaus ausbaufähig. Es gab überhaupt keine Kurzinterventionen bei mündlichen oder dringlichen Anfragen, weshalb man sich schon fragen könnte, warum Sie sie dort explizit ausschließen wollen.

Aber diese Frage beantwortet sich leicht. Das dient nur als Verbrämung Ihrer eigentlichen Intention: Es gab nämlich 13 Interventionen zu strittigen Eingaben, davon 6 zu Abschiebungen, alle übrigens am 18. Mai als wir hier das Schicksal der Familie Kasem diskutierten. Und das war in dieser Debatte dringend nötig: Wieder einmal wurde mit Härte die Abschiebung einer Familie exekutiert, einer syrischen Frau und ihrer 8 Kinder, das älteste 12 Jahre alt. Der straffällige Vater war bereits abgeschoben, die von ihm sexuell missbrauchten Töchter sollten zu ihm zurückkehren müssen.

Wir hatten eine hochemotionale Auseinandersetzung, in deren Verlauf auch einige, gelinde gesagt, sehr unglückliche Äußerungen von Debattenteilnehmern mittels Kurzinterventionen gerade gerückt werden mussten.

Dass Ihnen eine intensive öffentliche Auseinandersetzung an dieser Stelle nicht passt, das will ich wohl glauben.

Sie haben naturgemäß kein Interesse daran, die unbarmherzige Flüchtlingspolitik dieser Landesregierung öffentlich zu diskutieren.

Da möchten Sie gern die parlamentarischen Instrumente schwächen, aber das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

Sie möchten lieber fernab der Öffentlichkeit Ihre Abschiebungen durchziehen. Uns lassen diese Schicksale aber nicht kalt und die Öffentlichkeit  auch nicht. Und wir können nicht jedes Mal darauf vertrauen, dass ein mutiger Pilot jemanden buchstäblich in letzter Sekunde vor einem schrecklichen Schicksal rettet.

Anrede,

Ihr Antrag zur Einschränkung der Kurzinterventionen kommt begründungslos daher. Es gibt ja auch keine sinnvolle Begründung.

Sie begründen hier mündlich, dass Kurzinterventionen bei der Behandlung von Eingaben nicht praktikabel seien.  Warum eigentlich nicht? Sie sind Bemerkungen zu dem Redebeitrag eines Vorredners, nicht mehr und nicht weniger, gleich ob bei Eingaben oder anderen Tagesordnungspunkten.

Allerdings haben strittige Eingaben, wie übrigens auch die Aktuellen Stunden, eine herausgehobene Stellung im parlamentarischen Geschehen: Hier handelt es sich um Gegenstände von besonderer, unmittelbarer Betroffenheit der Bürgerinnen und Bürger. Sie haben das Recht auf eine vernünftige Debatte mit allen parlamentarischen Instrumenten.

Anrede,

im Gegensatz zu Ihnen empfinden wir die Beratung von Eingaben nicht als lästig, wir wollen sogar mehr:

Wir wollen die Mitgestaltungsrechte der Bürgerinnen und Bürger weiterentwickeln und den Petitionsausschuss stärken.

Wir machen Ihnen mit unserem Antrag ein Angebot, das niedersächsische Petitionssystem effektiver, attraktiver und bürgerfreundlicher zu gestalten.

Der Petitionsausschuss des Niedersächsischen Landtags hat sich bewährt und hat dennoch bisher nur einen kleinen Bruchteil seines Potenzials ausgeschöpft. Er kann und muss im Sinne einer transparenten und bürgerfreundlichen Arbeit weiterentwickelt werden.

Jedes Jahr wenden sich Hunderttausende Petenten an Bund und Länder. Die Petition, insbesondere auch in der Form der Massenpetition hat den Charakter einer politischen Einmischung des Bürgers in das parlamentarische Getriebe. Ein klug genutztes Petitionsrecht könnte ein Schrittmacher für mehr Bürgernähe der Parlamente sein. Petitionen entsprechen also der Zielsetzung aller Fraktionen bürgerschaftliches Engagement zu stärken.

Wir bringen heute sechs Vorschläge für eine Weiterentwicklung des Petitionsrechts ein:

Unser erster Vorschlag: "Ein Grundrecht geht online".

Seit letztem Jahr können sich Petenten via Netz mit Bitten und Beschwerden an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages wenden. Damit wurde ein bürgerfreundlicher und unbürokratischer Zugang zum Petitionsausschuss ermöglicht.

Die Resonanz ist gut. Der Anteil der E-Petitionen liegt derzeit bei ca. 10% davon sind überraschenderweise 44% der NutzerInnen im Alter von 45-65 Jahren.

Allein im  Januar 2006 klickten 45000 Bürgerinnen und Bürger die Homepage des Bundespetitionsausschusses an.

Die Befürchtung einiger Skeptiker, dass der Ausschuss mit E-mail- Petitionen überschwemmt wird, hat sich nicht bewahrheitet.

Bayern hat deshalb als erstes Bundesland noch vor Ende des Modellvorhabens e-mail-Petitionen eingeführt.

Wir wollen öffentliche Petitionen und die Möglichkeit der Mitzeichnung von Petitionen ermöglichen.

Öffentliche Petitionen sind Bitten und Beschwerden von allgemeinem Interesse, die im Einvernehmen mit den Petenten auf der Internetseite des Petitionsausschusses veröffentlichtet werden mit dem Ziel, weiteren Personen über das Internet Gelegenheit zur Mitzeichnung und zur Diskussion in Foren zu geben. Dies ist unbestritten ein Beitrag zu direkter Demokratie.  Der Massenpetition zur Einführung einer Übergangsfrist bei der Einführung des Elterngelds haben sich inzwischen 16.000 Petentinnen und Petenten angeschlossen – eine beeindruckende Zahl.

Im Gegensatz zu anderen Internet-Foren fließen die Ergebnisse unmittelbar in die parlamentarische Arbeit ein. Und es entsteht ein öffentliches Diskussionsforum im parlamentarischen Raum, bei dem der Bürger und die Bürgerin selber die Themen vorgeben.

Wir wollen öffentliche Anhörungen ermöglichen.

Die bisherige Gleichbehandlung von Massen- und Sammelpetitionen auf der einen und Einzelpetitionen mit Individualanliegen auf der anderen Seite ist nicht angemessen.

Es ist sinnvoll, Petitionen hinter denen eine große Anzahl von Petentinnen und Petenten steht, anders wahrzunehmen als Einzelpetitionen mit Individualanliegen. Während letzte unbedingt Diskretion und Datenschutz bei der Behandlung ihrer Petition gewahrt wissen wollen, geht es den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern von Massen- und Sammelpetitionen gerade um die Herstellung von Öffentlichkeit und das Hinzugewinnen von anderen Mitstreiterinnen. Deshalb sollte hier die öffentliche Anhörung ermöglicht werden.

Das Selbstaufgriffsrecht wie es beispielsweise in Schleswig-Holstein praktiziert wird, dient der Stärkung und Aufwertung der Befugnisse des Petitionsausschusses.

Die Einrichtung zur Ernennung von mindestens zwei Berichterstatterinnen basiert auf den Erfahrungen anderer Ausschüsse und führt letztendlich zu einer effektiveren Arbeit im Ausschuss.

Hierdurch können viele Petitionen bereits im Voraus durch die BerichterstatterInnen beider Seiten im Einverständnis geklärt werden.

Statt zu versuchen, die Rechte des Parlaments zu schwächen sollten Sie besser bei diesem Vorhaben mitwirken.

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