Rede Ursula Helmhold: Änderung der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages

Landtagssitzung am 13.09.2006, TOP 1

Anrede,

seit dem Februarplenum sind die Diskussionen in diesem Hause lebendiger geworden. Das war eine Intention der geänderten Geschäftsordnung und wurde vor allem durch das neu eingeführte Instrument der Kurzintervention möglich.

Die wollen Sie nun heute bei wesentlichen Tagesordnungspunkten wie Anfragen, Aktueller Stunde und strittigen Eingaben wieder abschaffen.

Eins mal vorab: bei Aktuellen Stunden und bei mündlichen oder dringlichen Anfragen gab es bisher keine einzige Kurzintervention. Sie dort abzuschaffen, dient nur der Verbrämung Ihres eigentlichen Ziels:

Ihnen waren die Kurzinterventionen von Anfang an nicht geheuer, besonders der Landtagspräsident warnte und mahnte. Ich zitiere aus der Sitzung vom 23.6.2006:

Präsident Jürgen Gansäuer: "Jetzt ist genau das eingetreten, was ich den Protagonisten schon immer gesagt habe. Das hat das Plenum zu entscheiden, das habe ich nicht zu entscheiden. Aber bei Kurzinterventionen zu Petitionen können wir in eine heillose Situation kommen. Die ist jetzt eingetreten. Frau Kollegin Steiner hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Ich kann nach Maßgabe der Geschäftsordnung nicht verhindern, dass sie diese nutzt, um auf einen anderen Redebeitrag einzugehen."

Anrede,

das ist schon seltsam. Der Präsident beschwert sich darüber, dass er nicht verhindern kann, dass ein Mitglied des Landtags auf den Beitrag einer Vorrednerin eingeht.

Aber genau dazu sind die Kurzinterventionen gedacht. Genau dazu haben wir sie eingeführt.

Die Möglichkeit, direkt auf einen Beitrag zu reagieren hat die Debattenkultur in diesem Plenum belebt, sie macht doch eine wirkliche Debatte überhaupt erst möglich.

Und warum soll das eigentlich ausgerechnet bei Petitionen zu heillosen Situationen führen?

Sie behaupten, dass Kurzinterventionen bei der Behandlung von Eingaben nicht praktikabel seien. Warum das denn nicht? Sie sind Bemerkungen zu dem Redebeitrag eines Vorredners, nicht mehr und nicht weniger, gleich ob bei Eingaben oder anderen Tagesordnungspunkten.

Allerdings haben strittige Eingaben, wie übrigens auch die Aktuellen Stunden, einen herausgehobenen Stellenwert im parlamentarischen Geschehen: Hier handelt es sich um Gegenstände von besonderer, unmittelbarer Betroffenheit der Bürgerinnen und Bürger. Und diese haben das Recht auf eine vernünftige Debatte.

Anrede,

auch von Ihnen wird die niedrige Wahlbeteiligung bei der Kommunalwahl wortreich beklagt. Es passt nicht dazu, dass Sie hier die Debattenkultur im Parlament schwächen. Lebendige Parlamente, in denen wirklich debattiert wird sind ein Mittel, Menschen für die parlamentarische Demokratie und damit auch für die Beteiligung an Wahlen zu gewinnen.

Aus Angst vor der Öffentlichkeit wollen Sie die Diskussionen und damit die Aufmerksamkeit und Anteilnahme bei Petitionen gern möglichst klein halten. Häufig geht es um Abschiebungen und die sollen ohne lange Debatten möglichst kurz und schmerzlos durchgezogen werden.

Sie haben naturgemäß kein Interesse daran, die unbarmherzige Flüchtlingspolitik dieser Landesregierung aus Ihrer Sicht "unnötig lange" öffentlich zu diskutieren. Sie haben so viel Angst, dass Sie sogar die  parlamentarischen Instrumente schwächen. 

Es gab zwar an 15 Plenartagen nur 13 Interventionen zu strittigen Eingaben, davon 6 zu Abschiebungen, aber selbst das ist Ihnen zu viel. Sie wollen keine intensive öffentliche Auseinandersetzung an dieser Stelle.

Anrede,

die Änderung der Geschäftsordnung war ein von allen Fraktionen gemeinsam getragener Kompromiss, den Sie jetzt einseitig aufkündigen. Das können Sie mit Ihrer Mehrheit machen,  demokratische Kultur ist das nicht.

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