Rede Thomas Schröder: Zugunglück Bad-Münder - Krisenmanagement

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Anrede,
offiziell ist die Ursache für das Bahnunglück in Bad Münder bis heute nicht geklärt. Aber schon jetzt wissen wir: Es war nicht der erste Unfall dieser Art und wohl nicht der letzte. In den letzten Jahren häufen sich die Unfälle bei Bahntransporten mit Gefahrgütern zum Beispiel in Schönebeck, Elsterwerda, Osnabrück, Hannover. Erst vor wenigen Tagen kam es zu einer erneuten Beinahe-Katastrophe auf dem Bahnhof Seelze, ebenfalls mit Epichlorhydrin (ECH). Täglich rollen tödliche Frachten durch die Städte, ausgestattet mit Bremssystemen, die im Prinzip schon mein Urgroßvater kannte, Reichsbahner unter Wilhelm II.
So berichtete die Frankfurter Rundschau am 24.10.02 über mangelhafte Bremsproben an Gefahrgut-Waggons und zitiert einen Bahnexperten mit den Worten "Technisch ist der Güterverkehr soweit wie vor 150 Jahren". Bei der Bahn versagen nicht nur die Bremsen.
Anrede,
wir wissen jetzt: in Bad Münder gab es eine Kette von Versäumnissen, Fehleinschätzungen und voreiligen Entwarnungen. Die Erdung der Oberleitung verzögerte sich, das Fax mit den Angaben zum Gefahrstoff wurde verschlampt. Obwohl sonst alles überreguliert erscheint, waren Koordinierung und Zuständigkeiten zwischen BGS, Feuerwehr, Gesundheits- und Gefahrenabwehrbehörden unklar. Falsch war die Annahme, mit der Explosion sei "alles verbrannt". Das ECH wurde durch die Thermik aus dem Kesselwagen herausgeschleudert, ohne zu verbrennen. Falsch war die Annahme schneller Verdünnung. Wir wissen jetzt: die Rauchwolke hat über Stunden bestimmte Gebiete der Stadt nicht verlassen. Falsch war die Annahme, der Stoff lagere sich am Boden ab, weil er schwerer als Luft ist. Bereits leichter Wind verhindert eine Ablagerung. Eine Kette von Pannen, Versäumnissen und Fehleinschätzungen. Aber wie sagte unser Kollege Dr. Schultze bei der ersten Beratung: "Die zuständigen Kräfte hatten die gesamte Entwicklung jederzeit im Griff."
Etwa 30 Tonnen des giftigen und krebserregenden Stoffes sind in die Atmosphäre gelangt. Für Bad Münder ist die Sache deshalb noch lange nicht ausgestanden. Die Hamel ist auf 20 Kilometer biologisch tot. Das Grundwasser ist im Bereich der Unfallstelle immer noch hoch belastet. Hunderte von Polizisten, Feuerwehrleuten und Anwohnern waren dem Gift ausgesetzt. Es gibt weiterhin auffällige Leberwerte. Rund 1000 Menschen sind im Bio-Monitoring, von dem wir noch nicht wissen, wer es auf Dauer bezahlt. Sie hoffen auf Blutuntersuchungen, die erst noch entwickelt und erprobt werden. Die Angst vor Spätschäden wie Krebs oder Missbildungen bei Kindern ist groß.
Anrede,
Noch Ende November kündigte Ministerpräsident Gabriel an, er werde den Untersuchungsbericht persönlich in Bad Münder vorstellen. Davon ist heute keine Rede mehr. Immerhin: unsere Forderung nach einer task-force für derartige Großschadensfälle wurde aufgegriffen. Der geänderte Antrag ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, dem weitere folgen müssen. Der Antragstext bleibt in diesem Punkt allerdings sehr allgemein und unverbindlich. Es fehlen Konkretisierungen zu den Aufgaben und Zielen eines Kompetenzzentrums bzw. einer Störfall-Task-Force auf Landesebene, zur Ausstattung mit Personal und Geräten und zu Kooperationen mit anderen Einrichtungen und Institutionen. Insbesondere versäumen Sie, konkrete Schritte zur Realisierung dieser Einrichtungen festzulegen, ganz zu schweigen vom Fehlen eines Zeit- und Finanzrahmens.
Der allgemeinen Zielsetzung werden wir heute zustimmen. Und nach der Wahl wollen wir mit einem Sofortprogramm zur Schaffung eines "vorläufigen" Kompetenzzentrums dafür sorgen, dass diese Initiative nicht wie schon andere im bürokratischen Apparat des Innenministeriums versandet. Gerade die jüngsten Vorfälle haben gezeigt, dass auch in der Zeit des Aufbaus einer von uns geforderten und im Detail beschriebenen Störfall-Task-Force (etwa 1 - 1,5 Jahre) die Landesregierung bei den jederzeit auftretenden Großschadensereignissen schnell und kompetent handeln muss.
Unfälle wird es auch in Zukunft geben. Aber ein derartiger Fall von Behördenversagen wie in Bad Münder darf sich nicht wiederholen.

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