Rede Thomas Schremmer: Antrag (SPD/GRÜNE) zum Landesprogramm zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit

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- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

Die Realität von Arbeitslosigkeit lässt sich nicht in Statistiken verstecken.

1 Million Menschen in diesem Land sind trotz der gern propagierten sinkenden Arbeitslosenzahlen auf Dauer ohne Arbeit. Daran hat sich seit 2011 nichts Wesentliches geändert. Trotz bester Konjunktur und obwohl so viele Menschen einen Job in Deutschland haben wie schon lange nicht mehr. Der Arbeitsmarkt ist gespalten.

1 Million Menschen suchen seit mehr als einem Jahr erfolglos eine Stelle, mehr als die Hälfte von ihnen sogar schon länger als zwei Jahre. (Jeder Vierte SGBII-Leistungsempfänger bezieht seit mehr als 8 Jahren Leistungen). Weitere 1,3 Millionen sind sogenannte Aufstocker, ca. 8 Millionen Menschen arbeiten im Niedriglohnsektor (ca. 9€/h), das zeigt (auch die mögliche zukünftige) Größenordnung dieses Problems. Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung sind das größte Armutsrisiko!

Anrede,

Was bedeutet das für die Betroffenen und ihre Familien? Was passiert mit einem Menschen, wenn er über Jahre hinweg eine Absage nach der anderen erhält und stattdessen in einem Maßnahme-Dschungel bei der Arbeitsvermittlung festhängt? Wie ginge es mir, wenn ich nach jedem Bewerbungsversuch wieder einen Brief in meinem Briefkasten vorfinden würde, in dem steht: „Sehr geehrter Herr Schremmer, wir bedanken uns für ihre Bewerbung. Leider haben wir uns für einen anderen Mitbewerber entschieden. Wir wünschen Ihnen bei der weiteren Suche viel Erfolg.“ Bei zehn Absagen denke ich vielleicht noch, ach das wird schon, da war das richtige noch nicht dabei. Nach 100 Ablehnungen nagen sicherlich schon die ersten ernsthaften Selbstzweifel an mir. Irgendwann würde ich allein aus Selbstschutz anfangen zu glauben, die Welt da draußen, die braucht mich nicht. Daran ändert dann auch kein Maßnahmenpaket des Jobcenters etwas.

Langzeitarbeitslosigkeit macht erwiesenermaßen krank und weniger leistungsfähig. Der Großteil der Langzeitarbeitslosen hat mit weiteren sogenannten Vermittlungshemmnissen zu kämpfen. Wer älter ist, alleinerziehend, keine Berufsausbildung oder einen Migrationshintergrund besitzt, gehört ganz schnell unverschuldet zum harten Kern der schwer zu Vermittelnden. In einer Gesellschaft, in der Arbeit eine gängige Strategie ist, um viele wichtige Grundbedürfnisse zu erfüllen, ist es nicht leicht, einen Ersatz zu finden. Teilhabe und Zugehörigkeit, ebenso wie Anerkennung und Wertschätzung – all das kann mir Arbeit geben. Aber was mache ich, wenn ich keinen Job habe?

Anrede,

1 Million Menschen in Deutschland sind genau mit dieser Situation konfrontiert. Wir laufen Gefahr, diese Menschen für die Gesellschaft zu verlieren und deswegen brauchen wir neue Lösungen für die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen. Niedersachsen macht hier heute einen Anfang!

Dazu gehört anzuerkennen, dass die Strategien der vergangenen Jahre gescheitert sind: Nur ein Bruchteil der Langzeitarbeitslosen konnte integriert werden; von denen, die Glück hatten, einen Job zu ergattern, landete rund ein Drittel in der meistens auf nur drei Monate befristeten Leiharbeit. Die nüchterne Bilanz ist: Die meisten Langzeitarbeitslosen stehen nach kurzer Beschäftigungsdauer wieder ohne Job da.

Nach zwei Jahren Praxis ist klar geworden, dass auch die beiden Sonderprogramme der Bundesarbeitsministerin leider nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sind: von den zur Verfügung stehenden Plätzen (43.000) konnten bisher gerade mal ein Drittel vergeben werden. Die Zahl geförderter Jobs für Langzeitarbeitslose ist aber insgesamt von 2013 bis 2015 von 140.000 auf rund 84.000 gesunken, hat sich also quasi halbiert (BA 1/2016). 15.000 Plätze durch die Sonderprogramme für 1 Million Menschen, immerhin, aber der erste Arbeitsmarkt allein kann dieses Problem nicht lösen!

Anrede,

Wir brauchen dringend einen Systemwechsel! Das sagen alle Arbeitsmarktexperten und auch alle Akteure – inklusive der Bundesagentur für Arbeit. In einem gemeinsamen Papier Anfang des Jahres sprechen sich der Städtetag, der Landkreistag und die BA für einen öffentlich geförderten sozialen Arbeitsmarkt aus. Aus ihrer Sicht sei öffentliche Beschäftigung „unerlässlich“, um den Menschen wieder den Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe zu eröffnen. Immer mehr Bundesländer schließen sich dieser Sicht an. Sie fordern den Bund auf, die finanzielle Weichenstellung vorzunehmen und sie legen im eigenen Land ein Programm aus Landesmitteln auf. Ich möchte, dass wir auch in Niedersachsen Arbeit finanzieren - und nicht Arbeitslosigkeit!

Das, woran Berlin bislang gescheitert ist - und zwar ein flächendeckendes Angebot für Langzeitarbeitslose und eine Systemumstellung hin zu einem Passiv-Aktiv-Transfer zu schaffen - können wir auch von Niedersachsen aus nicht heilen - dafür reicht unsere Länderkompetenz nicht aus. Die Hände in den Schoss legen wir aber auch nicht, so viel ist klar. Was immer möglich ist, das packen wir hier an.

Leider hat sich auch die jetzige Bundesregierung den Vorschlag der grünen Bundestagsfraktion zum Sozialen Arbeitsmarkt (2012) nicht zu eigen gemacht, warum – bleibt ihr Geheimnis angesichts der Situation der Langzeitarbeitslosen! Umso mehr freue ich mich, dass wir uns koalitionär hier in Niedersachsen auf den besseren Weg geeinigt haben!

Wir werden wie die anderen Bundesländer mit unserem Landesprogramm für Langzeitarbeitslose zwar nicht jedem der 91.000 (BA-Zahlen für NDS 09/2016) Langzeitarbeitslosen in Niedersachsen einen Arbeitsplatz geben können. Aber es ist ein Anfang! Unser Programm wird dazu beitragen, dass wir durch unser Handeln den Druck auf den Bund erhöhen, endlich den Systemwechsel zu wagen.

Arbeitsmarktpolitik ist Sozialpolitik und auch Gesundheitspolitik – was wir in der Arbeitsmarktpolitik nicht hinkriegen, fällt uns an vielen anderen Stellen auf die Füße. Wer glaubt, nichts mehr zu verlieren zu haben, den verliert unsere Gesellschaft möglicherweise auf Dauer.

Wer resigniert ist, kann schneller krank werden und schafft es auch nicht, seine Familie und seine eigenen Kinder zu stärken. Unsere Aufgabe ist es nicht, Arbeitslosigkeit dauerhaft zu alimentieren, unsere Aufgabe ist es, diesen Menschen und ihren Familien die Perspektive von einem selbstbestimmten Leben wieder zu geben!

Anrede,

Dazu brauchen wir eine öffentlich geförderte Beschäftigung, und zwar flächendeckend. Die rot-grüne Koalition macht dafür heute den ersten Schritt in Niedersachsen – es ist ein guter und richtiger!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

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