Rede Stefan Wenzel: Haushalt 2010 - Schlusserklärung

Anrede,

die neuen Schulden im Haushalt 2010 und im 3. Nachtragshaushalt 2009 wirken weit über das kommende Jahr hinaus. Im Kern beraten wir heute den Haushalt mit der höchsten Neuverschuldung in der Geschichte des Landes: Ein Schuldenrekord von 3,3 Mrd. Euro zusammen mit dem verfassungswidrigen Nachtrag 2009, den wir vor dem Staatsgerichtshof beklagen. Ein Teil dieser horrenden Verschuldung ist auf die Krise zurückzuführen, aber ein großer Teil ist auch Folge Ihrer eigenen Fehler.

In fatalem Gleichklang mit der Regierung in Berlin will die Regierung Wulff/Bode Steuergeschenke auf Pump verteilen, die unser Land und unsere Kommunen in der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise weiter unter Druck setzen.

Jetzt wird über Kompensationen verhandelt, aber gerade dieses Gegengeschäft der Bundesregierung macht das Gesetz noch unsinniger.

"Der Beschenkte zahlt selbst" titelte die SZ am 15.12.09 und fragte: "Ist das jetzt politischer Betrug oder eher Selbstbetrug der Regierung?"

Wenn Sie diese Frage ehrlich beantworten, Herr Ministerpräsident, dann müssen Sie zugeben, dass dies ein politischer Betrug an all denen ist, die am Ende die Zeche zahlen müssen.

Ich gehe noch einen Schritt weiter und sage Ihnen, dass dieses Schuldenwachstumsbeschleunigungsgesetz ein doppelter Betrug ist.

Der zweite Betrug geschieht dort, wo dieses Gesetz ausgrenzt:

  • Wo die Kinder reicher Eltern mehr wert sind, als die Kinder der weniger gut betuchten.
  • Wo 200.000 Kinder in Niedersachsen - und das ist jedes 6. Kind - komplett leer ausgehen werden.
  • Wo mit einer Mehrwertsteuersenkung Lobbyinteressen auf Kosten der Allgemeinheit bedient werden.

Das Gesetz, dem Sie, Herr Ministerpräsident, morgen im Bundesrat zustimmen wollen, treibt die Entsolidarisierung der Gesellschaft weiter voran.

Anrede,

Herr McAllister, Sie haben uns am Montag in Ihrer hitzigen Rede vorgetragen, für wen Sie, für wen die CDU in Niedersachsen Politik machen will. Sie haben von der schweigenden Mehrheit gesprochen, die in Zukunft mehr Netto vom Brutto haben soll. Und Sie haben aufgelistet, wer nach Ihrer Meinung dazu gehört.

Haben Sie eigentlich darüber nachgedacht, welche Konsequenzen sich aus solch einer Aufzählung ergeben?

  • Sie sprechen von "jungen Menschen, die heiraten"
    - als ob andere Lebensideale oder andere Partnerschaften nicht die gleiche Anerkennung verdienen.
  • Sie sprechen von denen die "morgens aufstehen"
    - als ob die anderen den ganzen Tag faul im Bett rumliegen.
  • Sie nennen die, die "ihre Kinder zur Tagesstätte fahren".
    - als ob es denen, die keinen Platz erhalten oder ihn nicht bezahlen können, egal ist, ob ihre Kinder gut betreut werden.
  • Sie meinen die, die "dann arbeiten gehen"
    - als ob denen, die keine Arbeit haben, kein Platz in der Gesellschaft zusteht.
  • Sie nennen die, "die abends mit ihren Kindern noch die Hausaufgaben machen"
    - als ob die, die dies nicht schaffen, sei es wegen Schichtarbeit oder sei es wegen unzureichender Bildung, Rabeneltern sind.

Die schweigende Mitte in unserer Gesellschaft soll mehr Netto vom Brutto haben. Was ist mit den Langzeitarbeitslosen, den Geringverdienern, den Leiharbeitern, den Aufstockern, den Praktikanten, den Schulabbrechern, den Ungelernten, den Berufsunfähigen, den Einwanderern und Flüchtlingen, den Pflegebedürftigen, den Kranken?

  • Sie sagen: Leistung muss sich wieder lohnen.
  • Wir sagen: Gerechtigkeit muss zentrale Richtschnur der Politik sein.

Ein ehrlicher, parteipolitisch ungetrübter Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit zeigt dies: Immer noch sieht man besser die im Lichte und die im Dunkeln sieht man nicht.

Herr Ministerpräsident, Sie haben mit 4,6 Mrd. Euro neuen Schulden die Hand zum Offenbarungseid gehoben und reklamieren die Alternativlosigkeit dieser Maßnahme vor dem Hintergrund der Finanzkrise. Sie haben viel zu lange gebraucht, um sich über das Ausmaß dieser Krise klar zu werden. Das liegt sicherlich auch daran, dass dies immer auch eine Krise Ihrer Wertesysteme war. Sie glauben immer noch an das allein selig machende Wachstum. Jetzt arbeiten Sie schon wieder mit deutlich zu optimistischen Wachstumserwartungen und treiben uns damit noch tiefer in die Verschuldung.

Ihre Schwerfälligkeit und Ihre Mutlosigkeit im Umgang mit der Krise liegen auch daran, dass Sie sich den wirklichen Herausforderungen – in der Klimapolitik, in der Bildungspolitik, in der Migrationspolitik nicht ernsthaft stellen: Sie plündern die Staatskasse, verteilen Geschenke an Ihre Klientel und konservieren alte Strukturen.

Herr Ministerpräsident, Sie haben bei zentralen von Ihnen selbst gesteckten Zielen versagt. Angefangen bei dem Vorhaben, nicht nur keine neuen Schulden zu machen, sondern tatsächlich den Schuldenberg auch einmal abzubauen.

Jetzt haben Sie sich Ihre eigene Eiger-Nordwand geschaffen. Mit der schlecht aufgestellten Seilschaft Ihrer Minister werden Sie diese Herausforderung nicht meistern. Auch deshalb, weil Ihnen die Kraft für eine längst überfällige Kabinettsreform fehlt.

Anrede,

vor uns liegt die Abstimmung über den Haushalt 2010, hinter uns liegen drei teilweise recht turbulente Tage.

Ich glaube, dass es richtig ist, dass heute auch eine Einschätzung zu den Ereignissen der letzten drei Tagen zur Sprache kommt. Es ist gut, dass sich die Fraktionen und das Präsidium gleich zu Beginn des neuen Jahres die Zeit  nehmen, um über Verbesserungen im Umgang miteinander zu sprechen. Was auch immer dabei zur Diskussion stehen wird  – eins steht fest: wenn es Probleme gibt, dann werden diese Probleme vom Parlament zu lösen sein - nicht von den Ministern - und auch nicht vom Ministerpräsidenten.

Herr Wulff: Um das kIar zu sagen - Ihre Intervention am Montag war überflüssig. Wenn nicht sogar unzulässig.

Das haben wir uns nicht ausgedacht, sondern so steht es in der Verfassung.

Sie und Ihre Regierung haben laut Verfassung Zutritt zu den Sitzungen des Landtages, aber Sie unterstehen der Ordnungsgewalt des Landtagspräsidenten.

Sie können erwarten, dass Sie freundlich und fair behandelt werden – gleiches erwarten wir auch.

Herr Wulff, Sie sitzen dort oben nicht auf einem Thron und Sie haben hier nichts anzuordnen. Wir können es Ihnen nicht ersparen – Sie sind hier, um uns Rede und Antwort zu stehen.

Dazu gehören leidenschaftliche Debatten, in denen es auch immer mal wieder zu einer falschen Wortwahl kommen kann. Dafür haben wir unsere Regeln, dazu gehören die Ordnungsrufe. Auch Herr Dinkla hat damit durchaus seine Erfahrungen gemacht – schließlich ist er nicht als Landtagspräsident auf die Welt gekommen.

Und auch Sie, Herr Ministerpräsident sind, wenn ich das mal so formulieren darf, in dieser Hinsicht nicht gerade ein Kind von Traurigkeit. Auch Sie haben als Abgeordneter schon Ordnungsrufe kassiert für Beleidigungen wie "Lügner" und "Dreckschleuder".

Und nicht zuletzt: es war ein Abgeordneter Ihrer Fraktion der vor einigen Jahren den damaligen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel mit eben genau der gleichen Vokabel belegt hat, die am Montag für soviel Aufregung gesorgt hat.

Der Landtag ist keine Hafenkneipe – aber er ist auch keine Klosterschule.

Daran, dass er ein lebendiger Ort voller spannender Debatten und harter, aber fairer Auseinandersetzungen bleibt, müssen wir alle immer wieder arbeiten.

Es mag sein, dass Ihnen, sehr geehrte Mitglieder der Landesregierung die monatlichen Landtagssitzungen, unsere Fragen und unserer Kritik zunehmend  strapaziös erscheinen.

Seien Sie gewiss, umgekehrt geht es uns im Umgang mit Ihnen oft genug genauso.

Aber das ist wohl der Preis für das, was gemeinhin Demokratie genannt wird.

Und ich glaube, wir sind uns in einem Punkt einig: trotz aller Probleme - eine bessere Form Politik zu machen, ist  bislang nicht erfunden worden.

Anrede,

heute ist ein historischer Tag. Wenn Frau Merkel und ihre Kollegen in Kopenhagen versagen, wird das fatale Folgen für das Klima, für die Zukunft und unsere Kinder haben.

Gemessen an der Weltklimakonferenz mag manchem unsere heutige Abstimmung über den Landeshaushalt 2010 als unbedeutend erscheinen.

Aber für die Zukunft unseres Landes, für die Bildung unserer Kinder, für ein Leben in sozialer Gerechtigkeit und die Sicherung unserer natürlichen Lebensgrundlagen ist der heutige Tag von entscheidender Bedeutung.

Deshalb darf es keine Zustimmung zu diesem Haushalt und zu dem schwarz-gelben Schuldenwachstumsgesetz in Berlin geben.

Zurück zum Pressearchiv