Rede Stefan Wenzel: Erwiderung zur Regierungserklärung „Niedersachsen in Europa: Verantwortung übernehmen, Interessen vertreten, Chancen nutzen, Herausforderungen bewältigen“

Landtagssitzung am 08.05.2012

Stefan Wenzel, MdL

Anrede,

vielen Dank, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, für Ihren interessanten staatspolitischen Vortrag. Insbesondere Ihre Kernthese, dass Niedersachsen in Europa liegt, teile ich in vollem Umfang.
Aber im Ernst: es ist schon bezeichnend, zu welchen Themen der Ministerpräsident David McAllister hier Regierungserklärungen abgibt –und zu welchen nicht:

  • Keine Regierungserklärung zu den Gefahren Ihrer Zustimmung zur Elbvertiefung.
  • Keine Regierungserklärung zur Affäre Wulff.
  • Keine Regierungserklärung zu dem für Niedersachsen untauglichen Entwurf eines Endlagersuchgesetzes

Anrede,

Ihre Rede trägt die Überschrift: "Niedersachsen in Europa: Verantwortung übernehmen, Interessen vertreten, Chancen nutzen, Herausforderungen bewältigen".
Die Überschrift hätte besser lauten können – statt "Niedersachsen in Europa"
"McAllister in Niedersachsen: Verantwortung übernehmen, Interessen vertreten, Chancen nutzen, Herausforderungen bewältigen."

So lautet die Überschrift aber nicht.
Weil Sie, Herr Ministerpräsident, eben lieber im Ungefähren bleiben.
Wenn Sie über Europa reden, stellt sich sofort die Frage, welches Europa Sie eigentlich meinen?
Sind Sie für das Europa der Banken, der transnationalen Spekulanten und Steueroasen oder sind Sie für das Europa der Solidarität und des sozialen Zusammenhalts.
Welches Europa wollen Sie, Herr McAllister? Das hat Ihre heutige Erklärung nicht deutlich gemacht.

Interessant, dass Sie ausgerechnet zwei Tage nach dem Ende der postnapoleonischen Ära Ihres Freundes Nicolas Sarkozy das Thema Europa auf die Tagesordnung nehmen.
In Paris haben die Konservativen schon mal vorweggenommen, was spätestens im Januar 2013 auch in Hannover passiert: Sie haben ausgespielt.

Anrede,

in den letzten zwei Jahren der Krisenbewältigung wurde jeweils der kleinste gemeinsame Nenner zwischen CDU und FDP zum Maßstab für ganz Europa gemacht. Auf den Fiskalpakt konnten Sie sich noch verständigen, aber ein konsequentes Vorgehen bei der Transaktionssteuer stieß auf den Widerstand der FDP.

Es ist doch ein Irrwitz, dass Spekulanten die im schnellen Handel am Computer Immobilien, Schiffe, Rohstoffe oder ganze Firmen kaufen, noch immer keinen Cent Transaktionssteuer oder besser gesagt Spekulationsumsatzsteuer zahlen, aber jeder Verbraucher und jeder Hartz-IV-Empfänger selbstverständlich Umsatzsteuer für Brot und Butter zahlen muss.
Wenn wir diese Logik nicht brechen, werden in Europa Demokratien zerbrechen und dafür tragen CDU und FDP maßgeblich Verantwortung, weil sie die Regierung im wirtschaftsstärksten Euro-Land stellen.

Anrede,

mit dem Fiskalpakt allein treiben Sie Europa in die Rezession und die schwächeren Euroländer noch tiefer in die Krise. Mit der Transaktionssteuer könnten wir den EU-Haushalt entlasten, Einnahmen erwirtschaften, Spekulanten bremsen und schwächere Länder unterstützen.

Um die Haushaltsdisziplin deutlich zu verstärken hätte es Optionen im europäischen Rechtsrahmen gegeben, auch wenn zunächst nicht alle Länder dabei sind. Stattdessen wurde ein Sonderweg gewählt, der das Parlament außen vor lässt  und das europäische Einigungsprojekt umgeht.

Haushaltskonsolidierung erfordert eine Flankierung, um sinnvolle Investitionen auszulösen. Notwendig sind mehr EU-Mittel für Investitionen in den Krisenländern. Notwendig sind aktive Maßnahmen gegen die makroökonomischen Ungleichgewichte auch in den Überschussländern. Notwendig ist eine weitere Harmonisierung der Steuerpolitik. Notwendig ist eben auch eine Finanztransaktionssteuer – bislang alles Fehlanzeige, Herr McAllister.

Ein zentrales Projekt – nicht nur in Niedersachsen, sondern in ganz Europa - muss der Umbau der Energieversorgung sein. Jede Investition senkt zugleich die Rechnung für fossile Rohstoffe. Das ist eine win-win Situation. Wir nennen das Green New Deal, Herr McAllister.

Das könnte das Wachstumsprojekt für ganz Europa werden, wenn Sie sich von Stromkonzernen und Atomlobbyisten endlich freischwimmen würden. In Deutschland senken die Erneuerbaren Energien bereits die Strompreise.

Anrede,

Gucken wir nach Niedersachsen Herr McAllister.
Wenn man sich fragt, warum Sie heute diese Regierungserklärung abgeben wollten, dann sind zwei Passagen Ihrer Rede auffällig:

  1. Offenbar wollten Sie eine möglichst gute Verpackung für die Nachricht, dass die Stärkung des Eigenkapitals der NordLB von der Kommission genehmigt werden muss. Das ist keine gute Nachricht. Vielleicht liegt hier der tiefere Grund für die Amtsmüdigkeit des Finanzministers. Wir hoffen, dass die Operation gelingt, ohne dass weitere Milliarden-Bürgschaften des Landes in Anspruch genommen werden müssen.
  2. Sie teilen mit, dass die EU Kommission in ihrer Klageschrift nun auch die VW-Satzung in den Focus genommen hat. Auch nicht schön. Offenbar haben Freunde Ihres Koalitionspartners Ihre Brüsseler Bemühungen hintertrieben.

Anrede,

Ihre Rede bringt keinen frischen Wind für Europa, der Text enthält noch nicht mal ein laues Lüftchen, Herr McAllister. Angesichts der Herausforderungen ist diese Rede – um es mit Lichtenberg zu sagen - ein "wehendes Vakuum".

Sie versuchen sich als Chronist, aber Sie verweigern sich der Definition von Zielen, an denen Sie messbar sind.

Anrede,

es gibt drei entscheidende Fragen, die für die Zukunft Niedersachsens in Europa von großer Bedeutung sind. Ich hoffe, dass die Wählerinnen und Wähler Ihre Politik Herr McAllister und die Ihrer Freunde in Berlin und Brüssel künftig daran messen werden:

  1. Stehen Sie für ein freies und gerechtes Europa, für Reisefreiheit und für eine humane Flüchtlings- und Asylpolitik oder wollen Sie das Schengen- Abkommen in Frage stellen, neue Grenzbäume in Europa errichten und die Außengrenzen noch stärker abschotten?
  2. Stehen Sie für eine Politik, die den Hedgefonds und den Schattenbanken entschieden Zügel anlegt, eine Spekulationsumsatzsteuer durchsetzt, Steueroasen beseitigt und öffentliche Haushalte konsolidiert oder wollen Sie eine Fortsetzung der reinen Austeritätspolitik, die alle Lasten am Ende beim einzelnen Steuerzahler ablädt.
  3. Stehen Sie für eine Politik, die Atomkraftwerke europaweit schnell und konsequent abschaltet, die Macht der Stromkonzerne beschränkt und die Erneuerbaren Energien konsequent ausbaut oder gehören Sie zu denen, die die Solarindustrie aus Europa wieder vertreiben will, weil sie das Geschäftsmodell der Öl- und Stromkonzerne in wenigen Jahrzehnten überflüssig macht.

Herr McAllister,

ich kann nicht erkennen, wo Sie mit Herzblut für Europa dabei sind. Ich kann aber erkennen, wo die Weichen falsch gestellt werden und ich fürchte, dass ein unregierbares Griechenland nur der Anfang ist – als Symptom einer Krise, die viel weiter greift. Als Symptom einer Politik, die sich einer gerechten Finanzpolitik in Land, Bund und Europa verweigert und zusieht, wie Spekulanten das Spielcasino in Betrieb halten und demokratische Strukturen in Gefahr bringen.
Sie haben es heute versäumt für Europa zu werben und Sie haben es versäumt aufzuzeigen, wie Sie mit Armutsbekämpfung, Klimaschutz, Bildung, Forschung und Entwicklung ein besseres Europa bauen wollen.
Deshalb war Ihre heutige Regierungserklärung ein weiteres Plädoyer dafür, dass diese schwarz-gelbe Landesregierung spätestens im Januar 2013 ihren Dienst quittiert.

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