Rede Stefan Wenzel: Erwiderung auf die Regierungserklärung zur Wirtschafts- und Finanzkrise

Seit Wochen weisen zahlreiche Experten darauf hin, dass mit der beginnenden Rezession für die heimische Wirtschaft und den Arbeitsmarkt eine der schwersten Krisen seit Kriegsende droht. Selbst da lautet die Devise von Herrn Wulff „abwarten und Tee trinken!“

Anrede,

was der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen sich seit seiner Wiederwahl im letzten Jahr erlaubt hat, grenzt an Arbeitsverweigerung.

Seit Wochen weisen zahlreiche Experten darauf hin, dass mit der beginnenden Rezession für die heimische Wirtschaft und den Arbeitsmarkt eine der schwersten Krisen seit Kriegsende droht. Selbst da lautet die Devise von Herrn Wulff "abwarten und Tee trinken!"

Bis gestern früh wusste noch niemand in Ihrer Staatskanzlei, ob Sie tatsächlich gedenken, zu diesem Thema in der anstehenden Plenarrunde das Wort zu ergreifen.

Sie wollten das davon abhängig machen, wie konkret die Beschlüsse der großen Koalition – Ihrer großen Koalition! – zum Konjunkturpaket II ausfallen würden.

Das muss man sich einmal vorstellen: der stellvertretende Parteivorsitzende einer der beiden Koalitionspartner im Bundestag weiß nicht, was seine Regierung zur Abwendung der Krise tun will und weigert sich deshalb, zu Hause in Niedersachsen zu diesen weltweit alarmierenden Problemen eine Regierungserklärung anzukündigen!

Da müssen erst wieder Grüne und SPD Druck machen, damit die Landeskinder erfahren, wie die Lage in Hannover eingeschätzt wird und was das Kabinett Wulff eigentlich will.

Fakt ist jedenfalls: wohl noch nie ist eine Regierungserklärung so unernsthaft und die Rechte des Parlaments missachtend in diesem Haus gehalten worden.

Das müssen Sie sich jetzt noch mal sagen lassen:

Normalerweise ist die Regierung gehalten, dem Parlament auf der Ältestenratssitzung ihre Vorhaben für den kommenden Sitzungsabschnitt mitzuteilen.

Es sei denn, es gibt vollkommen unvorhersehbare Entwicklungen, die andere Maßnahmen rechtfertigen.

Im Zusammenhang mit der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise gibt es wohl nicht eine einzige nicht vorhersehbare Entwicklung oder Entscheidung -

außer der, dass der Ministerpräsident und sein Kabinett überhaupt keinen Plan, und überhaupt keine eigene Idee zur Bekämpfung der Auswirkungen der Krise gehabt haben.

Da musste schon der letzte Hoffnungsträger dieser Regierung - der ihr aber gar nicht angehört – noch nicht angehört – da musste David McAllister ran, um überhaupt mal etwas aus dem Regierungslager Wulff-Hirche in der Öffentlichkeit verlauten zu lassen.

Das war zwar auch nur ein Stück aufgewärmte Politik aus der letzten Haushaltsrunde – aber immerhin: er hat es zumindest versucht. 

Wie soll das eigentlich weitergehen?

Offenbar haben Sie irgendwann beschlossen, eine landespolitische Verschnaufpause einzulegen. Die dauert jetzt aber schon über 11 Monate.

Wenn Sie keine Lust mehr haben, sollten Sie die Amtsgeschäfte an Tatendurstigere  übergeben.

Oder wird diese kalte Übergabe vielleicht im Geheimen schon irgendwo vorbereitet?

 Fast könnte man es verstehen: Politisch war das kein gutes Jahr für den Chef:

  • der Rückzug vom Landesvorsitz
  • der Ärger mit den Lehrerarbeitszeitkonten
  • die verpatzte 100-Tage-Bilanz
  • das Desaster mit dem Asse-Skandal
  • die misslungene Klimapolitik
  • die dürftigen Haushaltsbeschlüsse

Das Alphatier-Dementi hätten Sie nicht dem Stern exklusiv andienen müssen – das hatten alle längst schon vorher gemerkt.

Aber das ist Ihre Sache.

Nicht Ihre Privatangelegenheit ist die Tatsache, dass Ihr Vorruhestandsverhalten auch zum verlorenen Jahr für die Bürgerinnen und Bürger in Niedersachsen wird.

Was sagen Sie, Herr Wulff, zu den Überschriften: "Weniger Leidenschaft", " Die Kunst des Stillstands" und "Kraftlos"?

Da geht es ausnahmsweise mal nicht um die SPD, da geht es um Sie!

Auffällig ist, dass die Kommentare zur Krisenpolitik der Kanzlerin und ihrer großen Koalition nicht wirklich freundlicher ausfallen.

Denn natürlich geht es in dieser Krise nicht darum, ob es Politiker mit mehr oder weniger Geschick gibt.

Und es geht nicht um Charakterfragen.

Sondern es geht um die Fragen des Inhalts, um politische Überzeugungen und politische Programme.

Daran mangelt es offenbar.

Deshalb fallen die Urteile für Frau Merkel nicht freundlich aus.

Und deshalb hat die schwarzgelbe Landesregierung angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise ihre Sprache verloren.

Das Mantra "Privatisierung" und die Formel "Der Markt wird's schon richten" haben Deutschland vor die Wand gefahren.

Wie es weitergehen soll, wissen Sie nicht.

Antworten auf die Herausforderungen der Krise haben Sie nicht.

Zukunftsweisende Entscheidungen für unser Land, für unsere Kinder, den Klimaschutz und für moderne Arbeitsplätze gibt es nicht.

Anrede,

während also in Niedersachsen offenbar das Phlegma regiert, sind andere Teile der Politik, auch und insbesondere Akteure der CDU-Politik, ins gegenteilige Extrem verfallen: Schutzschirme  wohin man blickt.

Sie gründen einen volkseigenen Betrieb "VEB Commerzbank" und Ministerpräsident Rüttgers will wohl am liebsten die ganze Deutschland AG verstaatlichen.

Und ein Ministerpräsident Seehofer, der mit seinen Steuergeschenken für Besserverdienende wohl weniger von der Banken- und Wirtschaftskrise getrieben wird, als vielmehr vom Zustand seiner arg lädierten Regionalpartei.

Über die Ursachen der gegenwärtigen Krise spricht fast niemand mehr. Die überfällige Regulierung der Finanzmärkte ist nur noch eine Randnotiz. Auch die Wirkung der Schutzschirme, Konjunkturpakete und Einzelmaßnahmen wird nicht mehr geprüft.

Anrede,

ich behaupte, das neue Konjunkturpaket ist in allererster Linie als gigantische Wahlkampfnummer der großen Koalition geplant und gepackt worden.

Welche Wirkung die einzelnen Maßnahmen erzielen können, ist dabei offenbar zweitrangig.

Im Vordergrund stand der Wunsch möglichst vielen, ein Geschenk zu machen – koste es was es wolle.

Ob dabei die Ursachen der Krise tatsächlich abgestellt werden, ist schon ganz und gar aus dem Blick geraten.

Ein zweiter Teil des Paketes dient der Reparatur eigener Fehlleistungen der großen Koalition - etwa beim Gesundheitsfonds.

Unterlassene Reformen wirken jetzt Kosten treibend.

Das wird vor den Wahlen mit Steuergeld und neuen Schulden kaschiert.

Höchst bedenklich scheint mir auch die Tatsache, dass die große Koalition und die Landesregierung die Produktion von Gütern um ihrer selbst  Willen subventioniert wird.

Die Produktion eines Autos erfolgt für Sie nicht mehr, um Mobilität zu ermöglichen, sondern nur noch um die Produktionsprozesse von Unternehmen am Laufen zu halten, die längst als "too big to fail" gelten. Als so groß, dass jeder fürchtet vom Strudel des Untergangs noch mitgerissen zu werden.

Das Ergebnis ist aberwitzig: Steuerbefreiungen für Spritfresser, Abwrackprämien für Autos und der Bau neuer Straßen, weil nur dafür Planfeststellungsbeschlüsse in den Schubladen liegen. Das erfüllt doch fast schon den Straftatbestand der Nötigung zum Autofahren und zur Umweltzerstörung!

Die Autokonjunktur brach nicht im Herbst 2008 ein, sondern bereits im Jahr 2007. Das schwächste Jahr nach der Wiedervereinigung hieß es. Der Automobilverband sprach von einem "Horrorjahr", weil die Nachfrage um 9 Prozent einbrach, bei den privaten Haushalten sank sie sogar um 25 Prozent.

Anrede,

Wirtschaft und Politik haben die Wirkung der Klimadebatte auf die private Nachfrage und die Wirkung der steigenden Ölpreise verkannt. Jetzt wird auch noch die Wirtschaftskrise gegen die Klimakrise ausgespielt. Statt Ursache und Wirkung zu erkennen und endlich die Abhängigkeit vom Erdöl zu reduzieren, werden hehre Klimaziele auf Eis gelegt und die alten Dinosaurier mit Steuergeld und neuen Schulden künstlich beatmet.

Anrede,

dabei werden Sie den Wandel nicht aufhalten können. Der Kater nach dem Erwachen wird noch größer sein, wenn der Kampf gegen die Abhängigkeit von fossilen Energien noch ein paar Jahre aufgeschoben wird.

Und mitten durch den Trubel stapft unverzagt eine Kanzlerin, die - wie eine Finanzzeitung gestern schrieb -  "sich programmatisch von fast allem verabschiedet, was sie einst wählbar gemacht hat."

Mitten im Trubel räsoniert ein Ministerpräsident Wulff, der mangels eigener Ideen nur hin und wieder dazwischen ruft und bittet, dass man die Stimmung nicht kaputt redet.

Anrede,

wir sollten sehr ernsthaft darüber streiten, welche Maßnahmen das Land in der aktuellen Lage ergreifen muss.

Viel zu viel Steuergeld soll in Norddeutschland für unsinnige Projekte verbrannt werden: Eine Elbvertiefung, die die Deichsicherheit gefährdet und die Investition in Wilhelmshaven konterkariert. Neue Autobahnen, die für die Hinterlandverbindungen der Häfen nichts bringen und noch unberührte Landschaft zerschneiden. Vier Milliarden sollen hier versanden. Beim Um- und Neubau öffentlicher Gebäude kommt die Energieeffizienz zu kurz. Wir könnten längst Null-Energie-Häuser bauen.

Anrede,

wir brauchen niedersächsische Leuchtturmprojekte, die dem Klimaschutz einen kräftigen Impuls versetzen, Energiekosten einsparen, Exportchancen nutzen und Arbeitsplätze sichern.

Wir brauchen Projekte, die Mut machen als Zeichen einer neuen Zeit, als Zeichen für einen Aufbruch. Wir brauchen Projekte, die das Morgen vorwegnehmen und schon Heute zeigen, was Menschen möglich machen können.

Die ganze Welt braucht energieeffiziente Technik: Für Stromproduktion, für Mobilität, für Immobilien, für Produktion und Gewerbe. Der Ölboom ist vorbei. Gas und Uran sind endlich. Kohle macht viel Dreck. Wir kennen die Grenzen des Wachstums. Was könnten wir mit den von Ihnen vergeudeten vier Milliarden Euro alles machen, wenn wir gezielt in innovative Technik investieren:

  • Ein Land der blauen Dächer.
  • Ein Land mit Blockheizkraftwerkstrom und Biogasnetz.
  • Ein Land mit Verdopplung des Windstroms.

Niedersachsen könnte zum Mekka einer neuen Zeit werden. Unser grünes kommunales Programm für Energieeffizienz und Gebäudesanierung würde drei Milliarden Euro nach Niedersachsen bringen, aber eine deutlich geringere Verschuldung verursachen, weil wir nur zinslose Darlehen vergeben.

Anrede,

wir könnten den Soli in einen Bildungssoli umwandeln und die Lasten in der Bildungsfinanzierung deutlich verschieben. Zugunsten der Kinder. Zugunsten einer Bildungsoffensive, die die Kreativität unserer Kinder in all ihren Facetten fördert.

Hier liegt die zweite zentrale Herausforderung unseres Landes. Das verlangt viel von unseren Schulen. Das verlangt viel von unseren Lehrern. Aber ich bin sicher, sie würden den Weg mitgehen. Kreativität und Phantasie ist die wichtigste Ressource unserer Kinder. Das ist der Stoff aus dem Träume und Visionen gemacht werden. Das ist der Stoff, den wir brauchen, um Grenzen zu überwinden. Hier braucht es Impulse und den Mut neue Wege zu gehen.

Anrede,

diese Krise ist mehr als ein üblicher Abschwung. Sie stellt auch unseren Lebensstil und unser Konsummodell in Frage. Unsere Kinder werden fragen, wann wir erkannt haben, dass man Geld nicht essen kann. Unsere Kinder werden fragen, was wir getan haben, um das menschliche Maß wieder zu finden und die natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren. Wenn ich in diesen Tagen von Krise als Chance spreche, dann meine ich ausdrücklich diese Chance zur Besinnung, zur Neuorientierung.

Anrede,

wir haben den aktuellen Zustand der Landesregierung mit einer Schlaftablette verglichen, weil Sie keinerlei Handlungsbereitschaft erkennen lassen. Darüber hinaus widersprechen der Ministerpräsident und sein Kabinett sich in der Analyse der Situation.

Nur ein Beispiel:

Vor Kurzem behauptete der Finanzminister Hartmut Möllring noch in der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung", dass das Gerede von der Kreditklemme Humbug sei: (Zitat) "Eine Kreditklemme gibt es derzeit in Niedersachsen nicht."

In eindrucksvollem Kontrast dazu steht das Interview des Ministerpräsidenten in der "Wirtschaftswoche" am Folgetag, (Zitat) "Es ist ungeheuerlich, dass permanent von den Banken wiederholt wird, es gäbe keine Kreditklemme. Alle meine Gespräche mit Mittelständlern ergeben ein anderes Bild."

Anrede,

angesichts dieser verfahrenen Lage konnte man zum Jahresbeginn fast von Hoffnung sprechen:

Wirtschaftsminister Hirche kündigte seinen umgehenden Rückzug an.

Das gab der Phantasie endlich neuen Raum.

  • Gibt es eine Kabinettsumbildung?
  • Nutzt der Ministerpräsident den Rücktritt zu einer personellen Neuaufstellung?
  • Setzt sich das neue Kabinett Ziele im Kampf gegen die Wirtschaftskrise, den Klimawandel, die Verschuldung der Kommunen, die Belastungen der demografischen Entwicklung, die Zahl der Schulabbrecher?

Stattdessen gab es nur eine neue Nominierung:

Für den Wiederbelebungsversuch wird jetzt der Stabsarzt Rösler an den Kabinettstisch geholt.

Herr Rösler, das hätte man ahnen können - spätestens als Sie neulich Ihre Handpuppe Willi versteigern ließen.

Willi musste weg, weil Sie jetzt alle Kunst darauf verwenden müssen, Ihrem Nachfolger Herrn Bode als Bauchredner zur Seite zu stehen, damit die FDP-Fraktion nicht in Kürze gänzlich als Fähnlein Fieselschweif in der Versenkung verschwindet.

Herr Hirche, offenbar machen Sie sich rechtzeitig aus dem Staub. Rechtzeitig bevor die Konjunktur noch weiter absackt und die Arbeitslosenzahlen noch weiter steigen.

Natürlich möchten Sie damit nichts zu tun haben.

Sie erwarten, dass man sich jetzt in Dankbarkeit vor Ihrer Lebensleistung verneigt. Das heißt vor allem, dass man Sie – bitte schön – nicht an Ihre Pleiten-, Pech- und Pannenbilanz erinnert, die sich wie eine marktradikale Schleifspur durch ihre diversen Landes- und Bundesämter zieht; von der stolzen Zahl der Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse ganz zu schweigen, für die Sie persönlich oder mehr oder weniger indirekt als wirtschafts- und steuerpolitischer Glücksritter Anlass zur Anklage gegeben haben.

Anrede,

Herr Wulff, Sie sind wirklich mit einem dynamischen Team unterwegs: Ihr Finanzminister hin und wieder sogar im Kampfbomber, Ihr Innenminister als Fernsehkoch und der Wissenschaftsminister als Schirmherr beim Schönheitswettbewerb.

Wer wundert sich eigentlich noch darüber -

angesichts der allgegenwärtigen Showpräsenz des Ministerpräsidenten selbst.

Für alle die es verpasst haben sollten: Neulich war Herr Wulff bei Frank Plasberg im Ersten zu bewundern, wie er bei einem Fotoquiz quasi mit verbundenen Augen innerhalb weniger Sekunden das Dekolletè von Kanzlerin Merkel wiedererkannte.

Was für eine Glanzleistung.

Herr Wulff, Sie sind wirklich zu Recht von der Chefredakteurin der Zeitschrift "Bunte" mit der Auszeichnung versehen worden, derjenige Politiker zu sein, der sein Privatleben am besten als Soap, d.h. als Seifenoper zu inszenieren versteht.

In diesem Metier sind Sie tatsächlich den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes mit zahlreichen Auftritten und Äußerungen in Erinnerung geblieben.

Anrede,

verantwortliche Politik muss den Krisen dieser Zeit entschlossen entgegentreten.

Mit dem Sammelsurium des Konjunkturpakets II geschieht das nicht.

Im Gegenteil.

In der Glosse einer Tageszeitung wird heute die ganze Erbärmlichkeit der Gesellschaftsphilosophie und des Staatsverständnisses der großen Koalition wie folgt zusammengefasst: (Zitat) "2500 Euro für ein neun Jahre altes Auto, 100 Euro für ein neun Jahre altes Kind. Das heißt: Familien mit 25 Kindern bekommen soviel Geld wie Kinderlose mit einem Auto."

"Zukunft ist ein Kind der Gegenwart", heißt es in einem Merksatz.

Ihre Politik der Gegenwart lässt für die Zukunft nicht viel zu hoffen übrig.

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