Rede Stefan Wenzel: Erwiderung auf die Regierungserklärung „Dioxinfunde in Futtermitteln – Verbraucherschutz und Landwirtschaft“

"Bei allen Auseinandersetzungen über die Straftaten, die Kontrollfehler und das Missmanagement der letzten Wochen – die zentrale Botschaft dieser Krise lautet: CDU und FDP schützen nicht diejenigen, die Lebensmittel brauchen und verbrauchen, sondern diejenigen, die damit Geschäfte machen."

- es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

das Kernproblem in der ganzen Auseinandersetzung der letzten Tage liegt darin, dass die Bundesregierung und die Landesregierung in Niedersachsen sich weigern, das risikoreiche und tierverachtende System der Lebensmittelherstellung in Frage zu stellen.

Das Risiko erwischt zu werden, ging in der Futtermittelbranche gegen null. Wenn ich Sie beim Wort nehmen darf, Herr Lindemann, musste eine niedersächsische Futtermühle etwa alle 80 Jahre eine Dioxinprobe fürchten. Gemeinhin sprechen wir in solchen Fällen von rechtsfreien Räumen. In diesem Bereich industrieller Tierfutterproduktion hat man Tür und Tor für Missbrauch und kriminelle Handlungen geöffnet. Ob nur einzelne Kriminelle am Werk waren oder ob hier ein ganzes Netzwerk dafür gesorgt hat, dass die Fleischtheke zur Sondermülldeponie wurde, wissen wir noch nicht.

Anrede,

gestern konnte man in einem Ihrer Interviews lesen, dass die Großen der Branche nicht betroffen seien. Das hätten wir gern genauer gewusst. Wenn jetzt Chloramphenicol in Vitaminpräparaten der Firma Lohmann aus Cuxhaven auftaucht, sind wir bei der Wesjohann-Gruppe und bei Wiesenhof. Das sind die Großen.

Bis heute sind noch nicht einmal die Namen aller 20 Futtermühlen in Niedersachsen bekannt, geschweige denn die Namen der Handelsketten, die verseuchte Lebensmittel verkauft haben. Stattdessen werden alle Bauern und alle Händler in Mithaftung genommen, auch die, die untadelige Produkte anbieten. Wenn Sie keine Namen nennen, dann machen Sie alle verdächtig.

Anrede,

bei allen Auseinandersetzungen über die Straftaten, die Kontrollfehler und das Missmanagement der letzten Wochen – die zentrale Botschaft dieser Krise lautet: CDU und FDP – egal ob im Bund oder in Niedersachsen – schützen nicht diejenigen, die Lebensmittel brauchen und verbrauchen, sondern diejenigen, die damit Geschäfte machen.

Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen, denn Sie zeigen keine Einsicht.

Sie haben nicht die Courage, die ganz offensichtlichen Fehler und Versäumnisse einzugestehen. Mittlerweile schicken Märkte wie China, Russland, Südkorea oder Italien ganz oder teilweise ihre Ware zurück. Der materielle Schaden überschreitet längst die 100 Mio. € Grenze.

Eigentlich hätte heute hier der Ministerpräsident McAllister reden müssen und nicht Sie, Herr Landwirtschaftsminister. Mit dem Chaos der letzten Wochen hatten Sie ja offensichtlich noch nichts zu tun. Fragt sich, warum Sie die Regierungserklärung halten.

Herr Ministerpräsident,

Sie haben sich einen schlanken Fuß gemacht. Sie sind in diesem Skandal der Oberste der Zauderer und Zögerer.  Sie haben zugesehen, wie Ihr Staatssekretär mehrfach Entwarnung rief und sich kurz darauf wieder korrigieren musste. Sie halten das wohl für staatsmännisch, wenn Sie sich aus den Mühen der Ebene fernhalten. Sie haben hilflos zugeschaut, wie das Desaster seinen Lauf nahm.

Der Streit geht jetzt aber nicht darum, ob Herr McAllister, Herr Sander, Herr Ripke oder Frau Aigner der oder die Unfähigere im Dioxin-Skandal waren und sind. Der Streit geht darum, ob die vier zusammen Recht haben, wenn sie unisono erklären, dass es keine Agrarwende geben muss.

Das allerdings meint leider auch Herr Lindemann. Und deshalb haben wir keinerlei Hoffnung auf einen Neuanfang.

Anrede,

es geht nicht um Nostalgie und die heile Welt auf dem Lande. Es geht um die Frage, ob Lebensmittel künftig nur noch in zentralen Agrarfabriken mit weltweiten Futterquellen und Billiglöhnerkolonnen produziert werden oder ob dezentrale, regionale Produktion und bäuerliche Werte wieder mehr Gewicht erlangen. Ob wir uns künftig von Designer Food und Chicken McNuggets ernähren oder ob unsere Kinder noch wissen wie man Königsberger Klopse oder Grünkohl mit Pinkel kocht.

Es gibt keinen Neuanfang ohne einen Kurswechsel - weg von der industriellen Tierhaltung, die die Privilegien in Anspruch nimmt, die einst für bäuerliche Betriebe geschaffen wurden.

Gucken Sie sich die Fusion an, die Danish Crown und D&S Fleisch Essen/Oldenburg jetzt vollzogen haben. Künftig steht ein Bauer der Schweine verkaufen will einem Schlachtkonzern mit fast 25 Mio. Schlachtungen gegenüber. Hochgepäppelt mit Staatsbürgschaften – auch in Niedersachsen. Ist das die Normalität, die Sie meinen?

Gucken Sie sich die Entwicklung der letzten vierzig Jahre an. Soll sich der Niedergang der bäuerlichen Landwirtschaft in diesem Tempo fortsetzen? Ich hoffe nicht. Am Ende braucht jeder Verbraucher ein eigenes Labor, um festzustellen, was man ihm alles ins Essen gerührt hat.

Anrede,

Fakt ist: Im Futter finden sich Industriefette, Antibiotika, Blutplasma und andere Abfallstoffe!

Zum Schutz der Verbraucher muss alles aufgeklärt werden – Ross und Reiter müssen jetzt benannt werden. Das ist unvermeidlich.

Zum Schutz der Verbraucher und zur Verhinderung von Wiederholungen dieses Desasters muss sowohl im bestehenden System optimiert werden als auch der Systemwechsel in Angriff genommen werden. Die gestrigen Beschlüsse sind ein Anfang - mehr nicht.

Mit Herrn Lindemann zieht kein Hoffnungsträger ins Landwirtschaftsministerium.

Herr Lindemann, Ihre Rede zeigt, Sie kommen nicht als reformfreudiger Jungbauer – Sie sind der Grandseigneur der alten Schule.

Wenn Sie schon nicht auf uns hören, dann beherzigen Sie vielleicht die Ratschläge, die Ihnen heute eine große Tageszeitung mit auf den Weg gibt:

  1. Masse statt Klasse hat keine Zukunft
  2. Die wichtigste aller Korrekturen muss darin liegen, dass Ihr Ministerium sich nicht mehr als Teil der Agrarlobby begreift.
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