Rede Stefan Wenzel: Erwiderung auf die Regierungserklärung „Demonstrationsfreiheit achten – Missbrauch ächten“

„Das vergangene Wochenende war eine machtvolle politische Demonstration gegen die Atom- und Energiepolitik von CDU/CSU und FDP und ihrer Regierungen in Hanno-ver und Berlin. Und diese Tage waren auch ein Lehrstück für lebendige Demokratie“, so Stefan Wenzel.

- es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

das vergangene Wochenende war eine machtvolle politische Demonstration gegen die Atom- und Energiepolitik von CDU/CSU und FDP und ihrer Regierungen in Hannover und Berlin. Und diese Tage waren auch ein Lehrstück für lebendige Demokratie.

An diesem Wochenende haben junge und alte Menschen, Bürgerinnen und Bürger aus allen Teilen der Republik und aus allen Teilen der Gesellschaft gezeigt, dass man Politik nicht dauerhaft über die Köpfe der Menschen hinweg machen kann.

Gorleben, der Ort, der vor 33 Jahren in einer Nacht- und Nebelaktion als Opfergabe für die Atomindustrie ausgeguckt wurde, wird jetzt zum Menetekel für die Konservativen in diesem Land.

Die Mehrheit der Bevölkerung will nicht, dass marode Atomreaktoren noch länger am Netz bleiben. Die Mehrheit will nicht noch mehr Atommüll. Die Mehrheit will kein Endlager in Gorleben.

Und die große Mehrheit in diesem Land will keine Regierung, die sich zum Handlanger der Atomindustrie macht. Regierungen sind dem Gemeinwohl des Volkes verpflichtet und nicht den separaten Interessen von Konzernen.

Mich wundert nicht, dass viele Vertreter der Konservativen nach diesem Wochenende vor Wut schäumen.

Sie machen sich Sorgen.

Zu Recht. Weil Ihr ganzes Politikkonzept, Ihr ganzes Demokratieverständnis baden geht. Seit Jahrzehnten haben Sie darauf gesetzt, dass das Volk nur alle vier oder fünf Jahre gefragt wird. Es wird gewählt und in der restlichen Zeit wird gemacht, was die Regierung beschließt.

Das reicht nicht mehr.

Die Menschen wollen nicht nur alle vier, fünf Jahre beteiligt werden.

Aber dafür haben die Konservativen und auch die FDP weder Verständnis noch Vorschläge. Und deshalb gehen den Regierungsparteien gleichermaßen die Werte wie die Wähler von der Fahne.

Die Klugen in der CDU, zum Beispiel Herr Lammert und Herr Geissler, haben das verstanden. Aber davon gibt es nicht viele.

Die anderen machen angesichts der eindrucksvollen Proteste in Gorleben genauso wie in Stuttgart und anderswo das, was sie immer gemacht haben:

Sie beschimpfen das Volk. Und sie beschimpfen die Grünen.

Am Wochenende waren fast alle im Wendland – nur nicht die politisch Verantwortlichen von Bundes- und Landesregierung. Der Ministerpräsident, der Innenminister und der Umweltminister haben sich in die Büsche geschlagen.

Letzte Woche hieß es, Sie seien für die Endlagersuche auch in Süddeutschland, für ergebnisoffene Arbeiten und für Transparenz im Verfahren.

Aber wie ist die Realität? Keine einzige ernsthafte Kabinettsvorlage, kein einziger Vorstoß im Bundesrat, keine einzige Initiative dafür von McAllister und Co.

Anrede,

Herr Ministerpräsident, Herr Schünemann, Sie wollen doch in Deutschland die Menschen vertreten, die dem "C" in ihrem Parteinamen auch heute noch eine tiefere Bedeutung beimessen.

Das katholische Forschungsinstitut in Hannover sagt in einem Thesenpapier, das der Weiterbetrieb von Atomkraftwerken eine Verletzung des Gemeinwohls ist.

Der neue Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Nikolaus Schneider befürwortet gewaltfreie Sitzblockaden gegen den Castor-Transport nach Gorleben als legitime Protestform. Sie seien ein gutes Zeichen für unsere Demokratie. So sprechen heute Christenmenschen.

Was hören wir von Ihnen, Herr Innenminister? In Ihrer Regierungserklärung finden sich ein Satz zum friedlichen Protest und fünfzig Sätze zur Gewalt.

Anrede,

ich finde es wirklich interessant, dass der Innenminister in Niedersachsen einmal auf die Bedeutung der Grundrechte aufmerksam macht. In der Vergangenheit sind Sie mehr dadurch aufgefallen, dass Sie Grundrechte nicht gerade hoch schätzen oder beachten:

Verstoß gegen Artikel 10 Grundgesetz durch den präventiven Lauschangriff im Polizeigesetz

Verstoß gegen Artikel 4 Grundgesetz – die Religionsfreiheit – durch anlasslose Moscheekontrollen

Und gegenwärtig fordern Sie ja auch mal wieder den Abschuss von entführten Flugzeugen: das wäre dann ein Verstoß gegen Artikel 1 – die Menschenwürde und Artikel 2 das Recht auf Leben.

Grundrechtsbelehrung durch diesen Innenminister ist vollkommen unangebracht und so glaubwürdig wie Meeresschutz durch Ölfirmen.

Das Versammlungsrecht ist ein sehr bedeutendes Grundrecht  – es hat Diktaturen zu Fall gebracht – und es bringt gerade eine unverantwortliche Energiepolitik zu Fall. Es war insgesamt eine mächtige eine erfolgreiche, eine kreative und fantasievolle, eine beeindruckende Demonstration an diesem Wochenende im Wendland. Es waren Familien mit ihren Kindern, es waren Handwerker, Lehrer, Bauern, Studenten und Hausmänner – es war die ganze Breite der Gesellschaft, die sich dort friedlich getroffen hat.

Ich möchte den Polizeipräsidenten aus Lüneburg an dieser Stelle sinngemäß zitieren: der gewaltbereite Teil der Demonstranten im Wendland liegt bei 1 Prozent. Das heißt 99 Prozent der Versammelnden sind friedlich und gewaltfrei. Wir werden es nicht akzeptieren, dass diese Menschen verunglimpft, denunziert oder als Kriminelle abgestempelt werden.

Bis auf eine Ausnahme lobt die Presse den friedlichen und fantasievollen Protest.

Meine Damen und Herren,

Gewalt gegen Menschen und Sachen hat keine Rechtfertigung – und keinerlei Akzeptanz verdient. Das Versammlungsrecht steht unter dem Friedlichkeitsgebot. Wir verurteilen Angriffe auf Polizisten und Polizisten in aller Deutlichkeit.

Etwas ganz anderes sind aber friedliche Sitzblockaden von denen keine Gewalt und Aggression ausgeht – das ist legitimer Protest – das ist notwendiger Protest gegen eine verantwortungslose Politik.

Wir erwarten friedliche Demonstranten – absolut zu Recht – und wir erwarten Polizisten, die sich an das geltende Recht halten. Auch das ist nicht immer der Fall. Ich habe großen Respekt und große Anerkennung für Polizisten, die friedliche Blockierer schonend weg tragen. Ich habe natürlich Verständnis für Verteidigungshandlungen, wenn Polizisten angegriffen werden. Und ich habe absolut kein Verständnis, wenn bereits vollkommen wehrlose Demonstranten mit Schlagstöcken malträtiert werden oder mit Pfefferspray besprüht werden. Auch das ist bei diesem Einsatz vorgekommen – das ist nicht verhältnismäßig und damit rechtswidrig. Herr Schünemann, Sie wissen genau wie viele Demonstranten im nachträglichen Rechtsschutzverfahren in den letzten Jahren Recht bekommen haben. Es gab dutzende rechtswidrige Ingewahrsamnahmen und Polizeikessel.

Meine Damen und Herren,

ich möchte etwas zu dem Polizeieinsatz an diesem langen Wochenende sagen: Die Polizei hat hier eine ungeheurer schwierige Aufgabe zu lösen – auf ihrem Rücken wird ein gesellschaftlicher Großkonflikt ausgetragen. Sie darf diese unvernünftige Energiepolitik ausbaden – denn die Auseinandersetzung um die Atompolitik war doch schon befriedet. Ja – es gab auch Castortransporte zu Rot-Grün aber es gab ein Ausstiegszenario und den Entwurf eines Endlagersuchgesetzes und keine Laufzeitverlängerungen. Den Konflikt im Wendland angeheizt hat nicht die Anti-Atom Bewegung, sondern die Bundesregierung. Wenn man dieses Wochenende im Wendland erlebt hat, fragt man sich wirklich: wie lange soll ein Landkreis im Ausnahmezustand, eine bis an die absoluten Grenzen strapazierte Polizei und eine Bevölkerung das noch aushalten? Die Proteste gegen Stuttgart 21 haben nach drei Monaten die schwarz-gelbe Regierung in Baden-Württemberg dazu gebracht, wenigstens den Versuch in Form einer Schlichtung mit einem von allen Seiten anerkannten Schlichter zu unternehmen, um die Bevölkerung und die staatlichen Institutionen, die Regierung und das Parlament wieder miteinander ins Gespräch zu bringen.

Ihre Landesregierung ist nach 33 Jahren im Wendland zu einem vergleichbaren Schritt nicht willens und nicht in der Lage.

Es wäre gut und wirklich erhellend, wenn Sie dazu mal etwas sagen würden, Herr Schünemann: wie lange wollen Sie diese Einsätze den Menschen noch zumuten? Wie lange wollen Sie diese Einsätze den Polizisten noch zumuten – wie lange wollen Sie eine unzumutbare Politik noch verantworten. Die Menschen im Wendland werden erst aufhören gegen Castoren zu protestieren, wenn Gorleben aufgegeben wird. Und wir werden sie dabei unterstützen.

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