Rede Stefan Wenzel: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2006

Landtagssitzung am 13.09.2006, TOP 7

Anrede,

der Haushaltsplanentwurf für das Jahr 2007 ist der Versuch der schwarz-gelben Landesregierung wahlkampftauglich zu werden.

Sie hoffen, dass Sie mit Ihrem Zahlenwerk endlich die eierlegende Wollmilchsau erschaffen haben - einen finanzpolitischen Humunculus omnipotentus sozusagen.
Aber wissen Sie was, Herr Minister Möllring? Selbst wenn Sie ihm einen Hut aufsetzen, das was da in den Labors Ihrer Abteilungs- und Referatsleiter in den Ministerien entstanden ist, kann man allenfalls als einen humpelnden Hamster bezeichnen.
Ihr Haushalt spart nicht richtig und er spendiert nicht richtig.
Ihr ganzer Entwurf ist einfach nicht richtig. Aber das wundert uns nicht. Denn wenn die ganze Politik falsch ist, dann kann der Haushalt nicht richtig sein.

Weder ist es mit diesem Haushalt gelungen, auf die großen Herausforderungen im Bildungsbereich angemessen zu reagieren, noch wird der Versuch gemacht, angesichts deutlich höherer Steuereinnahmen auch die Neuverschuldung stärker zu verringern.

Vieles deutet darauf hin, dass Sie sich schon eine Kasse für den Landtagswahlkampf 2008 zurücklegen wollen. Dort sollen dann die Wählerinnen und Wähler offenbar kurz vor den Wahlen mit Wohltaten bedacht werden, die die haushaltspolitische Wirklichkeit des Landes eigentlich nicht zulässt.

Anrede

Die Menschen haben das Spiel offenbar durchschaut. So, Herr Wulff, werden Sie Ihren Ruf als Schuldenkönig bestimmt nicht los. Die Bürgerinnen und Bürger glauben Ihnen Ihr Spartheater sowieso nicht mehr. Das Ergebnis der NDR-Umfrage vom August hat das deutlich gezeigt, in Sachen Haushalt und Finanzen haben Sie an Renommee verloren. "Deutlich weniger Befragte (minus 7 Prozent) rechnen damit, dass die Union am ehesten die Verschuldung des Landes in den Griff bekommen könnte." Auch mit diesem Haushalt sind Sie Problemverursacher und nicht Problemlöser.

Wulff und Schattenhaushalte, dass ist mittlerweile ein stehender Begriff. Zu Anfang Ihrer Regierungszeit haben Sie einige Entlastungsschritte unternommen. Mittlerweile hat Sie der Elan und der Ehrgeiz verlassen, Herr Wulff. Sie sind in weiten Teilen Ihrer Haushaltspolitik zum Anscheinserwecker und Blender geworden. 

Da sollten vor den Wahlen die Beamten zufrieden gestellt werden, für die Kinderbetreuung soll es ein wenig mehr geben, es soll wieder ein Blindengeld geben, die Polizei soll auch weiterhin die Wagen betanken können und sogar die Hochschulen sollen ein bisschen mehr zum Ausgleich der Kostensteigerung, bedingt durch die Mehrwertsteuererhöhung und die steigenden Energiepreise, erhalten. Auch soll der Haushalt mit Hilfe von "Sondereffekten" verfassungskonform werden und der Schuldenanstieg soll nicht höher werden als schon in der Mittelfristigen Planung veranschlagt war.

·Dieser Haushaltsentwurf enthält für das Jahr 2007, gegenüber der letzten Mittelfristigen Planung, 628 Millionen Euro Steuermehreinnahmen. Das zahlen die Bürgerinnen und Bürger über die Mehrwertsteuererhöhung.

·Dieser Haushalt enthält darüber hinaus, über eine Entnahme aus der Rücklage, 138 Millionen Euro Mehreinnahmen aus dem Haushaltsjahr 2005 und

·dieser Haushalt enthält 248 Millionen Euro konjunkturbedingte Mehreinnahmen aus diesem Jahr, die durch Hin-und-her-Buchereien bei Steuereinnahmen und Veräußerungserlösen über den Nachtragshaushalt 2006 ins kommende Haushaltsjahr, übertragen werden.

Das ergibt insgesamt mehr als eine Milliarde Euro Mehreinnahmen und trotzdem, und das ist das eigentliche Problem, gelingt es der Landesregierung nicht die Neuverschuldung stärker zu reduzieren.

Im kommenden Jahr sind trotz der Mehrwertsteuererhöhung offiziell 1,45 Milliarden Euro neue Schulden eingebucht und zusätzlich noch mal 130 Millionen Euro über den Schattenhaushalt Landestreuhandstelle.

Anrede,

Ihre Jahr für Jahr abgefeierte Senkung der Nettokreditaufnahme ist das Papier nicht wert, worauf sie steht.

Der Rechnungshof hat in seinem letzten Bericht bezüglich der kreditfinanzierten "Vermögensaktivierung" über die Hannoversche Beteiligungsgesellschaft wörtlich geschrieben: "Diese Kredite sind dem Land wirtschaftlich zuzurechnen. Ohne diese kreditfinanzierten In-Sich-Geschäfte des Landes hätte das Land z. B. die im Haushaltsgesetz 2005 ausgewiesene Nettokreditaufnahme nicht absenken können, sondern im Vergleich zum Vorjahr sogar um 100 Millionen € erhöhen müssen." Damit straft der Landesrechnungshof die von der Landesregierung gebetsmühlenartig wiederholte Absenkung der Nettokreditaufnahme von jährlich 350 Millionen Euro Lügen. Herr Wulff und Herr Möllring und auch meine Damen und Herren aus den Regierungsfraktionen, das haben die Menschen zur Kenntnis genommen und lassen sich hier nicht mehr täuschen.

Auch für die kommenden Jahre behauptet die Landesregierung, dass sie die Neuverschuldung zurückführen will. Gleichzeitig weist die Mittelfristige Planung, trotz der Mehrwertsteuererhöhung, gigantische Haushaltslöcher auf. Für das Haushaltsjahr 2010 sind Ausgaben in Höhe von 1,2 Milliarden Euro bisher ungedeckt. Diese Haushaltslöcher sollen in den kommenden Jahren durch weitere Ausgabenreduzierungen und Einnahmeverbesserungen abgebaut werden. Welche Ausgaben jedoch gekürzt werden sollen und welche Steuererhöhungen es geben soll, bleibt offen.

Jahr für Jahr versuchen Sie dann in Haushaltsklausuren zu Beginn der Sommerferien die neuesten Taschenspielertricks vor den Augen der Bürgerinnen und der Bürger zu verbergen.

Wir haben hier mehr Transparenz eingefordert. Wir haben Bürgerbeteiligung bei der Haushaltsplanung eingefordert, wie sie in Hamburg erstmalig praktiziert wurde. Hier liegen Chancen für künftige Herausforderungen, die genutzt werden müssen. Aber da haben Sie ein Problem, Herr Wulff: Solch transparente Formen der Haushaltsplanung passen nicht mit Ihren Mauschelgeschichten zusammen. Wenn man noch nicht mal willens und in der Lage ist, die Kriterien zu nennen, die Bieter bei dem von Ihnen geplanten Verkauf der Landeskrankenhäuser erfüllen müssen, dann fürchtet man auch hier die frische Luft und kungelt lieber im stickigen Hinterzimmer der großen Krankenhauskonzerne.

Unverständlich ist auch Ihre  Weigerung, sich der doppelten Buchführung anzunehmen. Entweder ist das Instrument schlecht, dann darf man aber auch die Kommunen nicht damit quälen oder das Instrument ist gut. Dann muss aber auch das Land endlich springen.

Anrede,

im von der Landesregierung vorgelegten Nachtragshaushalt 2006 ist bisher nur ein Teil der erwarteten Steuermehreinnahmen eingebucht. Die aktuellen Schätzungen des Finanzministeriums gehen weit darüber hinaus. Aber bevor überhaupt solide Zahlen vorliegen, waren die ersten Fraktionisten von CDU und FDP schon dabei über die Presse noch schnell vor der Kommunalwahl zu verkünden, was Sie mit weiteren Mehreinnahmen alles Schönes machen wollen. Herr Althusmann will der Polizei Gutes tun und Herr Bode ein paar Straßen sanieren. Ich kann Ihnen nur raten, verfrühstücken Sie die noch nicht realisierten Einnahmen nicht.

Reduzieren Sie mit dem was an weiteren Mehreinnahmen 2006 in die Kasse kommt und nicht für zwangsläufige Ausgabensteigerungen verloren geht die Neuverschuldung. Alles andere wäre angesichts der Haushaltslage des Landes fatal.

Anrede,

Sie haben noch immer nicht den Stellenwert der Bildungspolitik für Gesellschaften erkannt, die in globalisierten Wirtschaftsbeziehungen leben. "Deutschland fällt im Wohlstandsvergleich zurück", titelt die Welt am 8. Mai 2006. Nach Berechnungen von Deutsche Bank Research könnte Deutschland beim Pro-Kopf-Einkommen bereits 2008 hinter Spanien zurückfallen. 2020 wären nur noch Griechenland und Portugal schwächer als Deutschland. Der Grund: Der rasante Anstieg gut ausgebildeter Nachwuchskräfte in anderen Ländern. Unter den 25-34 jährigen Spaniern haben 37 Prozent einen Hochschulabschluss. In Deutschland nur 20 Prozent. Die Anzahl der Schulabbrecher ist bei uns viel zu hoch – gerade auch unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Diese verfehlte Bildungspolitik verschlechtert die langfristigen wirtschaftlichen, finanz- und haushaltspolitischen Aussichten erheblich.

Anrede,

jetzt können Sie natürlich sagen: das sind Deutschlandzahlen. Bei uns ist alles viel besser. Weit gefehlt. Ich muss dabei nur an unsere Debatte von heute Vormittag erinnern, die leider dokumentiert, dass das Gegenteil der Fall ist. Herr Hirche wirft Nebelkerzen, wenn es um Ausbildungsplätze geht. Herr Busemann redet Gesamtschulen schlecht, weil es ihn wurmt, dass viele Gesamtschulen so gute Leistungskennziffern abliefern. Überhaupt Herr Busemann, Sie lassen keine Gelegenheit aus, um Ihre Hauptschulen gesund zu beten. Dabei kommen Experten zu ganz anderen Schlüssen. "Die Probleme werden größer", sagte der OECD-Bildungskoordinator Andreas Schleicher in der Wirtschaftswoche vom 15. Mai 2006. Erst gestern hat sich noch mal bestätigt, wo wir bildungspolitisch stehen.

Anrede,

im Schulbereich sollen mit dem vorliegenden Haushalt mehrere hundert Lehrerstellen abgebaut werden. Das wird mit zurückgehenden Schülerzahlen begründet. So lange unsere Schulen aber nicht ein deutlich besseres Niveau haben und so lange die Unterrichtsversorgung nicht zu 100% gewährleistet ist, ist das der falsche Weg.

Ihr Kinderbetreuungsplacebo ist mit heißer Nadel gestrickt. Den Herausforderungen der frühkindlichen Bildung wird es nicht gerecht. Sie müssen an das Ehegattensplitting heran, um eine bessere Kinderbetreuung, gute Aus- und Weiterbildung für ErzieherInnen und ein kostenfreies Bildungsjahr im Kindergarten finanzieren zu können. Warum werden Alleinerziehende und Menschen, die ohne Trauschein mit Kindern leben, schlechter behandelt. Warum müssen Gutverdiener ohne Kinder besonders staatlich gefördert werden. Die CDU wird ihre Lebenslügen nicht los. Die Familienpolitik ist ihr wunder Punkt.

Auch die Hochschulpolitik geht in die  falsche Richtung. Von 2001 bis 2005 ist die Zahl der Studienanfängerplätze in Niedersachsen um 11% gesunken. Niedersachsen ist im Bundesländervergleich Exportmeister bei den Studierenden. Die Hochschulen mit  Forschung und Spitzentechnologie zu fördern wäre aber die bessere Wirtschaftsförderung. Hier entstehen die Arbeitsplätze von morgen. Hier muss investiert werden.

Anrede,

Auch an einer anderen Stelle sind Ihre Koordinaten völlig verloren gegangen. Wir leben in einem Land, das künftig schrumpfen wird. Nicht überall, aber an vielen Ecken. In manchen Regionen haben wir heute schon Arbeitslosigkeit von nicht oder gering qualifizierten Menschen und Fachkräftemangel gleichzeitig.

Sie, Herr Wulff und Herr Schünemann, sind dabei, gut integrierte ausländische MitbürgerInnen und ihre Kinder außer Landes zu treiben oder abzuschieben. Dabei sind das Kinder, die hier geboren wurden und hier aufgewachsen sind. Sie erkennen nicht die Chance, die hier auch für die ökonomische Zukunft unseres Landes liegt. Während große Unternehmen längst den Wert von "Diversity" – "Vielfalt" erkannt haben, sind Sie noch immer dabei die gesetzliche Grundlage rigide und bis zum Anschlag auszureizen.

Große Firmen haben erkannt, dass vielfältige kulturelle Hintergründe der MitarbeiterInnen eine ganzheitlichere Sicht auf Probleme und Herausforderungen ermöglichen. Diese Firmen begreifen kulturelle Vielfalt und Toleranz als Stärke. Als Möglichkeit den Herausforderungen der Globalisierung die Stirn zu bieten. Auch Wirtschaftswissenschaftler wie der Amerikaner Richard Florida weisen nach, dass die Fähigkeit zur kulturellen Integration, zur Aufnahme von Ideen aus anderen Regionen und Ländern, dass Toleranz und Weltoffenheit zentrale Determinanten des wirtschaftlichen Erfolgs sind.

Hier liegt die zentrale Herausforderung. Die Integration muss man zur Chefsache machen und man muss aufhören, gut integrierte Migranten, die hier leben und arbeiten, Rentenversicherung und Steuern zahlen, ins Ausland zu vertreiben. Auch im öffentlichen Dienst müssen wir Menschen mit Migrationshintergrund Chancen und Wege eröffnen. Ob in der Verwaltung, bei der Polizei oder im Finanzamt. Die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft wird künftig maßgeblich von der Frage bestimmt, ob wir für kreative, phantasievolle und innovative Zu- und Einwanderer attraktiv sind. Egal, ob sie als Gastprofessorin, als Studentin, als Facharbeiterin oder als Flüchtling kommen.

Anrede,

so mut- und perspektivlos wie die große Koalition in Berlin kommt auch Ihr Landeshaushalt in Niedersachsen daher. Wo sind die langfristigen Linien? Was sagen Sie den Kommunen, die von Kassenkrediten erdrückt werden, zumal dann, wenn die Zinsen noch steigen?

Notwendig sind jetzt mutige Initiativen zur Reform der Länderfinanzverfassung, die so gestaltet werden muss, dass stillschweigende Duldung von Steuerhinterziehung finanziell bestraft wird. 20 Milliarden gehen dem Fiskus jährlich verloren, weil die Finanzminister ihre Ressorts als fünfte Kolonne der Wirtschaftsförderung begreifen.

Was ist mit einer Länderneuordnung? Das Problem der zu kleinteiligen Ländergrenzen zeigt sich insbesondere bei der Hafenfinanzierung. Jedem Land sein eigenes Spielzeug. Wenn der Tiefwasserhafen Sinn machen soll, dann nur, wenn gleichzeitig die endlose Vertiefung von Weser und Elbe beendet wird.

Anrede,

vieles muss jetzt endlich angepackt werden. Eine verkehrswertnahe Reform der Erbschaftssteuer, eine Begrenzung der Ärzteabrechnungen bei der Beihilfe, eine echte Kooperation im Nordländerverbund. Ein Anreizmodell für kooperations- und fusionswillige Kommunen. Eine Diskussion über künftige Verwaltungszuschnitte und eine Gemeindefinanzreform. Nicht zuletzt gilt es, den Zumutungen der großen Koalition entgegenzutreten. Die Kürzung bei den Wohnkosten für Arbeitslosengeld II – Empfänger widerspricht alten Vereinbarungen mit den Kommunen.

Die so genannte Gesundheitsreform würde auch Niedersachsen treffen: Steigende Beiträge, doppelte Kontenführung bei der neuen Behörde und bei den Kassen für die kleine Kopfpauschale. Eine neue Mammutbehörde, die kein Mensch braucht. Dieses Projekt straft alles Reden Lügen. Was die große Koalition hier verabredet hat, ist großer Bockmist.

Anrede,

Sie haben sich zum Gewinner der Wahl erklärt, Herr Wulff, obwohl Sie absolut und in Prozent verloren haben. Außer in Braunschweig, haben Sie in den großen Städten keinen Erfolg gehabt. Osnabrück, Göttingen, Hannover, Oldenburg. Sie haben verloren und damit auch das Ergebnis vom Niedersachsentrend bestätigt. Ministerpräsident Wulff ist wieder auf dem Teppich und die FDP ist vierte Kraft.

Einmal mehr hat sich Herr Wulff als Anscheinserwecker versucht. Die Realität straft sie Lügen.

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