Rede Stefan Wenzel: Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2007

Anrede,

"Von Schattenhaushalten zum Blendwerk mit Wahlgeschenken" könnte man als Überschrift für Ihre Finanzpolitik wählen. Noch im Mai letzten Jahres hat der Steuerzahlerbund unter Bezugnahme auf ein Gutachten des finanzpolitischen Beraters von Ministerpräsident Wulff erklärt, dass sich im Jahr 2030 die Finanzlage so zugespitzt haben wird, dass ein Staatswesen, wie wir es heute in Niedersachsen kennen, nicht mehr existenzfähig ist. Professor Homburg hat zu drastischen Einsparungen aufgerufen. Finanzminister Möllring hat dazu in einer Pressemitteilung verkünden lassen, dass er die Vorschläge im Einzelnen mit seinen Ministerkollegen besprechen und auf ihre Umsetzbarkeit prüfen will. Seitdem sind drei Entwicklungen zu beobachten:

”¢Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â  Die Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozent wurde beschlossen.

”¢Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â  Die Konjunktur hat sich positiver entwickelt als erwartet.

”¢Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â  Die Regierung Wulff hat die Haushaltskonsolidierung auf Haushaltstrickserei umgestellt.

Anrede,

da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich. Geht die Sanierung der Staatsfinanzen so einfach und schnell? Ist der Berater von Ministerpräsident Wulff ein Pessimist und Schwarzmaler oder hat er sich hoffnungslos verrechnet?

Beides würde Herr Professor Homburg wahrscheinlich entrüstet zurückweisen.

Deshalb muss es noch eine andere Erklärung geben, die da heißt: Die Landtagswahlen stehen bald ins Haus und die Regierung will die Wähler nicht verschrecken. Deshalb werden die Steuermehreinnahmen genutzt, um notwendige Maßnahmen hinauszuschieben.

Das strukturelle Defizit wird auf hohem Niveau gehalten und es wird ein Polster für den Haushalt 2008 angelegt. Über zwei Milliarden Euro werden nach jetzigen Erwartungen an Nettomehreinnahmen, in die Haushalte 2006 und 2007 fließen, mit denen im Dezember des letzten Jahres noch nicht zu rechnen war.

Das ist aus haushälterischer Sicht erfreulich. Ein Verdienst der Arbeit dieser Landesregierung ist das aber nicht. Von diesen zusätzlichen Mehreinnahmen werden lediglich 150 Millionen Euro - das sind 7,5% - von den Regierungsfraktionen für eine zusätzliche Absenkung der Neuverschuldung genutzt.

Da fragt man sich doch: wo haben Sie den Rest gelassen?

Ein großer Teil der Mehreinnahmen ist in Ihrem Haushaltsloch 2007 verschwunden, das deshalb ohne größere Einsparungen geschlossen werden konnte. Mit einem weiteren Teil haben die Koalitionsfraktionen Ausgabewünsche gedeckt. Und der gesamte große Rest soll als nicht ausgeschöpfte Kreditaufnahme aus 2006 zur Deckung des Haushaltslochs 2008 verschoben werden. Denn da klafft noch eine Lücke von über 900 Millionen Euro.

Anrede,

das was der Finanzminister hier an Hütchenspielertricks vorführt mag wahlstrategisch aus Sicht der Regierenden verlockend sein, ein verantwortungsvoller Umgang mit den Steuergeldern der Bürgerinnen und Bürger ist das aber nicht.

Die ersten zweieinhalb Jahre haben Sie etwas konsolidiert, Vermögen verscherbelt und Schulden in Schattenhaushalten versteckt. In der zweiten Hälfte Ihrer Amtszeit versuchen Sie die Bevölkerung mit allerlei Wohltaten auf die kommende Landtagswahl einzustimmen.

Verantwortungsvoll wäre es gewesen, wenn Sie die Mehreinnahmen zu einer echten Absenkung der Neuverschuldung überführt hätten.

Dazu fehlte Ihnen aber der Mut.

Anrede,

60 Jahre Niedersachsen sind auch sechzig Jahre mit steigenden Schulden. Das muss jeden ernsthaften Demokraten ernsthaft besorgt machen. Glauben Sie, dass Demokratie nur funktioniert, wenn man vor den Wahlen das Füllhorn zur Hand nimmt? Ich glaube, dass die Menschen schon viel weiter sind, Herr Wulff. Ihre neue Ängstlichkeit ist Ihrer eigenen Nervosität angesichts schlechter Wahlergebnisse und Umfragewerte für die CDU und Ihre Regierung geschuldet.


Herr Ministerpräsident Wulff,

Sie hatten kein gutes Jahr, da ist eine gewisse Nervosität verständlich. Das darf aber nicht dazu führen, dass falsche Entscheidungen zur Zukunft unseres Landes getroffen werden.

Auch Ihre bundespolitischen Ambitionen haben auf dem CDU-Parteitag einen heftigen Dämpfer erhalten. Mit Interesse haben wir zu Kenntnis genommen, dass Sie gar nicht Kanzler werden wollen. Das wundert uns etwas, weil man oft den Eindruck hat, dass Sie mehr in Berlin als in Hannover unterwegs sind – zumindest mental.

Deshalb sind Ihnen in Hannover auch einige Dinge schief gegangen.

Herr Ministerpräsident Wulff,

bei der wichtigsten Industriebeteiligung des Landes, bei VW, sitzen Sie nur noch am Katzentisch und agieren als "Lame Duck". Mehrfach wurden wichtige Personalentscheidungen gegen Ihren Willen durchgezogen. Sie haben sich im Aufsichtsrat in eine isolierte Lage manövriert, die eine wirkungsvolle Vertretung der Interessen des Landes in Frage stellt.

Auch der Rest der Ministertruppe leistet sich einen Fehler nach dem anderen.

Ihr Innenminister profiliert sich als Rechtsaußen. An die Grenzen des Rechtsstaates will er gehen und offenbart damit ein merkwürdiges Verständnis von Rechtsstaat. Dieser Innenminister hat Ihrer Landesregierung schon mehrfach schwere Niederlagen beigebracht, weil er die Grenzen des Rechtsstaates überschritten hat und nur das Bundesverfassungsgericht ihn stoppen konnte. Dieser Minister hat auch die Grenzen des Anstands verletzt und Flugzeugpiloten zur Nothilfe provoziert, weil der Pilot eine Abschiebung nicht mit seinem Gewissen vereinbaren konnte. Immer wieder schürt er das Misstrauen gegen geduldete Flüchtlinge und unterstellt ihnen Sozialhilfemissbrauch. Dabei zeigen Statistiken eindeutig, dass Migranten mehr Beiträge in die sozialen Sicherungssysteme einzahlen als sie unterm Strich herausbekommen.

Anrede,

8345 mal wurde im letzten Jahr ein niedersächsischer Jugendlicher ohne Schulabschluss entlassen, das sind 10% – meistens Hauptschüler. 15  bis 20 Prozent eines jeden Jahrgangs machen in Niedersachsen keine Berufsausbildung. Aber dieser Kultusminister hat kein Rezept gegen die Probleme an den Hauptschulen.

Die Bildungspolitik dieser Regierung wird zunehmend zu einer volkswirtschaftlichen Hypothek.

Wir haben Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel zugleich. Firmen brauchen hochqualifizierte Mitarbeiter, finden aber oft keine. In einer globalisierten Welt ist gute Ausbildung eine Frage der Gerechtigkeit, aber auch eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Hier versagen Sie kläglich.

Anrede,

die Kinder, die von Herrn Busemann frühzeitig und ohne Abschluss von der Schule verwiesen werden, sind gefährdet, in die Kriminalität abzugleiten. Neunzig Prozent aller Jugendlichen in der Jugendstrafanstalt Hameln haben keinen Schulabschluss. Gibt es da einen Zusammenhang zwischen Chancenlosigkeit, fehlenden Perspektiven, sozialer Stigmatisierung und der Gefahr in kriminelle Aktivitäten abzurutschen, habe ich Frau Heister-Neumann im Haushaltsausschuss gefragt? "Nein", war die Antwort. "Die Eltern sind schuld." So einfach kann man es sich machen, wenn einem die Dinge auf die Füße fallen.

Anrede,

nach dem Abgang von Frau von der Leyen wird das Sozial-Ressort nur noch verwaltet. Gestaltet wird von anderen. Die Merkwürdigkeiten und abstrusen Regelungen beim Maßregelvollzug kann Frau Ministerin Ross-Luttmann im Plenum nicht erklären. Zudem legt sie Passagen zum Haushaltsbegleitgesetz vor, die einzelne Kommunen beim Ausgleich für Krankenhilfe massiv benachteiligen und nach Auskunft des Hauses nur auf Schätzzahlen basieren. Zwei Jahre nach Inkrafttreten der neuen Arbeitsmarktgesetze gibt es noch immer keine belastbaren Zahlen und Sie treiben die Kommunen auf den Klageweg.

Anrede,

Ihr Wissenschaftsminister verantwortet eine Hochschuloptimierung, die die Studenten reihenweise ins föderale Ausland treibt. Den Hochschulen wird wieder ein Teil ihrer Autonomie genommen und die Hochschulmittel müssen - wie in Goslar - wieder für regionalwirtschaftliche Wahlkreispflege herhalten. Nicht Stärken der Stärken wird praktiziert, sondern Kleckern im Kleinen. Die herausragende Bedeutung der Hochschulen für Wissenstransfer, Innovation und Kreativität hat Ihre Regierung nicht erkannt. Wenn man die angemeldeten Patente von Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen vergleicht, dann kommen einem die Tränen, so elendig stellt sich der Vergleich dar.

Anrede,

wer führt eigentlich das Landwirtschaftsministerium? Mit dem Friedrich-Otto-Ripke (FOR) Gesetz soll jetzt die Raumordnung auf den Kopf gestellt werden. Dort, wo ländlicher Raum ist, sollen städtische FOC-Malls nach amerikanischem Vorbild entstehen. Und dort, wo heute Stadt ist, soll künftig Einzelhandels-Wüste sein. Zuhause bei FOR fangen sie damit an. Die Quittung für dieses Mittelstandsvernichtungsprogramm werden wir aber erst in einigen Jahren zu sehen bekommen. Tote und verwahrloste Innenstädte und glänzend hell erleuchtete Einkaufstempel auf der grünen Wiese. Dort darf man dann dank neuer Öffnungszeiten rund um die Uhr beten und einkaufen. Am Grabbeltisch. Wahrlich eine schöne neue Heimat. So hatte ich mir die Stärkung des ländlichen Raumes wahrlich nicht vorgestellt.

Anrede,

einer in Ihrer Truppe scheint kerngesund, Herr Wulff. Ich meine den Landwirt vom Erdbeerhof. Aber das Gefühl, dass dieser Herr seinen Job verfehlt hat, kam mir nicht erst als er sich zum Fotoshooting mit der Kettensäge präsentierte. Wenn es im Wachsfigurenkabinett von Madame Tussaut einen Raum für tragikomische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gäbe, würde ich ihn glatt vorschlagen. Sie sehen, es fällt mit schwer die Aktivitäten dieses Herrn, der sicher eine wichtige Säule Ihres Kabinetts ist, ernst zu nehmen. Ob es das T-Shirt mit der Kerngesund-Aufschrift war oder der Auftritt im Wendland. Was mich beunruhigt, Herr Wulff ist, dass Sie einem solchen Mann Verantwortung für die Reaktorsicherheit und für den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen anvertraut haben. Herr Minister Sander ist ein Ignorant allererster Güte. Ansätze zur Förderung von Energiesparen, Energieeffizienz und Klimaschutz  im Haushalt hat Herr Sander in großen Teilen in die globale Minderausgabe eingebracht und damit sein Desinteresse demonstriert. Aber auch aus dem Finanzministerium oder der Staatskanzlei gibt es beim Klimaschutz keine Impulse, sondern Realitätsverweigerung. Deshalb schlagen wir einen 150 Millionen Euro Klima-Innovations-Fonds vor, der den Herausforderungen begegnet, Handwerk und Mittelstand wettbewerbsfähig macht und Projekte an der Schnittstelle von Wirtschaft und Forschung marktfähig macht. Hier versagt Ihre Regierung kläglich.

Anrede,

ein weiteres wichtiges industriepolitisches Projekt Ihrer Regierung steckt in einer prekären Situation. Nach dem Transrapid-Unfall in Lathen hat Ihre Regierung versucht, die Verantwortung für den Unfall auf zwei nachgeordnete Mitarbeiter in der Leitstelle abzuschieben. Bei der Aufklärung konnte sich ihr Minister Hirche noch nicht einmal gegen seine eigene Behörde durchsetzen.

Der Untersuchungsausschuss wird jetzt eindeutig klären müssen, welche Fehler beim Sicherheitskonzept für den Transrapid gemacht wurden und welche Verantwortung Minister Hirche trägt.

Anrede,

Sie haben die Auswahl getroffen, Herr Wulff. Ihre Regierungsmannschaft steht für das Beste, was CDU und FDP derzeit zu bieten haben. Man sieht: Sie stehen auf sehr dünnem Eis und auch die Riege ihrer Nachwuchspolitiker verspricht nicht mehr Substanz.

Herr Ministerpräsident, Sie haben wirklich ziemlich viel am Hals.

Nun sind Sie gestern in der Samt- und Seidenstadt Krefeld auch noch zum "Krawattenmann des Jahres" gewählt worden.

"Als Mann aus Politik und Gesellschaft demonstrieren Sie, dass Lässigkeit in der Haltung nicht Nachlässigkeit im Habitus der Bekleidung bedeutet", heißt es in der Laudatio.

Vielleicht nicht Nachlässigkeit in der Bekleidung, aber Nachlässigkeit in der Politik – das werfen wir Ihnen vor.

Hier regieren Sie sich um Kopf und Kragen.

Da nutzt es nichts, wenn Sie sich jeden Morgen für diese fiese Politik einen feinen Schlips umbinden.

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