Rede Stefan Wenzel: Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2009

Anrede,

die Fieberkurve des Landes steigt wieder an. Mit dem Haushaltsjahr 2008 steigt das strukturelle Defizit erstmals seit 5 Jahren wieder an. Das strukturelle Defizit hat der Landesrechnungshof als markantestes Messinstrument für die Finanzverfassung des Landes definiert.

All das passiert nicht im konjunkturellen Abschwung, sondern in einer Zeit mit noch steigenden Steuereinnahmen.

Die dunklen Wolken stehen allerdings am Horizont. In den USA läuft das größte Verstaatlichungsprogramm seit Menschengedenken, um angeschlagene Banken vor dem Verfall zu retten.

Der gestrige Konkurs von Lehman Brothers birgt noch erhebliche Risiken. Bei der Landesbank in Bayern und bei der IKB-Bank haben sich CSU und große Koalition ein Armutszeugnis ausgestellt. Das wird alles nicht ohne Folgen für die Realwirtschaft und die Steuereinnahmen sein. Ganz im Gegenteil!

Genauso wenig wie hohe Ölpreise, hohe Versicherungslasten durch Klimaschäden und eine wachsende Zahl von Klimaflüchtlingen.

Als Bundesland mit 8 Millionen EinwohnerInnen können wir Weltpolitik nicht beeinflussen. Aber wir müssen uns den Herausforderungen stellen. Denn wir wissen, was auf uns zukommt:

  • Langfristig steigende Energiekosten
  • Spürbare Folgen des Klimawandels
  • Weiter anhaltender Globalisierungsdruck
  • Steigendes Durchschnittsalter der Bevölkerung

Anrede,

eine vorausschauende Haushaltspolitik müsste diese Entwicklungen aufnehmen. Müsste sich auch unbequemen Debatten stellen:

Die Antwort auf Klimawandel und steigende Energiepreise heißt Effizienz!

Was machen Sie? Sie weihen am kommenden Freitag ein Kohlekraftwerk in Wilhelmshaven ein, das jämmerlich schlechte Wirkungsgrade hat. Anstatt Wohnungen zu heizen belasten Sie die Jade mit Kühlwasser. Anstatt Klimaschutz zu betreiben, gründen Sie Arbeitsgruppen.

Die Antwort auf Globalisierung heißt Bildung!

Was machen Sie? Sie haben in der Bildungspolitik zwei große Ruinen hinterlassen. Ihr Programm zur Stärkung der Hauptschulen ist auf ganzer Linie gescheitert.

Kinder und Eltern flüchten von den Hauptschulen, wo sie nur können. Aber interessanter ist noch ihre zweite Ruine. Mit Ihrer vermurksten Turbo-Abi-Reform haben Sie den Gymnasien einen Knacks versetzt, der ebenfalls Fluchtbewegungen ausgelöst hat.

Jetzt sind Sie mit Reparaturmaßnahmen beschäftigt und doktern am viergliedrigen System herum.

Die zentralen Probleme werden Sie mit diesen Reparaturmaßnahmen nicht in den Griff bekommen.

  • Die Zahl der Schulabbrecher bleibt viel zu hoch – mit allen sozialen Folgekosten.
  • Der Fachkräftemangel wird sich verstärken.
  • Die Zahl der Ingenieure bleibt für ein Industrieland viel zu gering.

Das ist eine zentrale Gerechtigkeitsfrage, aber das ist auch eine wirtschaftspolitische Katastrophe.

Als modernes Industrieland mit alternder Bevölkerung können wir uns schlechte Bildungspolitik gar nicht mehr leisten. Das hat der neue OECD-Bericht noch mal eindrücklich gezeigt:

Wenn wir die Marktführerschaft bei wichtigen Zukunftstechnologien, Effizienztechnologie, Windkraft, Solartechnik, Antriebstechnik, CFK- und Wasserstofftechnologie ausbauen und gewinnen wollen, muss die Zahl der Absolventen mit Hochschulabschluss mindestens europäisches Niveau erreichen.

Anrede, Herr Wulff,

aber wirtschaftspolitisch setzen Sie ja ohnehin auf alte Technik – auf zu alte Technik: Sie lassen sich von Ihrem Freund und Monopolisten Großmann von der RWE einseifen.

Dieser Atomkonzern blockiert den Wettbewerb auf den Energiemärkten und setzt auf staatliche Protektion. Die Subventionierung der steuerfreien Rücklagen beläuft sich allein auf 800 Millionen Euro im Jahr.

Diese Herren sitzen Ihnen auf dem Schoß, weil sie ihre Monopole und ihre staatliche Subventionierung retten wollen.

Außerdem zahlt der Staat die Folgekosten für alte Atomanlagen und absaufende Endlagerprojekte. Bislang 14,3 Mrd. Euro hat das gekostet. Etliche Milliarden werden folgen.

Sie lassen sich alte Kohlekraftwerke andrehen und wollen unser Bundesland mit weiteren Autobahnen zupflastern. Allein die Kohlesubventionierung beträgt laut Greenpeace 1,8 Mrd. Euro direkt und 3,7 Mrd. Euro indirekt – Jahr für Jahr.

Anrede,

das Beispiel zeigt auch, dass von Ihrer Bundeskanzlerin nichts mehr zu erwarten ist. Bei der Senkung der Lohnnebenkosten ist zu wenig passiert. Mit dem Gesundheitsfonds kommt der bürokratische Overkill, die Erbschaftssteuerreform wollen Sie aussitzen – mit dramatischen Folgen für das Gerechtigkeitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger, den Mindestlohn blockieren Sie und lassen zu, dass findige Unternehmer die Sozialkassen plündern. Jetzt wird sich bitter rächen, dass die Bundesregierung nicht früher für Transparenz und Regulierung auf den Finanzmärkten gesorgt hat. Die Zeche zahlt der Steuerzahler. Diese Form von Opportunismus, dieser Verzicht auf ordnungspolitische Korsettstangen wird die Finanzmärkte heftig erschüttern und damit auch unseren Landeshaushalt.

Nein: Von dieser Bundesregierung ist genauso wenig zu erwarten wie von dieser Landesregierung.

Anrede,

ich biete Ihnen eine Wette an Herr Wulff. Ein halbes Jahr nach Ihren Aussagen im Wahlkampf behaupte ich, dass Sie keines ihrer finanzpolitischen Wahlversprechen einhalten werden. Ihr Verschuldungsverbot ist heute schon Makulatur. Außerdem haben Sie sich zwei Hintertürchen offen gelassen und flüchten sich im Zweifel in die Privatisierung.

Sie haben soviel verbeamtet wie kaum jemand vor ihnen, um die Rentenbeiträge zu sparen. Ihr Pensionsfonds ist ein Täuschungsmanöver. Sie trauen sich nicht mit dem Beamtenbund über eine analoge Übertragung der Altersgrenzen von Angestellten und normalen Arbeitnehmern auf Beamte zu sprechen. Sie wollten im Wahlkampf keinem wehtun und das setzt sich jetzt fort.

Anrede,

unsere 100 Tage Bilanz war bitter Herr Wulff. Jetzt ist die Liste noch länger geworden: Die Verantwortung für die Asse mussten sie abgeben, das NTH-Gesetz ist ein Torso, die Dioxin-Belastung an der Ems hat Ihr Minister zunächst verschwiegen, der Sozialfonds für Schulbusfahrten und Mittagessen in der Schule wurde einkassiert, für fusionswillige Kommunen findet sich nur ein zaghafter Beratungsetat – offene Baustellen wohin man auch blickt.

Den Herausforderungen vor denen dieses Land steht wird Ihr Haushalt nicht gerecht. Das fatalste: Die voranschreitende Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen wird nicht erkannt. Sie wirtschaften weiterhin so, als hätten wir eine zweite Erde.

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