Rede Stefan Wenzel: Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2006
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Achtung Sperrfrist bis zum Beginn der Rede (7.12.05 voraussichtlich 17.00 Uhr)
Anrede
als wir uns das letzte und vorletzte Mal im Dezember zur Haushaltsberatung getroffen haben, konnte die Union vor Kraft kaum gehen. Die selbst ernannte "bürgerliche Mehrheit" berauschte sich an ihren eigenen Beschlüssen. CDU/CSU galten bundesweit als Umfragekönige.
Jetzt haben Sie auch in Niedersachsen Ihr Waterloo erlebt. Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass diese großmäulige Union bei den Bundestagswahlen auf 35 Prozent absackt und auch in Niedersachsen die CDU weit zurückfällt.
Herr Ministerpräsident Wulff, schon vor einem Jahr konnten Sie auch in Ihren eigenen Reihen kritische Stimmen vernehmen, denen die knallharte Linie beim Blindengeld Unbehagen verursachte. Aber die Kritiker wurden mundtot gemacht. Alle Zweifel wurden gnadenlos weggelächelt.
Die Umfragewerte der Vergangenheit waren nur eine Fata Morgana. Sie haben bei einer Reihe von Landtagswahlen zwar von Stimmen profitiert, die mit der Politik der alten Bundesregierung unzufrieden waren, aber Sie haben keinen Weg gefunden, um diese Wählerinnen und Wähler von Ihrer Politik zu überzeugen. Ihre Wahlversprechen waren von sozialer Härte und technokratischem Kauderwelsch geprägt.
Anrede,
jetzt versprechen Sie uns im Duett mit der SPD das "Neue Deutschland". Aber das "Neue Deutschland" soll nur mit kleinen Schritten daherkommen. War denn Ihre Analyse so falsch? Hat Deutschland plötzlich soviel Zeit, um Reformen einzuleiten?
Das steuerpolitische Hü und Hott, das wir im Wahlkampf erlebt haben, feiert jetzt fröhliche Urstände.
Anrede,
2006 soll das Land konsumieren und noch mal richtig ordentlich einkaufen gehen. Nach dem Motto: "Du bist Kaufhof!". Dafür gibt es sogar noch ein paar Steuernachlässe.
2007 gilt dann wieder "Geiz ist geil". Mehrwertsteuer rauf. Schluss mit Kaufrausch. Alle müssen wieder kürzer treten.
Wer soll das verstehen?
Wenn Ihre Analyse zur Situation der Staatsfinanzen und zu den sozialen Sicherungssystemen richtig war, dann muss man jetzt handeln – und nicht erst im Jahr 2007 oder 2008.
Anrede,
wie ist es nun bestellt um die Ehrlichkeit und die Rechenkunst der Koalition der neuen Möglichkeiten?
2 + 0 = 3! Zwei Prozent Merkelsteuer plus null Prozent Müntesteuer macht jetzt drei Prozent Große-Koalitions-Steuer.
1 + 1 = 5! Eine Volkspartei plus noch eine Volkspartei ergibt fünf zusätzliche Posten für Minister und Staatssekretäre.
4 x 11 = 0! Vier Verhandlungsführer multipliziert mit elf Wochen Beratung ergibt null Reformen. Schuldenabbau wird vertagt. Große Steuerreform wird vertagt. Gesundheitsreform wird vertagt.
Soviel Schwäche war nie!
Zu allem Überfluss soll auch nur ein kleiner Teil der zusätzlichen Mehrwertsteuer in die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge fließen. Dafür retten Sie gemeinsam mit den Sozialdemokraten die Kohlesubventionen und andere Subventions-Fossile.
Anrede,
Was passiert auf dem Arbeitsmarkt? Placebos und Prinzip Hoffnung!
Warum wundern wir uns eigentlich über mehr als zehn Prozent Arbeitslosigkeit, wenn in Niedersachsen zehn bis fünfzehn Prozent aller Jugendlichen ohne Schulabschluss in die Welt geschickt werden? Das ist Sprengstoff! Das kann sich keine Gesellschaft leisten. Dazu kommen die Hauptschüler, die oft ebenfalls keine Lehrstelle erhalten.
Nach Ihren Vorstellungen soll der Bund aus der Bildungspolitik ausgeklinkt werden. Sie wollen die Verantwortung für den Bildungssektor fast ganz allein übernehmen – jedenfalls gilt das, wenn Ihre Föderalismusreform eine Mehrheit finden sollte.
Aber Sie haben bislang keine Antwort gefunden auf die Frage, wie wir in Niedersachsen die Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss senken können. Sie haben bislang keine Antwort auf die Frage gefunden, wie in Niedersachsen die Zahl der Kinder mit Hochschulzugang deutlich erhöht werden kann.
Über die Zukunft der wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Land entscheidet nicht die Länge der Autobahnen!
Über die Zukunft dieses Landes entscheidet die Zahl der Menschen, die über einen Schulabschluss verfügt, die über eine gute Ausbildung verfügt, die über eine Hochschulausbildung verfügt, die Zahl der Menschen, die im kreativen Sektor – im Kulturbereich, im Bildungsbereich, als Ingenieur oder im Wissenschaftsbereich tätig ist.
Das sind die Wachstumstreiber, die für nachhaltige Wertschöpfung sorgen und damit Arbeitsplätze sichern und neu schaffen.
Herr Ministerpräsident Wulff,
mehr als zwei Monate nach den Wahlen haben Sie sich ein paar Stunden der kritischen Analyse gegönnt. Offenbar ein Scherbengericht ohne Scherben, in "sehr sehr angenehmer Atmosphäre"! (O-Ton Wulff)!
Diese CDU ist nicht nur im Wahlkampf kalt und herzlos aufgetreten. Diese CDU hat ihre soziale Balance verloren. Diese CDU hat ihre Wurzeln verloren. Aber sie will es nicht wahrhaben.
Die Politik der niedersächsischen CDU ist ein Spiegelbild der Bundespartei.
Herr Finanzminister Möllring,
Wiederum schafft diese Landesregierung es nicht, den Haushalt verfassungskonform zu gestalten und den sozialen und bildungspolitischen Anforderungen gerecht zu werden.
Wir stellen fest, dass schon die Begründung Ihres Haushaltsgesetzes falsch ist.
Wenn es dort heißt, dass alle Handlungsoptionen ausgeschöpft wurden, dass die Einnahmesituation unverschuldet dramatisch sei, und dass eine stärkere Rückführung der Nettokreditaufnahme ohne Verletzung von Bundesrecht nicht möglich sei, dann ist das schlichtweg Quatsch.
Ihr Haushaltsplanentwurf entspricht nur zum Teil der Wahrheit.
Aber auch dieser "wahre" Teil ist erschreckend:
1,8 Milliarden Euro zusätzliche Schulden wollen Sie im Jahr 2006 machen - 858 Millionen mehr als verfassungsrechtlich zulässig.
Sie werden mit diesem Haushalt im Jahr 2006 zwei historische Messlatten reißen:
- 50 Milliarden Euro offizielle Schulden werden im Schuldbuch des Landes zu verzeichnen sein.
- Und Sie, Herr Minister Möllring, werden der größte Schuldenmacher Niedersachsens.
Denn auch 2006 gibt es wieder den Teil des Haushaltes, der das Licht der Öffentlichkeit scheut. Das nennt man gemeinhin Schattenhaushalte.
Sie mögen tricksen und hexen, Sie mögen mit Ihrem Besen durch die Ressorts fegen. Aber Sie werden nicht zum Hartmut Potter. Mit diesem Haushalt bleiben Sie nichts anderes als der Lord Voldemort aus Hildesheim - eine Bedrohung für Konsolidierung und Zukunftssicherung.
Auch 2006 nehmen Sie wieder zusätzliche Kredite bei der Hannoverschen Beteiligungsgesellschaft und bei der Landestreuhandstelle auf.
Die bereits eingegangenen Pensionsverpflichtungen für Beamte des Landes wachsen mit exorbitanten Steigerungsraten. Derzeit liegen die Versorgungslasten etwa bei zehn Prozent des Haushaltsvolumens. Mittel- bis langfristig können sie bis zu zwanzig Prozent des Etatvolumens ausmachen. Auch heute werden noch immer neue Beamte ohne Versorgungsrücklage eingestellt.
Anrede,
die niedersächsischen Kommunen sind bundesweiter Spitzenreiter bei den Kassenkrediten. 43 Prozent aller Kassenkredite der Landkreise in Deutschland laufen in Niedersachsen auf. Besorgniserregend ist der Trend: Steil nach oben! Es hilft auch nicht, wenn Herr Schünemann bei dieser Gelegenheit mit dem Zeigefinger auf seinen Vorgänger zeigt. Das erklärt allenfalls die Hälfte des Problems.
Die Verantwortung für vier Milliarden Euro Kassenkredite der Kommunen, müssen Sie sich zurechnen lassen. Eine vernünftige Erklärung für diesen bedenklichen niedersächsischen Sonderweg sind Sie schuldig geblieben.
Die kommunalen Spitzenverbände sprechen bereits von einem weiteren Schattenhaushalt. Ihr Griff in die Kassen der Kommunen hat lediglich zu einer Verschiebung der Kreditaufnahme geführt. Diese Schulden werden jetzt in den kommunalen Haushalten ausgewiesen und nicht im Landeshaushalt.
Das Ganze dient nur der scheinbaren Senkung der Nettokreditaufnahme um 350 Millionen Euro: Eine gegriffene Zahl, die mit der Wirklichkeit nur wenig gemein hat.
Anrede,
im Jahr vor der Kommunalwahl in Niedersachsen muss man an dieser Stelle auch feststellen, dass Ihr Haushalt und Ihre Politik in hohem Maße kommunalfeindlich ist: Die Einführung des Konnexitätsprinzips in die Verfassung gehörte in das 100-Tage-Programm Ihrer Regierung. Jetzt haben Sie fast drei Jahre gebraucht, um sich intern über die Formulierungen zu verständigen.
Kommunalfeindlich sind auch die Novellierung des Gemeindewirtschaftsrechts und die vom Umweltminister angestrebte Privatisierung der Abwasserentsorgung. Hier geht es allein um das Seelenheil neoliberaler Bekenntnistäter.
Anrede,
die Landesregierung ist umweltpolitisch blind. Die Energiepolitik von CDU und FDP ist eine Nullnummer. Da brauche ich gar nicht Herrn Söder zu zitieren, der in der "Frankfurter Allgemeinen" vom letzten Sonntag sehr richtig feststellt, dass die Unionsparteien an dieser Stelle ihr Programm umschreiben müssen.
Von der FDP will ich gar nicht reden. Herr Sander lässt sich seine Reden von den Verbänden der großen Monopolisten diktieren und passt lediglich auf, dass die Textbausteine nicht auffallen. Wettbewerb auf den Energiemärkten ist für Herrn Sander ein Fremdwort.
Unsere Generation muss die Abkehr von Öl, Kohle und Atom schaffen. Wir werden die letzte Generation sein, die eine derartige Energieverschwendung betreibt. Technisch ist die Energiewende eine Herausforderung, aber diese Herausforderung ist machbar. Das ist eine Veränderung die schon heute, in jedem Wohnzimmer, in jedem Haushalt und natürlich auch im Landeshaushalt möglich ist.
Anrede,
hier müssen wir leider ein weiteres Vakuum bei der Landesregierung konstatieren. Minister Sander pflegt zwar eine Haushaltsstelle für innovative energetische Forschungs- und Pilotprojekte, aber er nutzt diese Haushaltsstelle lediglich um seine globale Minderausgabe zu realisieren.
Anrede,
egal ob man aktuelle Forschungsergebnisse zum Klimawandel oder aktuelle Forschungsergebnisse zu den Ursachen immer stärkerer Hurrikans oder auch Forschungsergebnisse zum Golfstrom nimmt. Es gibt Anzeichen, die man aufmerksam wahrnehmen sollte.
Über die Zukunft werden dabei nur teilweise die Ergebnisse internationaler Konferenzen entscheiden. Mindestens genauso wichtig ist lokales Handeln. Warum schieben Sie die energetische Sanierung der Landesgebäude weiter in die Zukunft. Ein Armutszeugnis!
Anrede,
wir haben hier oft über das Verhalten dieser Landesregierung im Bundesrat gestritten. Da waren Sie, Herr Wulff, und Ihre CDU-Ministerpräsidentenkollegen seit Jahren die Meister-Blockierer und haben damit dem Land auch finanzpolitisch schweren Schaden zugefügt. Jetzt kommt zwar an einigen Stellen Bewegung ins Geschäft – etwa bei der Eigenheimzulage, aber in der Gesamtwirkung bleibt alles höchst widersprüchlich.
2006 wird es unter dem Strich vermutlich keine Entlastung für den Landeshaushalt geben – im Gegenteil, die Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten und weitere Maßnahmen lassen in der Tendenz eher weitere Einnahmeausfälle erwarten.
Anrede,
kein Staat der Welt kann dauerhaft immer mehr Schulden machen. Seit Bestehen des Landes Niedersachsen ist der Trend ungebrochen.
Unser Änderungsantrag zum Haushaltsplanentwurf 2006 enthält eine Reihe von Vorschlägen, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Wir wollen insbesondere zugunsten der Bildung und des Sozialbereichs umschichten. Wir wollen mehr für die Unterrichtsversorgung tun, für die Sprachförderung, wir wollen die Förderschulen besser ausstatten und wir wollen ein Investitionsprogramm um in den Schulen einen Mittagstisch anbieten zu können.
Wir stellen Mittel ein, um unseren Vorschlag zum Blindengeld zu realisieren und die Tabula-rasa-Lösung der Landesregierung rückgängig zu machen. Wir lehnen es ab, die Landeskrankenhäuser zu Dumping-Preisen an private Klinikbetreiber zu verscherbeln. Das ist finanzpolitisches Harakiri. Vielleicht spricht die Koalition deshalb mittlerweile von einer "ordnungspolitischen" Maßnahme und nicht mehr von einer "finanzpolitischen" Maßnahme.
Anrede,
wir schlagen vor, die Haltevereinbarung für die Aktien der Salzgitter AG kündigen. Niemand in diesem Haus hat bisher gefordert, dass das Land auf alle Ewigkeit Stahlproduzent bleibt. Weder CDU noch SPD und schon gar nicht die FDP haben die Stahlproduktion in ihrer Liste staatlicher Kernaufgaben aufgeführt.
Entscheidungen über die strategische Ausrichtung eines solchen Unternehmens und mögliche strategische Partner trifft man aus einer Position der Stärke heraus. Und dieser Zeitpunkt ist jetzt.
Anrede,
mit unserem Vorschlag soll der Landeshaushalt in einem zweiten großen Schritt um weitere 400 Millionen Euro entlastet werden. Wir wollen ein Paket von 10 Prozent der Landesimmobilien schnüren, eine Auswahl nach künftiger Nutzung und Sanierungsaufwand vornehmen und nach einem Investor suchen, der eine energetische Sanierung in Verbindung mit einem Contracting-Modell realisieren kann. Ein solcher Immobilienverkauf entlastet nicht nur den Haushalt sondern ermöglicht auch Investitionen, die die Wirtschaft, insbesondere das Handwerk dringend brauchen.
Anrede,
zusätzlich gibt es eine Reihe von Vorschlägen, die wir nicht allein und sofort realisieren können. Hier müssen Mehrheiten im Bundesrat und im Bundestag gesucht werden.
Notwendig ist eine Anpassung der Beamtenpensionen an die Rentenentwicklung, die Einführung der unterhälftigen Teildienstfähigkeit bei Frühpensionierungen, Änderungen bei Beihilfeabrechnungen, die Durchsetzung einer effektiven Bekämpfung von Steuerbetrug, eine Föderalismusreform mit Änderung der Finanzverfassung und Reduzierung der Zahl der Bundesländer, eine Gemeindefinanzreform zur Verbesserung der Lage der Kommunen und nicht zuletzt eine Neuregelung der Erbschaftssteuer, um vererbte Vermögen gerechter zu belasten.
Darüber hinaus fordern wir eine Reduzierung der Zahl der Ministerien um zwei Häuser und die Streichung einer Staatssekretärsstelle im Innenministerium.
Wir wollen beim Landtag 120.000 Euro mehr sparen. Dabei handelt es sich um die Gelder, die bei den Fraktionskosten eingespart wurden und jetzt auf Wunsch der anderen drei Fraktionen für "Verschönerungen" verpulvert werden sollen. Auch eine neue B-6-Stelle ist hier nicht erforderlich.
Anrede,
was soll eine Verfassungsklage gegen den Haushalt, wie sie die SPD erwogen hat, wenn nicht gleichzeitig Vorschläge auf den Tisch kommen, die einen verfassungsgemäßen Haushalt ermöglichen? Wir legen diese Vorschläge vor und fordern die Regierung auf, davon Gebrauch zu machen.
Wir wollen einen verfassungsgemäßen Haushalt im Jahr 2006, mehr Geld in Bildung und in soziale Gerechtigkeit investieren.
(Die GRÜNEN Anträge zum Haushalt 2006 finden Sie unter www.gruene-niedersachsen.de/landtag )