Rede Stefan Wenzel: Energieversorgung in Niedersachsen (Große Anfrage)

Anrede,

was in dem Atomkraftwerk Krümmel in den letzten zwei Jahren geschehen ist, hätten selbst scharfe Kritiker nicht für möglich gehalten. Die Zuverlässigkeit des Betreibers und des Eigentümers sind zentrale Kriterien für die Genehmigung zum Betrieb eines Atomkraftwerkes.

Die Betreiber des Atomkraftwerkes Krümmel sind für eine beispiellose Pannenserie verantwortlich. Atomaufsicht und Öffentlichkeit wurden mehrfach falsch, verzögert oder gar nicht über aktuelle Störfälle informiert. Auch der Miteigentümer EON hat geschwiegen, aber hinter den Kulissen macht sich auch dort Unruhe breit gemacht.

Als der Transformator 2007 brannte, drang sogar Rauchgas in die Leitwarte. Zwei Jahre wurde das Kraftwerk nach dem Reaktorbrand repariert. Am 19. Juni 2009 wurde wieder angefahren. Ein Tag nach dem Anfahren wurde ein Leck am Turbinenkondensator festgestellt, konnte aber erst am 3. Juli lokalisiert werden. Am 4. Juli kam es zur Reaktorschnellabschaltung wegen eines Kurzschlusses im Maschinentransformator. 17 Kubikmeter Öl liefen aus – davon zwei in den Regenwasserkanal.

Es war kein Vattenfall–Mann, der den schwedischen Vattenfall–Chef am 4. Juli informierte, und es war auch kein Vattenfall–Mann, der den Vattenfall Deutschland–Chef Hatakka über den neuen Störfall informierte. "Das Alarmsystem bei Vattenfall funktioniert im Kern nicht", schreibt die Wirtschaftswoche. Und weiter: "Was nach dem neuen Vorfall in Krümmel passierte, ist ein Protokoll der Unfähigkeit".

Anrede,

Krümmel ist ein Siedewasserreaktor der Baulinie 69. Bei keinem anderen Bautyp hat es soviele Pannen gegeben wie bei diesem Reaktor. Kein anderer hat so gravierende Schwachstellen, die zu einer Kernschmelze führen können.

Krümmel verfügt nicht über einen ausreichenden Terrorschutz. Nach 2001 war zwischen Bundesatomaufsicht und Kraftwerksbetreibern ein ganzes Maßnahmenbündel vereinbart. Davon haben die Betreiber nur einen sehr kleinen Teil umgesetzt.

Anrede, Herr Ministerpräsident,

hanebüchen ist die Zusammenarbeit der niedersächsischen und schleswig-holsteinischen Atombehörden. Die erste Unterrichtung im Umweltausschuss musste quasi ausfallen, weil sich die niedersächsische Atomaufsicht mangels ausreichender Informationen offenbar nur aus der Zeitung informieren konnte.

Die Anwohner wollen auch dann informiert werden, wenn die Katastrophe noch nicht eingetreten ist. Zudem muss man bei diesem Betreiber fürchten, dass sich der Reaktorfahrer als erster aus dem Staub macht, wenn es gefährlich wird.

Anrede,

wir wollen das Risiko nicht mehr tragen. Wir wollen, dass diesem Betreiber endlich die Lizenz entzogen wird, und wir wollen, dass dieses Kraftwerk ein für alle Mal still gelegt wird. Auch wenn das Kraftwerk genau jenseits der Landesgrenze steht – von einem Unfall wären wir direkt betroffen. Wir erwarten, dass die Landesregierung in den Bund-Länder-Kommissionen diese Konsequenzen einfordert. Wir fordern sofortige Abstimmung.

Herr Ministerpräsident, Herr Sander,

wer Ihre Antwort auf die Große Anfrage liest, die heute ebenfalls beraten wird, der weiß eines ganz genau:

Sie stehen für das Gestern.

Sie stehen für Vergangenheit.

Sie stehen für Verantwortungslosigkeit.

Sie wollen bis heute nicht zur Kenntnis nehmen, dass Atomstrom bis heute auf sehr hohem Niveau staatlich subventioniert wird. Die Subventionen sind aber keine Anschubfinanzierung mehr, sie sind auch nicht degressiv wie bei den Erneuerbaren Eneregien, sondern sie steigen noch an wegen der vielen nuklearen Müllhalden:

  • ”¢Â Â Â Â Â Â Â  Schon mehr als 25 Mrd. Euro Steuergeld für nukleare Altlasten,
  • ”¢Â Â Â Â Â Â Â  5 – 8 Mrd. Euro jährlich durch Verzicht auf angemessene Haftpflichtversicherungen,
  • ”¢Â Â Â Â Â Â Â  27 Mrd. Euro steuerfreie Rückstellungen, die im Fall eines Konkurses verloren wären.

Es gibt keine Möglichkeit, Strom teurer zu produzieren.

Herr Wulff,

Sie präsentieren uns hier Zahlen von denselben Lobbyisten, die auch das Desaster in der Asse schön geredet haben: Ihre Statistiken zur weltweiten Entwicklung der Atomkraft stammen aus dem Verbandsorgan des Deutschen Atomforums und der Kerntechnischen Gesellschaft. Darunter befinden sich Baustellen, die seit mehr als 20 Jahren existieren.

Sie haben aus alten Niederlagen, aus der WAK Karlsruhe, Wackersdorf, Kalkar und Hamm Uentrop nichts gelernt. Sie sprechen von "Nachhaltigkeit auf der Basis der Wiederaufarbeitung".

Welch ein Wahnsinn!

Sie pervertieren den Begriff der Nachhaltigkeit.

Sie ignorieren den Müll in der Asse, der zum größten Teil aus der Wiederaufarbeitung stammt und den flüssigen Atommüll, der noch heute bei der WAK in Karlsruhe steht und permanent gekühlt und gerührt werden muss.

Sie wollen nicht wahrhaben, dass Atomkraft in der Bilanz 5 mal mehr Kohlendioxid ausstößt als Windkraftanlagen, dass auch fossil betriebene Blockheizkraftwerke weniger Kohlendioxid ausstoßen als Atomkraftwerke. Nein – zum Klimaschutz taugt diese Technologie nicht.

Sie wollen nicht wahrhaben, dass Atomkraftwerke bei der Lastsicherung wie schwere Dinosaurier im Weg stehen.

Sie sehen kaum Potenzial bei der Windkraft im Binnenland. Ganz im Gegensatz zu dem Enercon-Geschäftsführer Aloys Wobben aus Aurich, der im April schrieb: "2020, in nur 11 Jahren, kann die Hälfte der deutschen Stromversorgung erneuerbar sein, und die Windkraft steuert den Löwenanteil bei. Fallen wir aber durch den Ausstieg aus dem Atomausstieg und neue Kohlekraftwerke wieder in überwunden geglaubte Zeiten zurück, wird die Erneuerung unserer Stromversorgung um Jahre zurückgeworfen."

Anrede,

die Antwort auf diese Große Anfrage ist in weiten Teilen ein Dokument des Rückschritts, ein Dokument der Blockade, und es ist Keimzelle für massive gesellschaftliche Konflikte.

Anrede,

das zeigt auch Ihr Umgang mit dem Desaster in der Asse. Sie wollen eigene Verantwortung vertuschen. Sie weigern sich CDU- und FDP Minister in den Untersuchungsausschuss zu zitieren und Sie wollen eine Brandmauer zwischen der Asse und Gorleben errichten.

Aber das wird Ihnen nicht gelingen.

Es waren Ihre Fackelträger, die die Asse zum sicheren Atommülllager und zum Prototyp für Gorleben erklärt haben. Wir brauchen Ihnen nur Ihre eigenen Zitate unter diese Nase zu reiben – auch von Ihrer Regierung.

Schon früh war den Insidern bewusst, dass die Salzlinie für die Endlagerung in Gefahr ist, wenn die ganze desaströse Entwicklung in der Asse öffentlich ausgebreitet wird. Deshalb hat man geschwiegen und vertuscht, gefälscht und manipuliert und wie wir jetzt wissen , auch Akten an die Seite geschafft.

Deshalb wollte man am Ende fluten.

Anrede,

das deutsche Endlagerkonzept ist gescheitert. Wir fordern die Bundesregierung und die Landesregierung auf, unverzüglich eine echte, neue, ergebnisoffene Suche nach einem geeigneten Ort und einem geeigneten Konzept für die Lagerung von heißem hochradioaktivem Atommüll einzuleiten.

Der Bundestag muss jetzt eine gesetzliche Grundlage für ein öffentlich-rechtliches transparentes Verfahren mit umfassender Bürgerbeteiligung und für eine verursachergerechte Umlage der Kosten schaffen, die die Atomindustrie voll in die Pflicht nimmt.

Der Standort Gorleben ist ungeeignet und muss aufgegeben werden. Er wurde 1976/77 innerhalb weniger Monate aus politischen Gründen und gegen den Rat von Fachleuten und damals vorliegenden Gutachten ausgewählt. Die Geologie weist schwere Mängel auf. Wichtige geologische Gutachten wurden später offenbar manipuliert, um eine Eignung vorzutäuschen.

Deshalb reicht auch ein bisschen Suchen auf dem Papier nicht aus, wie es die SPD in ihrem Antrag vorschlägt. Für die Suche nach einem Endlager oder einem Ort für die rückholbare Dauerlagerung braucht es ein Gesetz. Ein Gesetz nach den Kriterien des AK End. Wir wollen keine Alibisuche.

Herr Gabriel ist gestern deutlich weiter gegangen als der vorliegende SPD-Antrag. Das findet sich aber in dem vorliegenden SPD-Antrag nicht wieder. Deshalb lehnen wir ihn ab.

Anrede,

jetzt ist klar: Die Rechte zur Erkundung von etwa 100 Grundstücken laufen 2015 aus. Außerdem fehlen für die Erkundung unverzichtbare Grundstücke von Graf Bernsdorff und der Kirche. Ihr Endlagerprojekt ist gegen die Wand gefahren, Herr Wulff.

Anrede,

es gibt nur einen Grund, Herr Wulff, warum Sie so unbeirrt und starr an der Fiktion eines Standortes Gorleben festhalten: Der Torso in Gorleben ist der Entsorgungsvorsorgenachweis für die 17 noch laufenden Atomkraftwerke in Deutschland. Die Zwischenlager sind nur für den aktuellen Betrieb. Aber der Entsorgungsvorsorgenachweis für den viele jahrtausende strahlenden Müll ist unverzichtbar für den weiteren Betrieb.

Dieser Entsorgungsvorsorgenachweis ist nach dem Desaster in der Asse und vor dem Hintergrund fehlender Erkundungsrechte nicht mehr vorhanden.

Der Kaiser ist nackt, Herr Wulff.

Und Sie sind in dieser Frage genauso nackt wie die Kanzlerin und die Vorstandsvorsitzenden der großen Atomkonzerne.

Nostalgie ist die Muse der Atomlobbyisten. Sie schwelgen in Erinnerungen. Wir planen für die Zukunft.

Anrede,

unsere Gesellschaft nutzt seit fast 50 Jahren Atomstrom, aber für den Umgang mit Atommüll hat sie bis heute keine Idee, kein Konzept, keine Landebahn.

Das ist ein Verbrechen an unseren Kindern und Kindeskindern.

Und dafür tragen an vorderster Front die beiden Atomparteien CDU und FDP Verantwortung.

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