Rede Stefan Wenzel: (Asse) Einsetzung eines 21. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses

Anrede,

"Die Asse war der Prototyp für Gorleben ... Für die Sicherheit eines Endlagers ist es unerlässlich herauszufinden, welche Erkenntnisse aus der Asse in die Auswahl und Erkundung von Gorleben eingeflossen sind." Das schrieb die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" am Montag. Und weiter: "Ein Asse-Untersuchungsausschuss führte dann nicht nur zu ein paar Bauernopfern in nachgeordneten Behörden. Er entschiede mit über die Zukunft von Gorleben. Er könnte die Beteiligten aus Fehlern lernen lassen und dabei helfen, ein sicheres Endlager zu schaffen." Zitat Ende.

Darum geht es heute, meine Damen und Herren. Die Asse steht für das Versagen der deutschen Endlagerpolitik und sie droht zum Debakel der deutschen Atomindustrie zu werden. Wenn die Asse kippt, dann kippt Gorleben. Deshalb soll ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss verhindert werden.

Die Vorgänge in der Schachtanlage Asse offenbaren das totale Versagen der niedersächsischen Atomaufsicht. Sie machen deutlich, dass die zuständige Landesbergbehörde über Jahre Rechtsbrüche ignoriert hat. Der Betreiber, eine der bundesweit renommiertesten Forschungseinrichtungen, das Helmholtz-Zentrum in München hat über viele Jahre entgegen dem Stand von Forschung und Technik gehandelt und das Strahlenschutz- und Atomrecht ignoriert. Das Geschehen in der Asse ist auch strafrechtlich von Bedeutung, weil §§ 327 ff des Strafgesetzbuches das unerlaubte Betreiben von Anlagen und den unerlaubten Umgang mit radioaktiven Stoffen und Kernbrennstoffen mit Strafen von bis zu fünf Jahren Haft belegt.

Anrede,

der Statusbericht des Niedersächsischen Umweltministeriums offenbart einen verantwortungslosen Umgang mit radioaktiven Abfällen. Nur um einen Eindruck von den Gefahren zu bekommen: Wer sich zehn Minuten direkt neben einem Fass aus der Asse mit radioaktivem "Schrott" aufhalten würde, bekäme bei den angegebenen 7000 rem/h eine tödliche Strahlendosis und wäre nach einer Stunde tot.

Deshalb müssen diese Stoffe für eine Million Jahre von der Biosphäre abgeschirmt werden.

Anrede,

Die Schachtanlage Asse wurde als Lager für Atommüll ausgewählt, weil das Lagermedium Salz als trocken galt.

Wasser und Laugeneinbrüche wurden von den Verantwortlichen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen.

Damals wurde die Asse sorgfältiger ausgewählt als der Salzstock in Gorleben. Beteiligt waren das Niedersächsische Landesamt für Bodenforschung, die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe und das Institut für Tieflagerung der Universität Clausthal.

Als der Standort Gorleben ausgewählt wurde waren die Fachleute hingegen überrascht. Detaillierte Kenntnisse über den Salzstock lägen nicht vor, hieß es. Die Entscheidung sei ohne Kenntnis von geologischen Aufschlussbohrungen getroffen worden.

Anrede,

strittig ist nach wie vor das tatsächliche radioaktive Inventar der Asse. Die Zahl der mittelradioaktiven Fässer ist 10-mal höher als offiziell immer behauptet. Betreiberangaben zum Plutonium schwanken zwischen 9 und 28 Kg. Die Begleitscheine weisen unter anderem "Brennstäbe in Blechdosen" aus.

Anrede,

Nach Vorlage des Statusberichts zur Schachtanlage Asse II erscheinen einige Aspekte in einem helleren Licht. In anderen Bereichen tun sich Abgründe auf, die nur im Rahmen eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu klären sind:

  • Wie konnte es zum totalen Versagen der niedersächsischen Atomaufsicht kommen?
  • Warum wurden frühe Hinweise auf radioaktiv kontaminierte Laugen aus den Kammern mit Atommüll missachtet?
  • Welche Forschungsarbeiten zur Sicherheit von Salzstöcken als Endlager sind in der Asse durchgeführt wurden?
  • Welche Rückschlüsse für andere Projekte zur Lagerung von Atommüll wurden getroffen?
  • Wie ist es zu dem radikalen Strategiewechsel von der trockenen Lagerung zu einer Nasslagerung von Atommüll gekommen?

Anrede, Herr Ministerpräsident,

als Sie im Sommer bei Anne Will waren, haben Sie behauptet, dass in der Asse nur Krankenhausabfälle eingelagert sind. Dann war lange Funkstille in der Staatskanzlei; und ebenso im Umweltministerium. Jetzt ist klar, Ihre Regierung wusste spätestens seit 2006 von den radioaktiven Laugen.

Jetzt haben Sie zwei Disziplinarverfahren im Landesbergamt eingeleitet.

Von einem Verfahren im Umweltministerium habe ich genauso wenig gehört, wie von einem Disziplinarverfahren im Bundesforschungsministerium.

  • Übernimmt dort niemand Verantwortung, obwohl die radioaktiven Laugen spätestens 2006 bekannt waren?
  • Wer ist denn verantwortlich für das totale Versagen der Atomaufsicht?
  • Müssen wir fürchten, dass andere Atomanlagen ähnlich schlampig beaufsichtigt werden?

Anrede,

zunächst ein Wort an die Kolleginnen und Kollegen der SPD: Wer oder was Sie in den letzten Wochen zu diesem Eiertanz getrieben hat, wird wohl ewig Ihr Geheimnis bleiben. Vor der Sommerpause hielten Sie einen Untersuchungsausschuss für verfrüht, nach der Sommerpause kommt er Ihnen zu spät. Da müssen ja wirklich spannende Dinge passiert sein in der Zeit dazwischen.

Ich möchte Sie nur kurz erinnern:

  • Herr Jüttner, im Juli sprachen Sie von Aktenmanipulationen
  • Anfang August sagten Sie, Frau Emmerich-Kopatsch: "Das Umweltministerium macht sich durch die Behinderung der Arbeit des Umweltausschusses immer verdächtiger."
  • Am 14. August gibt es eine fette Schlagzeile in der Neuen Presse "Jüttner droht mit Asse-Ausschuss" und im Text heißt es "Wenn die Landesregierung so weitermacht, wird der Ausschuss unausweichlich."
  • Einen Tag später ebenfalls in der NP: "Mein Eindruck ist, dass sich die Zahl der offenen Fragen in den letzten Wochen eher erhöht hat."
  • Herr Gabriel, der SPD-Bundesumweltminister, spricht im Zusammenhang mit der Asse von der "problematischsten Atomanlage Europas" und vom "GAU der gesamten Endlagerpolitik in Deutschland"
  • Und noch vorgestern hieß es in einer Pressemitteilung der SPD: "Der Ministerpräsident ist schon seit der gesamten Asse-Aufklärungszeit auf Tauchstation”¦.Diese Augen-zu-und-durch-Masche lassen wir Herrn Wulff nicht länger durchgehen."

So, so.

Und nun, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, werden Sie als Konsequenz aus all Ihren Analysen und Einschätzungen der letzten Wochen gegen einen Untersuchungsausschuss stimmen.

Hut ab, wirklich eine reife Leistung.

Muss man das verstehen?

Herr Jüttner, was hat Ihr neuer Parteivorsitzender Müntefering neulich wohl gemeint, als er im bayerischen Wahlkampf die Devise ausgab: Heißes Herz – statt volle Hose!

Das hat es hier im Landtag wohl noch nicht gegeben, dass eine Oppositionsfraktion sich selbst das Instrument aus der Hand schlägt, mit dem der jahrzehntelange Rechtsbruch und die atompolitische Ignoranz entlarvt werden könnten.

Herr Jüttner, spätestens das Lob von der FDP und von Herrn Althusmann hätte Sie stutzig machen müssen. Spätestens danach war doch klar, wem Sie hier und heute einen riesigen Gefallen tun.

Die CDU dagegen war noch nie zimperlich. Den Untersuchungsausschuss zur Asse will die CDU mit allen Mitteln verhindern.

Ganz anders 1998. Da gab es einen PUA, den sie mit allen Mitteln durchsetzen wollte.

Im Juni 1998 gab es im Wendland Proteste gegen verstrahlte Castorbehälter.

Im Zuge dieser Proteste besetzten Demonstranten das Informationszentrum in Gorleben und brachen die Aktion nach 26 Stunden wieder ab. Zu den Protestierenden gehörten Ärzte, Pastoren und ein Bürgermeister.

Diese Besetzungsaktion, und die nach Meinung der damals oppositionellen CDU unangemessene Reaktion von Polizeiführung und SPD-Innenminister, waren der CDU tatsächlich einen Untersuchungsausschuss wert.

Es lohnt sich noch mal kurz den Blick auf die damaligen Ereignisse zu werfen. Sie sind ein Lehrstück für die Verlogenheit und Doppelmoral, mit der die konservativen Atomkraftbefürworter ihre politischen Ränkespiele betreiben.

Mit dem 17. PUA konnte es der CDU damals gar nicht schnell genug gehen. Er wurde nicht etwa auf der nächst möglichen Landtagssitzung nach der Sommerpause beantragt. Am 6. Juni endete die Aktion, am 19. Juni wurde der PUA beantragt und er musste nach dem Willen der CDU schon am 1. Juli auf einer eigens dafür einberufenen Sondersitzung des Landtages – mit nur diesem Tagesordnungspunkt -  beschlossen werden. Noch am Nachmittag fand die Konstituierung statt.

Warum diese Eile? Ganz einfach: Im September waren Bundestagwahlen und die CDU brauchte Getöse. Es war eine denkwürdige Sitzung. Für die CDU hielt der Abgeordnete und Fraktionschef Christian Wulff eine scharfe Rede über rechtsfreie Räume, über Bauernopfer in der Verwaltung, über Kosten, die an den Steuerzahlern hängen bleiben würden und über untätige Verantwortliche in der Landesregierung, die zur Verantwortung gezogen werden müssten, damit Vorkehrungen getroffen werden können, die solch ein Geschehen für die Zukunft ausschließen.

Herrn Wulffs Anklagerede gipfelte in dem Vorwurf: (ich zitiere) "Unseres Erachtens ist es bedrohlich, dass man Straftaten zugelassen hat, geduldet hat, rechtswidrige Handlungen hat geschehen lassen und der Staat zugeschaut hat. So wird das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat elementar untergraben." Herr Wulff, das war Ihre Wortwahl angesichts von 80 Demonstranten und 25 Traktoren, von Sachbeschädigung und dem entwendeten Schlüssel eines Hausmeisters.

Und heute, angesichts der wirklich dramatischen Entwicklung in einem gegen Recht und Gesetz missbräuchlich als Atomülllager genutzten Bergwerk, angesichts von Täuschung und Verdunkelung und einem kompletten Versagen der politisch Verantwortlichen, angesichts von noch nicht absehbaren Gefahren für Umwelt und Menschen und angesichts von drohenden Milliardenkosten für den Steuerzahler – da schweigt der vornehme Herr Wulff.

Wo ist heute beim Thema Asse Ihre Stimme gegen rechtsfreie Räume, gegen bedrohliche Straftaten, gegen den untätigen Staat, und für die Wiederherstellung des Vertrauens der Bevölkerung in den Rechtsstaat?

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese politische Feigheit und diese Doppelmoral sind unerträglich.

Ich beantrage namens meiner Fraktion namentliche Abstimmung.

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