Rede Stefan Wenzel: Asse - Einsetzung eines 21. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses

Anrede,

der Öffentlichkeit hat man die Schachtanlage bei Remlingen an der Asse über Jahrzehnte als sicheres Forschungs- und Versuchsbergwerk für die endgültige Lagerung von Atommüll verkauft.

Die Arsenfunde, die Pflanzenschutzmittel und die Tierkadaver haben offensichtlich dieses Fass zum Überlaufen gebracht. Die Obfrau der FDP-Bundestagsfraktion im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Frau Angelika Brunkhorst, hat noch vor zwei Jahren im Bundestag erklärt: "Dem Erkundungsbergwerk Asse ist es zu verdanken, dass wir heute fundierte Kenntnisse über die Möglichkeiten einer sicheren Endlagerung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen in Salzstöcken haben."

Anrede,

Plutonium ist einer der giftigsten Stoffe, den die Menschheit künstlich hergestellt hat. Wenige Mikrogramm reichen um mit Sicherheit Krebs auszulösen. In der Asse liegt eine Menge, die für zwei Milliarden Menschen tödlich sein könnte, wenn sie verteilt in die Atemluft gelänge.

Arsen ist kein radioaktiver Stoff. Aber trotzdem sehr giftig. 100 Milligramm reichen aus, um einen Menschen zu töten. Bis zu fünf Millionen Menschen wären bedroht, wenn die in der Asse liegende Menge ins Grundwasser gelänge.

Das sind nur zwei Beispiele von vielen verschiedenen Radionukliden und chemisch-toxischen Stoffen, die in der Asse lagern. Strontium, Cäsium, Tritium und viele andere mehr.

Dabei können wir den offiziellen Zahlen in keiner Weise trauen. Die Strahlenschutzkommission der Bundesregierung hat festgestellt, dass für die Asse konditionierte Fässer falsch deklariert waren und deutlich stärker strahlten.

Greenpeace hat festgestellt, dass der tatsächliche Tritiumgehalt der Asse um das 4,5-fache höher liegen muss als offizielle Zahlen sagen.

Anrede,

das wollen wir aufklären. Wir wollen wissen, was wirklich in der Asse gelagert ist und wer das angeliefert hat. Das erfordert einen Blick in die Vergangenheit. Aber wir brauchen diese Kenntnis, um verantwortliche Entscheidungen für die Zukunft treffen zu können. Das ist zentral, so die Strahlenschutzkommission und die Entsorgungskommission des Bundes für die Entscheidung zur Langzeitsicherheit möglicher Schließungsoptionen.

Anrede,

ein Geologe vom ehemaligen Landesamt für Bodenforschung sagte mir kürzlich: "Wir wussten von Anfang an, dass die Asse nicht OK war. Bei einer Flutung hatten wir große Sorge um das Trinkwasser von Braunschweig."

  • Warum wurde trotz dieses Wissens die Asse als Atommülllager ausgesucht?
  • Auf welcher wissenschaftlichen Grundlage?
  • Wer waren die Gutachter und wer waren die Entscheider?

Wie kann es sein, dass der Präsident der Betreibergesellschaft, dem Helmholtz-Zentrum München bei NDR-Info behauptet, dass alle wissenschaftlichen Versuche 1995 abgeschlossen wurden und wir gleichzeitig feststellen müssen, dass es 2008 immer noch Versuche gab.

Welche Gründe gab es für das Versagen dieser renommierten wissenschaftlichen Institution bei der Planung und Durchführung der Entsorgung? Warum hat diese wissenschaftliche Einrichtung einen angeblich trockenen Salzstock für die Lagerung von Atommüll ausgesucht und dann versucht in aller Eile das Bergwerk zu fluten?

Anrede,

die Asse war nicht nur Forschungsbergwerk und Ablagerungsstätte für Krankenhausabfälle, wie es uns einige noch im Sommer letzten Jahres weis machen wollten.

In den Teilerrichtungsgenehmigungen der deutschen Atomkraftwerke war die Asse als Entsorgungsnachweis aufgeführt und ausdrücklich als Versuchsendlager für Gorleben genannt. Dort könne radioaktiver Müll jahrhundertelang ohne Gefahr des Entweichens gelagert werden, heißt es in den Genehmigungen.

Anrede,

und der ehemalige Leiter des Bergwerks erklärt anlässlich eines Festaktes im Jahr 2006, dass die Asse für Gorleben relevant war, weil dort "in der gleichen Salzformation, im gleichen vorgesehenen Teufenbereich und im jungfräulichen Gebirge die Versuche durchführt wurden. Hiermit sollte die Übertragbarkeit der auf der Asse erzielten Ergebnisse auf den Standort Gorleben gewährleistet werden", hieß es dort.

Herr Wulff,

die Asse war vor allem eine billige Müllkippe der Atomindustrie und sie war der Prototyp von Gorleben. Daran besteht kein Zweifel mehr. Wer will, kann das an vielen Stellen nachlesen. Darauf war man sogar stolz.

Anrede,

aber man wollte offenbar nicht, dass die Öffentlichkeit Genaueres über das radioaktive Inventar, über radioaktive Laugen, über Wassereinbrüche und den Bruch von Atomrecht, Strahlenschutzrecht und Strafgesetzbuch erfuhr. Über viele Jahre hinweg ist die Öffentlichkeit falsch informiert worden!

Auch Landtag und Bundestag sind falsch und unvollständig informiert worden.

Anrede,

wie kann es sein, dass der Landtag erst am 27.4.2009 vom Präsidenten des Landesbergamtes erfährt, dass es im Schacht einen "zweiten Unfall gegeben habe" und dann eine Woche später feststellen muss, dass das Landesumweltministerium bereits Mitte Dezember 2008 über eine Liste mit 200 Stör- und Unfällen verfügt hat.

Anrede,

wir müssen heute feststellen, dass beide Statusberichte des Umweltministers Hans-Heinrich Sander grob unvollständig sind, Dinge verzerrt darstellen und offenbar auch wissentlich falsch darstellen. Das gilt auch für den Teil, den der TÜV verantwortet.

Die Landesregierung hat bis in die letzten Wochen hinein die verfassungsgemäßen Rechte der gewählten Volksvertretung verletzt. Nach der Verfassung muss der Landtag nach bestem Wissen und vollständig informiert werden. Zuständig ist hier in erster Linie das Umweltministerium, teilweise das Wirtschaftsministerium und ganz sicher die Staatskanzlei.

Anrede,

Bundesumweltminister Gabriel spricht in einem Zeitungsartikel von heute davon, dass "die Untersuchung der Versäumnisse in der Asse zu einem Lehrstück für einen künftig Umgang mit der Entsorgungsfrage" werden könne.

Ich sage Ihnen: dieser parlamentarische Untersuchungsausschuss wird mehr.

Er wird zu einem Lehrstück über den unverantwortlichen Umgang mit einer Energieform, deren katastrophales Gefahrenpotenzial immer bekannt war, deren Beherrschbarkeit niemals gewährleistet war und für deren Millionen Jahre dauernde Altlasten-Bedrohung es nie und zu keinem Zeitpunkt auch nur die Spur einer technischen Lösung gegeben hat.

Dieser Untersuchungsausschuss wird zur Götterdämmerung für alle diejenigen, die als Propheten des billigen Stroms wissentlich in Kauf genommen haben und nehmen, dass mit der Anbetung der Atomkraft ein Zeitalter der Verantwortungslosigkeit in der Energiepolitik angebrochen ist, von der sich CDU und FDP selbst heute nach all den Schrecken, Unfällen und Erkrankungen, nach all den geplatzten Weisheiten und all der Ratlosigkeit in der Endlagerfrage immer noch nicht verabschieden wollen.

Wir wollen die schonungslose Aufklärung vor allem aus zwei Gründen:

1. Ohne Wissen und Kenntnis aller Vorgänge und aller Verantwortlichen der Vergangenheit, gibt es keine Chance auf Umkehr und Veränderung für die Zukunft.

2. Ohne Wissen und Kenntnis aller Einlagerungen und Zusammensetzung der giftigen Stoffe, gibt es keine Chance auf eine verantwortungsvolle Sanierung und keine Chance für mehr Sicherheit der Bevölkerung in der Region und darüber hinaus.

Anrede,

wir greifen nun zum letzten Mittel, um einen Vorgang aufzuklären, den sich kein normaler Mensch mehr erklären kann. Ich bin froh, dass die Forderung nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss Asse nunmehr von drei Fraktionen dieses Hauses getragen wird.

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