Rede Stefan Wenzel Aktuelle Stunde - Macht Atomkraft Krebs? Studie belegt erhöhtes Krebsrisiko für Kinder in AKW-Nähe

 

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zehn Atomanlagen befinden sich in Niedersachsen oder in unmittelbarer Nähe von Niedersachsen: sechs Atomkraftwerke und vier bestehende oder geplante Atommüllendlager. Darunter sind zwei, die Asse und Morsleben, bei denen es bereits zu einer Havarie gekommen ist, wo ein Kontakt mit der Biosphäre nicht mehr ausgeschlossen werden kann.

Jetzt, meine Damen und Herren, liegt eine Studie des Bundesamtes für Strahlenschutz zum Leukämierisiko bei Kleinkindern vor. Die Studie ist vom epidemiologischen Ansatz her anspruchsvoller als alle bisher vorliegenden. Die Autorin, ehemalige Vorsitzende der Strahlenschutzkommission, gehörte bislang nicht unbedingt zu den Atomkraftgegnern, eher im Gegenteil.

Diese Studie und die Stellungnahme des zwölfköpfigen Expertengremiums sind aus meiner Sicht außerordentlich besorgniserregend. Sie zeigt einen eindeutigen kausalen Zusammenhang zwischen der Entfernung zwischen einem Atomkraftwerk und dem Wohnort eines Kleinkindes und der Wahrscheinlichkeit, dass dieses an Krebs erkrankt. Die Stellungnahme der Experten zeigt, dass in einem Umkreis von 5 km um ein Atomkraftwerk damit gerechnet werden muss, dass eine signifikant erhöhte Zahl von Krebserkrankungen bei Kleinkindern auftritt. Diese Studie stellt damit die bislang geltenden Grenzwerte für radioaktive Emissionen von Atomkraftwerken infrage.

Die Autorin wies darauf hin, dass nicht auszuschließen sei, dass dieser Effekt das Ergebnis von nicht berücksichtigten Einflüssen oder auch von Zufall sei. Die These vom Zufall wurde dann vom Atomforum, der Lobby der Atomkraftbefürworter, dankbar aufgenommen, das dann behauptet hat, diese Studie bringe überhaupt keine neuen Erkenntnisse.

Meine Damen und Herren, im Jahr 1987 hat der britische Vorsitzende der Strahlenschutzkommission, Professor Southwood, nach einer Vorgängerstudie gesagt: Wenn diese Häufungen, die dort auch auftraten, eine ursächliche Beziehung mit ionisierender Strahlung haben, dann liegen wir entweder völlig daneben mit unserem Wissen über die tatsächlichen radioaktiven Freisetzungen, oder aber da ist etwas im Verhalten einzelner Radionuklide, das wir zurzeit noch nicht verstehen. - Das war 1987, meine Damen und Herren.

Auch wenn wir die genaue Ursache, die genauen Wirkungszusammenhänge noch nicht im Detail kennen: Der Zusammenhang zwischen Wohnort und Entfernung zum AKW ist evident. Das zu ignorieren, wäre leichtfertig. Im Zweifel muss die Sicherheit der Bevölkerung vor den wirtschaftlichen Interessen der Betreiber rangieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Ministerpräsident Wulff, ich fordere Sie deshalb jetzt auf zu handeln. Stellen Sie die Betriebserlaubnis der niedersächsischen Atomkraftwerke infrage! Der Betrieb ist nicht mehr zulässig, wenn nachweisbar Gefahren für Leib und Leben von Kleinkindern bestehen, die im Umfeld der Kernkraftwerke leben. Setzen Sie eine Verschärfung der Strahlenschutzvorschriften durch! Wenn der sogenannte Normalbetrieb von Atomkraftwerken solch tödliche Risiken birgt, kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen oder einfach eine Folgestudie fordern. Das ist lediglich der durchsichtige Versuch, das Thema auf die lange Bank zu schieben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die organisierte Verantwortungslosigkeit, die sich in den Äußerungen des Atomforums niederschlägt, oder die Verharmlosungsversuche Ihres Umweltministers, Herr Wulff, werden noch weiter zur Verunsicherung der Bevölkerung beitragen.

Herr Wulff, ich frage Sie: Wer will denn künftig in diesen Zonen leben? Was wollen Sie Ihren Landeskindern sagen? Würden Sie mit Ihrer Familie direkt in das Umfeld von Grohnde, von Esenshamm, von Lingen oder in die Elbmarsch bei Krümmel ziehen?

(Zuruf von Ursula Körtner [CDU])

Wie sollen sich diese Regionen denn künftig entwickeln, Frau Körtner, wenn wir das nicht ernst nehmen? Sollen das Landkreise ohne Kinder werden? Was heißt das denn für die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung dieser Regionen?

Ich sage Ihnen eines: Zuerst geht es schleichend. Aber Sie werden den Trend nicht aufhalten können, wenn Sie nicht ganz eindeutig sicherstellen, dass die Menschen in diesen Regionen keine Befürchtungen zu haben brauchen.

Herr Wulff, können die Menschen unter Ihrer Regierung darauf vertrauen, dass Sie die Sicherheit und den Schutz von Haus, Leib und Leben jederzeit gewährleisten, oder müssen sie damit rechnen, dass Herr Sander wieder sein T-Shirt mit dem zynischen Spruch "Kernkraft - kerngesund!" anzieht?

Präsident Jürgen Gansäuer:

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Stefan Wenzel (GRÜNE):

Ich bin auf Ihre Einschätzung und Ihre Ratschläge gespannt, Herr Wulff. Oder ist das gar nicht Chefsache?

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

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