Rede Rebecca Harms: Zweite Beratung Haushalt - Schlusserklärung

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Landtagssitzung am 12.12.2003
Rebecca Harms, MdL
TOP 8 - 16: Zweite Beratung Haushalt - Schlusserklärung

Anrede.
Zwei Tage lang haben die Fraktionen den Haushalt für das kommende Jahr beraten. Ein Vorwurf, den die Sprecher aus CDU und FDP gebetsmühlenartig erheben, ist: Die Opposition nehme die schwierige Haushaltslage nicht zur Kenntnis und wolle weiter auf Kosten nachfolgender Generationen das nicht vorhandene Geld verjubeln.
Das stimmt nicht. Das Ziel, den Landeshaushalt zu sanieren und ihn verfassungskonform zu machen, prägt grüne Haushaltspolitik. Allerdings haben wir Grünen eines nie getan: Wir haben nie Vorschläge zur Sanierung gemacht, die auf Kosten der sozial Schwachen oder auf Kosten der Kinder, Schüler und Studenten Niedersachsens gehen.
Es ist ja in Mode gekommen, Haushaltspolitik unter die Überschrift "Nachhaltigkeit" zu stellen. Die Verhunzung von Begriffen kennt ja bedauerlicherweise keine Grenzen.
Nicht zu Lasten der Schwachen und der nächsten Generationen zu wirtschaften – das wäre richtig. Aber das beste Beispiel für den Missbrauch des Begriffs ist ihr Haushalt: In der Bildung leben wir in der Bundesrepublik und erst recht in Niedersachsen nicht über unsere Verhältnisse, sondern schon viel zu lange zu Lasten der jungen Generation. Schul – und Hochschuletats werden immer wieder zusammen gestrichen. Sonntags wird die Wissensgesellschaft beschworen. Und unter der Woche werden die Fundamente dafür abgebrochen. Ein Land, das seine Bildungseinrichtungen zu Krüppeln spart, schreibt Wolf Lepenies in der Süddeutschen, verspielt seine Zukunft. Er hat recht. Bildung ist Sozialleistung und wirtschaftliche Investition. Die Qualität der Schulen und Hochschulen ist entscheidend dafür, ob es in der Bundesrepublik wieder bergauf oder langfristig bergab geht.
So sehr wir den niedersächsischen Schulen mehr Lehrer wünschen: Die Rückkehr zur frühen Auslese und das Festhalten an der Dreigliederigkeit richtet sich gegen gute Chancen für alle Kinder. Für uns bleibt es dabei: Sie verschärfen die Fehler im Schulsystem. Sie tun das Gegenteil von dem, was Pisa und die Erfolge anderer europäischer Bildungssysteme nahe legen. Das deutsche Bildungssystem befindet sich auf dem Weg in eine alte Zeit, heißt es in einer neuen OECD-Studie.
- Solche fatalen Urteile der Wissenschaft
- die Proteste von Lehrern, Schülern und Eltern,
- die Rebellion der lernwilligsten Studenten, die die Republik je hatte, unterstützt von Professoren und Dekanen –
Werden Sie eigentlich nie nachdenklich?
Auf dem Weg in eine alte Zeit :
Die Dinge, mit denen sich die Konservativen in Niedersachsen derzeit schmücken, passen nicht nur in der Bildungspolitik unter diese Überschrift.
Niedersachsen – das ist das Land in dem die Telefone präventiv abgehört werden
Niedersachsen – das ist das Land, in dem Polizei und Verfassungsschutz per Gesetz verfilzt werden
Niedersachsen – das ist das Land, in dem die Sicherheit und Ordnung so weit getrieben wird, das Polizisten für Hundehaufen und Kaugummis auf Bürgersteigen zuständig sind.
Ist das der Weg in die Bürgergesellschaft oder die Rückkehr des Untertanenstaates, in dem von Uniformierten zur Ordnung ermahnt werden muss?
Gesellschaftliche Gruppen, die die Bürgergesellschaft gestalten, sind dem Land Niedersachsen nichts mehr Wert. Ob es um Umweltverbände oder Flüchtlingsinitiativen geht, ob es um Verbraucherschutz, Resozialisierungs- und Drogenarbeit, Sozialverbände oder Frauengruppen geht: Sie entziehen den Ehrenamtlichen in vielen Verbänden und Bürgergruppen in diesem Land die Basis ihrer Arbeit. Das Jahr des Ehrenamtes – in Niedersachsen hat es ein bitteres Nachspiel. Dass sich der Umweltminister das Geld, das für Umweltengagement von Bürgerinnen und Bürgern bei Bingo-Lotto verspielt wird, einfach unter den Nagel reißen wollte – Herr Sander – das war ein besonders mieser Zug!
In der Auseinandersetzung um Gorleben habe ich die Erfahrung gemacht, dass immer dann, wenn Regierungen nicht durch Politik überzeugen, die Polizei den Helm aufsetzen muss.
Eine völlig neue Erfahrung für mich war der Polizeieinsatz in den letzten Tagen, die Einkesselung des niedersächsischen Landtags.
Wer zu seiner Politik steht,
der braucht keine Bannmeile,
der braucht keine Einsatzpolizei,
der braucht keine Reiterstaffel und keine Staatsschützer im Parlament.
Die Gefahrenprognose mit der dieser unverhältnismäßige Polizeieinsatz begründet und angeordnet wurde ist eine Projektion ihres schlechten Gewissens gegenüber den Studenten. Der vom Präsidenten verantwortete und von CDU und FDP unterstützte Einsatz ist ein Missbrauch von Macht und ein Missbrauch der Staatsgewalt.
Das Kabinett Wulff hat sich fest vorgenommen, unbeirrbar über den Protest und den Wunsch nach demokratischer Teilhabe hinweg zu gehen.
- Ihre politische Energie richtet sich nicht gegen die Krise der öffentlichen Haushalte, sondern gegen die, die andere Vorschläge machen als sie!

- Ihre politische Energie richtet sich nicht gegen die Bildungskatastrophe, sondern gegen die, die davon betroffen sind.

- Ihre Einsparungen richten sich gegen die Kinder und Jugendlichen dieses Landes.

- Ihre Politische Energie richtet sich nicht gegen Verhältnisse, die zur Verunsicherung und Desintegration führen, sondern gegen die, die nicht ihrem Bild von Sicherheit und Ordnung entsprechen.
- Die Inszenierung der letzten Tage trägt dazu bei, alte Feindbilder neu zu beleben. Das wollen wir nicht. Dieses Land braucht weder eine neue Befreiungsbewegung namens FDP noch Polizeischutz für sein Parlament! Rüsten Sie ab! Teilhabe und Dialog müssen Grundlagen unserer Gesellschaft sein.
Für die Lösung unserer Probleme brauchen wir nicht folgsame Untertanen, sondern das Engagement der Jungen und der Alten. Wer Teilhabe verweigert – wie Sie! – der schadet der Demokratie und der Zukunft unseres Landes.
Eine Frage habe ich noch:
2 Monate haben wir noch bis zum Tag der Offenen Tür. 20.000 Besucher werden erwartet. Dürfen dann nur noch CDU-Mitglieder in den Landtag?

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