Rede Ralf Briese: Umgang der Landesregierung mit dem Thema Sterbehilfe: Symbolische Gesetzgebung statt gesellschaftlicher Auseinandersetzung

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Bei dieser Debatte um ein menschenwürdiges Leben, ein menschenwürdiges Sterben und das Recht auf den eigenen Tod geht es um ein sehr schwieriges ethisches Problem. Darauf gibt es in meinen Augen keine einfachen, keine schnellen und vor allen Dingen keine eindeutigen Antworten. Ich wünsche mir deswegen in der Diskussion sehr viel Nachdenklichkeit, vielleicht ein sorgsameres Abwägen der Argumente; denn dieses Thema verdient es nicht, emotional aufgeheizt zu werden oder in Schlagworten, mit Vorwürfen oder Vorurteilen geführt zu werden.
Eingangs möchte ich sagen: Gleichgültig, zu welchem Urteil man letztendlich kommt - ob man sagt "Die Sterbehilfe oder Freitodhilfe in engen Grenzen soll zugelassen werden" oder "Wir wollen das kategorisch verbieten" -, es handelt sich dabei um eine Gewissensfrage. Denn wer sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt, wer sich ehrlich damit auseinander setzt, der spürt auch eine eigene innere Zerrissenheit, wenn man die Argumente ehrlich wägt, und der merkt die Komplexität des Themas.
Grundrechte wie die Würde des Menschen, die Freiheit des Menschen, die Selbstbestimmung, aber auch das Recht auf Leben müssen hier miteinander in Einklang gebracht oder manchmal vielleicht auch gegeneinander abgewogen werden.
Letztendlich geht die Debatte im Kern darum: Wie viel Selbstbestimmung, wie viel Freiheit wollen wir, und wie viel Lebensschutz wollen wir? – Deshalb ist es gut, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass sich der Landtag dieser Debatte stellt, dass wir darüber reden. Denn dieses Thema ist immer noch sehr tabubelastet. Jeder verdrängt das Thema Sterben und Tod sehr gerne, weil damit sehr viele Ängste verbunden sind. Wir haben Angst vor dem Sterben, wir haben Angst vor schweren Schmerzen, und wir haben natürlich auch Angst vor Isolation beim Sterben.
Dieses Thema wird uns auch weiterhin begleiten - das wissen Sie alle -, weil die Fortschritte in der Medizin rasant sind. Oftmals sind sie ein Segen, aber manchmal können sie auch Probleme hervorrufen, weil wir nicht ganz genau wissen, wann wir eine Therapie beenden sollen. Und wir haben auch das Phänomen der demografischen Veränderung in unserem Land.
Gleichgültig, zu welcher Antwort man am Ende bei dieser schwierigen Frage kommt - ich meine, dass die Drohung mit dem Strafrecht, eine Tabuisierung oder Polizeimaßnahmen nicht die richtige Antwort darauf sind, wenn wir uns diesem Thema stellen wollen.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der
SPD)
Ich finde, es zeigt eine gewisse Hilflosigkeit, wenn man in einer solchen schwierigen Debatte mit dem Strafgesetzbuch droht. Das sind in meinen Augen die typischen unbedachten Reflexe, wenn ein tiefes gesellschaftliches Problem, ein schwieriges Problem mit dem Strafgesetzbuch gelöst werden soll. Das zeigt in meinen Augen auch einen gewissen Mangel an Kreativität, an Phantasie und auch an Empathie. Deshalb können wir den Weg, den Sie, Frau Justizministerin, in dieser Frage in Niedersachsen beschritten haben, nicht mitgehen bzw. mittragen. Hier werden in meinen Augen Scheinlösungen angeboten. Das ist ein Stück weit symbolische Gesetzgebung. Ich glaube nicht, dass Sie einem einzigen verzweifelten Menschen in Niedersachsen helfen werden, wenn Sie einen neuen Straftatbestand in das Strafgesetzbuch einführen werden.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Es gibt in dieser Auseinandersetzung überhaupt keinen Streit darüber, dass wir mehr Palliativmedizin in Niedersachsen wollen, dass wir den Ausbau von palliativen Strukturen wollen, dass wir eine viel bessere Schmerzmittelbehandlung wollen, dass wir mehr Fortbildung insbesondere für Hausärzte wollen, dass sich also in diesem Sektor vieles verbessert.
Da ist die Landesregierung gefordert. Es gibt hier aber eine eindeutige Beschlusslage, dass wir schnell vorangehen wollen.
Wir wollen natürlich den Ausbau der Hospizbewegung in Niedersachsen. Das ist eine zutiefst humane Bewegung, die sich entwickelt hat. Das ist eine ganz bewundernswerte und sehr faszinierende Arbeit, die sich in den letzten Jahren hier entwickelt hat. Niemand stellt das infrage. Ich glaube, ich kann mir ein Urteil darüber erlauben; denn ich habe einige Jahre im Krankenhaus mit Krebspatienten gearbeitet. Ich weiß, was das bedeutet und wie schwer es ist, mit Schwerstkranken zu arbeiten, und wie viel Kraft es kosten kann, wenn man jemanden in den Tod begleiten muss oder wenn man weiß, dass er bald sterben wird. Das kann eine sehr harte Auseinandersetzung sein. Das kann eine sehr faszinierende Auseinandersetzung sein. Es kann sehr existenziell sein. Manchmal waren die letzten Tage oder Wochen im Leben eines Menschen die vielleicht intensivsten. Demgegenüber will ich aber auch sagen: Es gibt dabei nichts zu romantisieren. Es gibt auch sehr schreckliche Sterbevorgänge.
Vor diesem Hintergrund stellt sich für uns letztendlich die Frage, ob sich Palliativmedizin, Hospizbewegung und Freitodhilfe unbedingt gegenseitig ausschließen, ob sie tatsächlich diametral entgegenstehen oder ob sie alle ihre Berechtigung haben oder in irgendeiner Art und Weise subsidiär wirken können.
Wer sich ehrlich und fundamental mit dieser Frage auseinander setzt, der weiß, dass auch die Palliativmedizin ihre Grenzen hat, dass es zugegebenermaßen wenige Fälle gibt - aber es gibt Grenzfälle -, in denen auch die Palliativmedizin nicht weiterkommt. Dann stellt sich die schwierige Gewissensfragen, ob man diese Leute allein lassen soll, ob es human und fair ist, ihnen keinen weiteren Weg offen zu lassen.
Ich will hier einmal die Frage stellen: Warum gibt es solche Leute wie die Engländerin Diane Pretty, die sich bis vor den EuGH durchgeklagt und das Recht auf einen assistierten Suizid eingefordert hat? Man sollte sich dieses Urteil des EuGH einmal sehr genau durchlesen. Es ist sehr abwägend, sehr reflexiv und sehr nachdenklich.
Warum gibt es Leute wie den Theologen Hans Küng - ein sehr scharfer Denker - und den Literaturwissenschaftler Walter Jens, die ein Buch darüber geschrieben haben, wie wir in der postmodernen Gesellschaft menschenwürdig sterben wollen und dass es Grenzfälle gibt, wo man vielleicht auch assistierten Suizid gewähren sollte? Sie begründen das aus theologischer, soziologischer und philosophischer Sicht.
Warum gibt es Leute wie den ehemaligen Präsidenten der Universität Göttingen Professor Schreiber - einen sehr profunden Kenner der Medizinethik -, der gesagt hat: Es gibt wenige Grenzfälle.
Dann müssen wir darüber nachdenken, ob wir so etwas wie assistierten Suizid zulassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe versucht, deutlich zu machen, worum es bei diesem Thema geht. Wir müssen nicht alles, aber vieles tun, damit sich ein verzweifelter oder leidender Mensch nicht das Leben nimmt. Wir brauchen eine humane Medizin und eine professionelle Medizin.
Wir brauchen gute Betreuungsstrukturen. Wir brauchen eine sehr gute psychosoziale Betreuung in unseren Krankenhäusern und in unseren Institutionen.
Wir brauchen auch fachlich richtige rechtliche Beratung über Medizin, über Patientenrechte und Selbstbestimmungsrechte.
Was wir in dieser Debatte indes nicht brauchen- das will ich auch ganz klar sagen -, sind Denkverbote, Strafandrohung und Fremdbestimmung. -
Vielen Dank.


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