Rede Ralf Briese: Große Anfrage "Wer speichert was, warum, wieso und wie lange, und an wen kann es weiter gegeben werden?"

Anrede,

warum haben wir als Grüne diese Große Anfrage gestellt? Weil staatliche Dateien im Computerzeitalter zunehmen wie die Ölflecken im Golf von Mexiko. Wir bekommen die rasante Zunahme von gespeicherten Dateien kaum in den Griff – Staat und Privatwirtschaft liefern sich mittlerweile fast schon ein Rennen, wer mehr über die Bevölkerung speichert und daraus Profile bastelt. Das ist nicht nur besorgniserregend – das ist ein Problem. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 1983 den Grundsatz aufgestellt, dass die Menschen müssen wissen wer, was, warum und wie lange über sie speichert und an wen es weitergegeben werden kann -  dieser Grundsatz wird nicht mehr eingehalten, dafür haben wir schlicht zu viele Dateien angesammelt. Wie viele Menschen inzwischen in irgendeiner staatlichen Sicherheitsdatei gespeichert sind, ist kaum noch zu überblicken.  Insgesamt haben wir über 20 Mio. Menschen in staatlichen Sicherheitsdateien – da kann einem schon mulmig werden.

Die Grundsätze des staatlichen Datenschutzes, nämlich strenge Zweckbindung und Datensparsamkeit werden längst nicht mehr eingehalten.

Wir wollen daher mit unserer Anfrage Transparenz schaffen im Dateienwust von Polizei, Verfassungsschutzämtern und ausländischen Sicherheitsbehörden. Denn auch Experten haben kaum noch einen Überblick über alle Sicherheitsdateien in unserem Land. Wie soll da also die Bevölkerung noch mitkommen?

Die niedersächsischen Sicherheitsbehörden können auf über 50 verschiedene Dateien zurückgreifen, darunter befinden sich so malerische Namen wie Damaskus, eine Datei zur Massenauswertung von Kraftfahrzeugkennzeichen und sonstigen Daten. In dieser Datei war wahrscheinlich schon jeder Zweite von uns zumindest mal ganz kurz erfasst, weil das automatische Kennzeichenscanning – also die Dauerüberwachung an Autobahnen immer stärker um sich greift. Die Erfolge der Dauerüberwachung sind aber eher bescheiden.

Neben der Anzahl von Dateien bei den niedersächsischen Sicherheitsbehörden wollten wir wissen, wer Zugriff auf die verschiedenen Dateien hat und welche Rechtsschutzmöglichkeiten die Bürgerinnen und Bürger gegen eine Erfassung und Speicherung haben.

Folgende Punkte sind hier besonders problematisch:

1. Personenbezogene Daten werden mittlerweile nicht mehr nur national oder europäisch erfasst, gespeichert und weitergegeben, sondern auch international: Swift ist hier nur ein Stichwort dazu – auch die Dateien mit genetischen Profilen wandern mittlerweile "europaweit". Und dass der genetische Fingerabdruck doch nicht immer ein sicherer Beweis ist, wissen wir spätestens seit dem Fall in Heilbronn.

Wenn aber Daten erstmal die nationale Landesgrenze überschritten haben, läuft der effektive Rechtsschutz aus Artikel 19 Grundgesetz praktisch leer. Ansprüche auf Auskunft und Löschung in Bezug auf im Ausland gespeicherte Daten richten sich nach dem dort geltenden Recht, heißt es in der Antwort recht lapidar auf Frage 10 unserer Anfrage. Aber wer kennt sich schon mit dem Datenschutzrecht in Bulgarien, Finnland oder den USA aus? Geschweige denn, an welche Behörde man sich dort wenden muss, welche Gerichtsinstanz man einschalten muss oder welche Kosten eventuell auf einen zukommen. 

Forderung Nr. 1: Wir brauchen eine Institution, die den Bürgerinnen und Bürgern Beratung und gegebenenfalls auch Rechtshilfe bietet, wenn sie Hilfe bei Auskunft und Löschung personenbezogener Daten im Ausland brauchen. Sinnvoll hierfür wäre der Landes- oder Bundesdatenschutzbeauftragte.

2. Verwirrung herrscht aber bereits, wenn wir es mit deutschen Rechtsgrundlagen zu tun haben: wo nämlich die staatliche Befugnis zum Speichern steht, wer welche Auskunftsrechte hat und wann gelöscht werden muss, ist schwer zu  entdecken. Im Gewirr von niedersächsischem Polizeirecht, Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz und Datenschutzgesetzgebung verliert man sich sehr schnell.

Zudem hat sich insbesondere die Polizei immer wieder großzügige Generalbefugnisse für das Anlegen neuer Dateien geschaffen – im Verfassungsschutzgesetz sind die Regeln noch komplizierter. Bürger müssen sehr lange, ausdauernd und mühsam kämpfen, wenn sie eine rechtswidrige Einspeicherung rückgängig machen wollen. 

Daher Forderung Nr 2: Sicherheitsgesetze müssen einfach und verständlich sein und kein juristisches Expertenwissen verlangen.

Das Dritte Problem: Wir haben inzwischen eine erhebliche Zahl von so genannten Verdachtsspeicherungen, wie die Antwort auf Frage 16 deutlich macht: auch wenn Beschuldigte in einem Gerichtsverfahren frei gesprochen wurden, können sie auf Grundlage verschiedener Normen in verschiedenen Dateien gespeichert werden. Ich finde das äußert problematisch. Durch die verschärfte Sicherheitsgesetzgebung seit 2001 haben wir erheblich mehr Sicherheitsüberprüfungen in vielen Berufen – daher kann eine Verdachtsspeicherung mit gravierenden Nachteilen verbunden sein.

Punkt vier: die Landesregierung schreibt in ihrer Antwort einleitend: die Rechtsgrundlagen der Datenverarbeitung und des Datenschutzes werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen in vollem Umfang gerecht: das ist eine mehr als gewagte Aussage! Zum einen hat sich ja in der Vergangenheit mehr als einmal gezeigt, dass bei der Sicherheitsgesetzgebung gerner mal gegen Verfassung und Grundrechte verstoßen wird: in Niedersachsen gleich mehrfach – und zum anderen ist das geltende Niedersächsische Sicherheits- und Ordnungsgesetz (NSOG) auch heute nicht absolut verfassungskonform, wie ja die Debatte um anlasslose Polizeikontrollen deutlich gemacht hat. Daher würde ich mich da nicht so weit aus dem Fenster hängen.

Was könnte eine Lösung im digitalen Zeitalter ausufernden Massenspeicherung sein? Es gibt ja auch noch kluge Innenminister, die auch mal nachdenken und abwägen, statt immer nur das alarmistische Lied von Gefahr und Sicherheit anzustimmen: ein Mann namens de Maziere fordert beispielsweise eine automatische Löschung von Daten nach einer bestimmten Zeit. Ich finde, auch darüber sollten wir nachdenken.

Wir brauchen weniger Sicherheitsdateien -wir brauchen effektivere Rechtsschutzmöglichkeiten - wir brauchen verständlichere Sicherheitsgesetze.

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