Rede: Ralf Briese: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes

Meine Damen und Herren,

die Mehrheit dieses Hauses beschließt heute ein schlechtes Gesetz. Es ist rechtstechnisch richtig schlecht und hat mit Bürokratieabbau und Rechtsvereinfachung schon mal gar nichts zu tun: Dieses Gesetz ist so richtig schön kompliziert – ein Expertokratengesetz.

Aber die schlechte Machart ist noch das geringste Übel; viel schlimmer ist sein giftiger Inhalt: Wanzen, Richtmikrophone und Spähangriffe können vom Verfassungsschutz auch in den privaten vier Wänden eingesetzt werden. Sie können es nicht lassen und brauchen die schärfsten Waffen nicht nur in den Händen der Polizei, sondern auch bei den Geheimdiensten.  Das ist verfassungsrechtlich bedenklich und sicherheitspolitisch falsch!

Punkt eins: Zur Verfassung. Wir hatten in der Vergangenheit nun wirklich genug sicherheitspolitische Gesetze, die gegen das Grundgesetz verstießen. Die Anzahl ist so hoch, dass ich nicht alle aufzählen will: vom Polizeigesetz, über die Rasterfahndung, zur Sicherungsverwahrung bis zum großen Lauschangriff selbst.

Die Politik erweist sich hier oft als Hangtäterin, die immer wieder die Verfassung überstrapaziert und bricht – das wichtigste und zentralste  Gesetz der Bundesrepublik. Es ist politisch beschämend, dass das Bundesverfassungsgericht ständig Korrekturen an der schlechten Gesetzgebung machen muss.

Wir müssen endlich einmal kapieren, dass die zentralen Normen unseres Grundgesetzes "Menschenwürde und Freiheit" lauten. Menschenwürde und Freiheit stehen dort in Artikel 1 und 2 – und nicht "Sicherheit, Schutz und Polizei". Und eine offene Gesellschaft bedeutet auch gewisse Unsicherheiten; Freiheit ist ohne Risiko nicht zu haben.

Was ist nun verfassungsrechtlich bedenklich an diesem Gesetz? Das Grundgesetz sagt ziemlich eindeutig: Der Lauschangriff ist nur zur polizeilichen Gefahrenabwehr und zur Straftatenaufklärung zugelassen. Punkt! Keine Nachrichtendienste – keine Vorfeldaufklärung. Es gibt also erhebliche Bedenken, ob das verfassungskonform ist, was Sie hier heute beschließen. Sie haben auch diesen Hang, immer mal wieder die Verfassung zu strapazieren oder sogar zu brechen. In Niedersachsen sitzen viele politische Wiederholungstäter. Und wissen Sie, meine Damen und Herren, es entbehrt wirklich nicht einer gewissen Ironie, dass ein Gesetz, das die Verfassung schützen soll, die Verfassung missachtet!

Also es gibt große Rechtsbedenken.

Nun zu Punkt zwei. Man könnte sagen: Diese Befugnis zur Wanzenanwendung ist derart wichtig und geboten, dieses Risiko muss einfach eingegangen werden. Ist das denn so? Was kam denn raus in der Anhörung? Kein - ich wiederhole, kein Landesverfassungsschutzamt inklusive des niedersächsischen wendet dieses Instrument überhaupt an.

Ich muss hier drastisch-dramatisch werden: Mein lieber Scholli Schünemann – dem Schlapphut die Wanze in die Hand geben und der packt sie fünf Jahre nicht aus. So was nennt man "bedingt einsatzbereit". Ich stelle also fest: Ein verfassungsrechtlich hoch umstrittenes Instrument wird beschlossen, aber man braucht es gar nicht. Da schweigt der Fachmann und der Laie wundert sich.

Punkt drei: Ein Grundprinzip einer aufgeklärten und rationalen Sicherheitspolitik ist es – oder sollte es zumindest sein – wenn wir schon dem Staat ein scharfes Schwert in die Hand geben, mit dem er die Bürgerrechte ordentlich malträtieren kann, dann sorgen wir zumindest dafür, dass er die scharfe Waffe nicht leichtfertig anwendet. Dass er nicht zu schnell und unüberlegt die Wanze unter den Küchentisch drapiert.

So was nennt man Verfahrenssicherung. Damit kann man ein gefährliches Instrument entschärfen. Gute Verfahrensregelungen können das Vertrauen in Politik und Rechtsstaat deutlich verbessern.

Haben wir in diesem Gesetz gute Verfahrensregelungen? Njet!

Statt es in die Hände des dafür fachlich ausgerichteten Oberlandesgerichtes zu geben, muss den Antrag auf den großen Lauschangriff ein Einzelrichter am Amtsgericht in Hannover bescheiden. Ein einzelner Amtsrichter, der sonst Familiensachen behandelt. Das ist fast so, als ob der Hausmeister im AKW auch den Reaktor beaufsichtigt.

Und dann gibt es noch weitere Nettigkeiten im Gesetz, wie z. B. die vollkommen fragwürdige und überflüssige Regelung, dass bei Gefahr im Verzug sogar ohne Richterbeschluss verwanzt werden darf. Sogar bei Unschuldigen, wenn sie ungewollt in den Dunstkreis von Spionen gekommen sind. Wir erinnern uns: Ein Geheimdienst macht Vorfeldaufklärung und Analyse und nicht Gefahrenabwehr.  Lauter scharfe Schwerter – keine Entschärfung.

Deshalb haben wir zwei Ergänzungsanträge erarbeitet:

Änderungsantrag 1 zu diesem Gesetz: Streichung des Lauschangriffes. Er ist rechtlich mehr als bedenklich und wir brauchen ihn beim Landesamt schlicht nicht.

Änderungsantrag 2 zu diesem Gesetz: Fachlich und personell bessere Ausstattung der G10-Kommission, die über viele Maßnahmen des Verfassungsschutzes entscheiden muss. Wir wollen eine Person mehr und auch mehr fachliche Kompetenz in diesem Gremium. Etwas strafprozessuale und datenschutzrechtliche Kenntnisse können der G10-Kommission nur gut tun. Auch die Stellung des Datenschutzbeauftragten bei der Beratung der G 10-Kommission soll verbessert werden.

Zum Schluss:

Das neue Verfassungsschutzgesetz ist so schlecht wie das alte. Es ist unverständlich, es hat einen mehr als fragwürdigen Instrumentenkasten, es hat schlechte Verfahrensregelungen.

Die SPD stimmt zu, weil sie sich nie wirklich entscheiden kann, ob sie für Bürgerrechte oder für den starken Staat steht.

Die FDP stimmt sowieso jedem Sicherheitsgesetz in Niedersachsen zu – egal ob TKÜ, Videoüberwachung oder Wanze, Jörg Bode bricht für Sicherheit die liberale Lanze.

Allerletzter Satz an Genossin Wegner: Sie müssen aber unbedingt zustimmen, Frau Wegner, ähnliche Sicherheitsgesetze hat man nämlich auch auf Kuba.

Zurück zum Pressearchiv