Rede Miriam Staudte: Qualität der frühkindlichen Bildung in Niedersachsen verbessern – Ausstattungsstandards für Kindertagesstätten anheben

Anrede,

ich möchte mit einem Zitat unseres Ministerpräsidenten beginnen, der ganz richtig in einem kürzlich erschienen Interview äußerte:

"Die Bildung von Null bis zehn wurde total vernachlässigt. Wir meinten zu lange, alle Kinder würden umfassend zu Hause betreut."

Wie wahr! SPD und Grüne geben der Regierungskoalition heute die Möglichkeit, die Lippen nicht nur zu spitzen, sondern auch zu pfeifen. Wir wollen, dass aus Betreuungseinrichtungen tatsächlich Bildungseinrichtungen werden, dass aus dem hohen Anspruch  Realität wird. Dazu müssen wir die Rahmenbedingungen in unseren Kindertagesstätten ändern. Dazu müssen wir viel Geld in die Hand nehmen. Wir brauchen bessere Qualitätsstandards, wenn wir den bundesweit beschlossenen Ausbau der Kinderbetreuung nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ voranbringen wollen. Das heißt in erster Linie, wir brauchen bessere Personalschlüssel: 

Wenn zwei Erzieherinnen 15 Kinder unter drei Jahren beaufsichtigen sollen, hat das mit Bildung nichts - aber auch gar nichts- zu tun.

15 Kinder, die gewickelt werden müssen, die  an- und ausgezogen werden müssen, die Hilfestellung beim Essen brauchen, die man schlafen legen muss, die man trösten muss, weil die Erdanziehung ihnen oft und übel mitspielt, denen man die Nase putzen muss, weil sie ständig Schnupfen haben, mit denen man – last but not least - viel sprechen muss, weil sie eben das noch lernen müssen”¦

Anrede,

das sind umfangreiche Aufgaben. Erzieherinnen sind aber keine indischen Göttinnen mit vier Armen und selbst die kämen bei dem geschilderten Arbeitspensum an ihre Grenzen. Meint hier irgendjemand, dass man unter diesen Voraussetzungen jede der tausend kindlichen Fragen, die im Laufe des Tages gestellt werden,  in einer dem Kind zugewandten Art und Weise geduldig beantworten kann? Das wäre doch die Kernaufgabe, wenn wir von frühkindlicher Bildung sprechen: Den natürlichen Wissendrang befriedigen und erhalten. Den Kindern Hilfestellung und Zeit zu geben, sich selbst auszuprobieren, beim Anziehen, beim Essen und beim Sprechen. Das ist frühkindliche Bildung. Wir haben noch wenig Erfahrungen in Niedersachsen mit Kinderkrippen, aber von dort wo es sie gibt, erreichen uns Hilferufe: Wir haben die Petition des 'Bündnis für Kinder und Familie', wir haben die Petition des Sehnder Spatzennests und solidarische Unterstützerschreiben anderer Einrichtungen. Wir hätten noch mehr Schreiben, wenn die kommunalen Träger ihren Einrichtungen keine Maulkörbe verpassen würden. In allen Schreiben wird deutlich formuliert: Wir brauchen die dritte Kraft in unseren Krippen. Das hat sich im Übrigen bis zur CDU durchgesprochen: Auf dem Landesparteitag im Juni wurde der wunderbare  Antrag Nr.2  formuliert, der lautet: "In Einrichtungen nach §1, Abs. 2, Satz 1a (Krippen) muss eine dritte pädagogische Fachkraft in der Betreuung und Pflege der Kinder tätig sein”¦." Tun Sie uns einen Gefallen: Hören Sie auf ihre eigenen Fachleute!

Wir wollen aber auch die Gruppengröße bei den Über- 3-Jährigen verringern. Derzeit betreuen dort zwei Erzieherinnen 25 Kinder. Die Kinder müssen zwar nicht mehr gewindelt werden, haben aber andere Förderbedarfe. Erzieherinnen sollen jedes einzelne Kind mit seinen individuell sehr unterschiedlichen Bedürfnissen im Auge behalten. Im städtischen Umfeld müssen sie Gruppen mit hohem Anteil von Migrantenkindern leiten. Sie sollen stärker mit den Grundschulen zusammenarbeiten. Sie sollen Elternarbeit leisten, insbesondere, diejenigen Eltern unterstützen, deren Erziehungsfähigkeit eingeschränkt ist. Sie sollen selbstverständlich jedem Verdachtsfall von Vernachlässigung oder Gewalt nachgehen. Aber kriegt man das bei 25 Kindern mit, wenn eines einmal etwas stiller ist als sonst?

Es gibt internationale Empfehlungen, was die Gruppengröße angeht- wir haben uns diese Betreuungsschlüssel nicht aus den Fingern gesaugt. Mit unseren Forderungen greifen wir im Krippenbereich die EU-Empfehlung auf: eine Erziehungskraft für fünf Kinder. Für den Bereich der 3- bis 6-Jährigen nähern wir uns in einem ersten Schritt den EU-Empfehlungen, dort fordern wir einen Betreuungsschlüssel von 1 zu 10.

Wir wollen auch das Ausbildungsniveau der Erzieherinnen und Erzieher anheben. Perspektivisch soll zumindest die Gruppenleitung über einen Hochschulabschluss verfügen.

Auch muss aus dem 2005 beschlossenen unverbindlichen Orientierungsplan ein verbindliches Regelwerk werden, wir brauchen fachliche Unterstützungsangebote für die KiTas, aber auch eine externe Evaluierung – wie bei den Schulen die Schulinspektion, so brauchen wir die KiTa-Inspektion.

Mit den derzeitigen Arbeitsbedingungen werden Erzieherinnen und Erzieher verheizt. Es ist kein Wunder, dass sich neben dem Lehrermangel auch ein Erziehermangel abzeichnet: Im Juli diesen Jahres waren 526 Erzieherinnen-Stellen inNiedersachsen nicht besetzt. Dieser Beruf muss wieder attraktiv werden, wenn die frühkindliche Bildung in Niedersachsen vorankommen soll: dazu gehören auch kleiner Gruppen.

Anrede,

natürlich stellt sich die Frage der Gegenfinanzierung? Wir haben sehr konservativ gerechnet, wir haben die volle Konnexität berücksichtigt und kommen auf Mehrkosten von 150 Mio. im Jahr 2009 , ansteigend auf 350 Mio. ab dem Jahr 2011. Die SPD hat in ihren Berechnungen glaube ich eine Null vergessen”¦.Aber das macht nichts, dafür haben wir uns umso mehr Gedanken über eine solide Gegenfinanzierung gemacht. Das sind natürlich Summen, die das Land nicht allein aufbringen kann. Wir brauchen zusätzliche Bundesmittel, das lässt sich auch dadurch rechtfertigen, dass der Bund finanziell stärker als die Länder oder Kommunen von einer höheren Frauenerwerbsquote profitieren wird. Diese Botschaft müssen die niedersächsischen Vertreter auf dem Bildungsgipfel vortragen. Wir brauchen von Seiten des Bundes eine Einschränkung des Ehegattensplittings, wir brauchen die Umwandlung des Solidaritätszuschlags in einen Bildungssoli und wir brauchen eine Erbschaftssteuerreform- dann lässt sich der Umbau unseres Bildungssystems von der Krippe bis zum Studium reformieren. Es muss nicht nur mehr Geld in die Hand genommen werden, es muss auch für die richtigen Maßnahmen ausgeben. Die angekündigte Kindergelderhöhung wird zwei Milliarden jährlich kosten und ist bildungspolitisch ein Schuss in den Ofen! Vom unsäglichen Betreuungsgeld ganz zu schweigen”¦

Anrede,

schöne Sonntagsreden reichen nicht, um den Weg in die Bildungsrepublik zu ebnen. Nötig sind Entscheidungen. Die richtigen Entscheidungen für eine bessere frühkindliche Bildung.

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