Rede Miriam Staudte: Finanzielle Risiken der Atomkraft nicht auf Allgemeinheit abwälzen

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede

Wir hatten zu Beginn dieses Plenums ja schon eine Aktuelle Stunde zum Fukushima-Jahrestag: Kritik der Opposition, insbesondere der FDP und der CDU, war 

"Was ist an Fukushima eigentlich aktuell?". 

Was geht in Ihrem Kopf, eigentlich vor, wenn Sie so etwas sagen? Denken Sie: In Deutschland ist der Atomausstieg doch schon beschlossen? Damit haben wir unsere Hausaufgaben doch erledigt. Dem ist nicht so. Die Vorsorge-Aufgaben, die unsere Generation erledigen muss, Rückbau AKW und Entsorgung des Atommülls sind keineswegs gelöst und da meine ich jetzt ausnahmsweise einmal nicht die Standortsuche für ein Endlager, sondern die finanzielle Absicherung der Entsorgung. Aber auch die Vorsorge-Aufgaben für einen GAU wie in Fukushima oder Tschernobyl sind nicht gelöst.

SPD und Grüne legen Ihnen heute einen Entschließungsantrag zur ersten Beratung vor, in dem wir die finanziellen Risiken der Atomkraft beleuchten und eindämmen wollen.

Was sind die finanziellen Risiken?

Einmal Gefahr eines Atomunfalls. In Deutschland werden AKWs noch acht Jahre laufen und jeden Tag kann uns ein Inferno wie die Industrienation Japan treffen.

Und die Fantasielosen unter Ihnen, die jetzt sagen, nein, bei uns gibt es keine solchen Erdbeben und Tsunamis, also kann es auch keine solchen Atomunfälle geben, diejenigen möchte ich bitten, sich an den 11. September 2001 zu erinnern. Flugzeugabstürze -ob beabsichtigt oder nicht - Angriffe mit panzerbrechenden Waffen sind jeden Tag und jede Stunde möglich. Da ist es auch egal, ob es eine schwarz-gelbe oder eine rot-grüne Regierung gibt. Und im Übrigen: jeden Tag, den die AKW älter werden, werden sie unsicherer.

Ein Atom-GAU würde in Deutschland langfristig vermutlich Kosten in Höhe von 5000 Milliarden Euro nach sich ziehen. Versichert ist ein AKW aber nur mit 250 Millionen des jeweiligen AKW-Betreibers bzw. mit  2,5 Milliarden aus dem Haftungsring der EVU.

Warum sind die Atomkraftwerke nicht höher versichert? Weil es keine Versicherung gibt, die bereit wäre, dieses Risiko zu tragen. Versicherungsmathematiker gehen bei der Berechnung ihrer Policen nämlich nicht nur von der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch vom Schadensausmaß aus.

Risiko= Schadensausmaß mal Eintrittswahrscheinlichkeit. Da das Ausmaß so immens ist, ist auch das Risiko für ein gewinnbringendes Geschäft zu groß. Im Schadensfall wäre die Versicherung insolvent.

Diese Haftungssituation ist aber inakzeptabel. Denn diejenigen, die das Risiko tragen, das sind nicht diejenigen, die den Gewinn abschöpfen mit Aktien-Dividenden. Das Risiko trägt allein die Allgemeinheit. Tepco in Japan musste schon nach 2 Monaten Insolvenz anmelden und das, obwohl dort mit Entschädigungen geknausert wird und die Evakuierungszonen viel zu klein sind. Der Staat musste einspringen.

Der Staat ist also quasi die Versicherung, zieht aber keine Versicherungsprämien ein. Wir fordern in unserem Antrag von der Landesregierung, sich im Bundesrat für Verschärfung der Haftungsregeln einzusetzen.

Das war jetzt "nur" das Haftungsrisiko bei Störfällen.

Ein weiteres Risiko, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit ungleich höher ist, ist die finanzielle Absicherung für Stilllegung, Rückbau von AKWs und für die Entsorgung des Atommülls.

Auch hier laufen wir Gefahr, dass der Staat einspringen muss: Auf dem 13. Atomrechtssymposium 2007 gab es Aussagen des Bundesumweltministeriums, wonach bei Insolvenz der AKW-Betreiber bzw. der Muttergesellschaften, die Länder für Stilllegung und Rückbau und der Bund für Entsorgung des Atommülls aufkommen müsste. Also in beiden Fällen der Steuerzahler.

Nun geht man als rechtschaffener Bürger ja davon aus, dass diese Kosten in Deutschland, wo ansonsten alles geregelt ist, doch abgedeckt sein müssten. Wir haben ja ein Atomgesetz, das vorschreibt, dass die Betreiber verantwortlich für Entsorgung sind, denn die Kosten werden ja unweigerlich entstehen.

Ja, die Betreiber bilden Rückstellungen - aber: die Höhe der Rückstellungen hat überhaupt nichts mit den Kostenerwartungen zu tun. Nach Handelsrecht sind Rückstellungen Verbindlichkeiten und Aufwendungen, die in ihrer Entstehung und Höhe ungewiss sind.

Einmal im Jahr veröffentlichen die AKW-Betreiber ihre Gesamtsumme an Rückstellungen (Ende 2012 waren es angeblich 34 bis 35 Milliarden), dieses Geld ist aber nicht mündel- oder insolvenzsicher angelegt, es darf investiert werden und wird quasi eine steuerfreie Kriegskasse auf dem Energiemarkt verwendet, um Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Eine Kostenkalkulation, geschweige denn eine ständig AKTUALISIERTE Kostenkalkulation müssen die Betreiber nicht vorlegen. Daher ist eine weitere Forderung an die Landesregierung in unserem Antrag für Transparenz und Offenlegung insbesondere bei den niedersächsischen AKW einzutreten.

Dann können solche Kostenkalkulationen auch auf Plausibilität überprüft werden: Wir wissen doch wie wenig belastbar Kostenplanungen bei Großvorhaben sind: Kanaltunnel England-Frankreich 2 Mal, Berliner Hbf. 4 Mal, Elbphilharmonie 6 Mal, , die Concorde 12 Mal, die Oper Sydney 15 Mal so teurer wie erste Kostenschätzung. Atomkraftwerksbauten wie Olkiluoto ist Kostensteigerung auch die Regel, nicht die Ausnahme.

Neben der Transparenz über diese Kosten müssen die Rückstellungen auch in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführt werden, um uns vor Insolvenzen der Betreiber zu schützen.

Da muss man kein Wirtschaftsweiser sein, um zu wissen wie schlecht es wirtschaftlich um die EVU steht. Eon und RWE haben zusammen über 60 Milliarden Schulden, weil sie die Energiewende verpennt haben. RWE hat sich gerade letzte Woche von RWE Dea getrennt, obwohl diese Gasspeicher eine profitable Sparte sind, aber RWE brauchte 5 Milliarden cash. Die großen EVU haben die Energiewende verpasst. Bei RWE tragen die Erneuerbaren nur 2,5% zum Betriebsergebnis bei. Die RWE-Werbung unter dem Slogan "VoRWEg gehen", in der Erneuerbare gepriesen werden und sogar die Vogelscheuchen sich durch Solarpanele bewegen, ist reine PR, von der wir als verantwortliche Politikerinnen und Politiker uns nicht verdummen lassen dürfen.

Dividende von Eon hat sich von 2012 auf 2013 halbiert, liegt aber immer noch Rendite von über 4%. Das kriegt man auf einem Sparbuch nicht.

Der Mutterkonzern Vattenfall AG in Schweden WILL sich gleich ganz von Vattenfall GmbH Deutschland trennen.

Sie wissen ja was GmbH heißt: „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“. Die sogenannte Patronatsverpflichtung des Mutterkonzerns wurde gekündigt. Also die Pflicht des Mutterkonzerns für Kosten der Tochterunternehmen einzutreten. (Eine gewisse Frau Heinen-Esser als damalige Staatssekretärin sah darin keine Probleme für deutschen Steuerzahler.)

Und so geht es weiter: die Gewinne werden privatisiert, die Kosten sozialisiert, also auf die Allgemeinheit umgelegt. Die Mahnung des Bundesrechnungshofs aus Frühjahr 2011 zur Rückstellungspraxis verhallte ergebnislos.

Das alles waren die finanziellen Risiken auf der Ausgaben-Seite. Man muss sich aber auch die Einnahmen-Seite ansehen: Wie ist es vor diesem Hintergrund nachfolgenden Generationen gegenüber zu verantworten, die Brennelementesteuer 2016 auslaufen zu lassen. Diese Steuer wurde 2011 eingeführt. Für jedes Gramm Kernbrennstoff, also Uran oder Plutonium, werden 145€ fällig. So werden jährlich 1,5 Milliarden eingenommen. Darauf zu verzichten, wäre Hintergrund von unkalkulierbaren Asse-Sanierungskosten fahrlässig. Den Rückbau der ostdeutschen Meiler und die Sanierung der Uranabbaugebiete in der ehemaligen DDR übernimmt der deutsche Staat übrigens schon. Ebenso wie den Rückbau der Forschungsreaktoren.

Ja, bei der Brennelementesteuer ist ein Gerichtsverfahren anhängig. Die EVU klagen ja gegen alles. Aber wird die Rechtmäßigkeit bestätigt, muss die Brennelemente-Steuer fortgesetzt werden.

Über die Frage der Subventionierung der Atomkraft sollte man an dieser Stelle auch noch einmal ein Wörtchen verlieren: Bei den Erneuerbaren ist die Förderung transparent, jeder Stromkunde sieht auf seiner Rechnung die EEG-Umlage von aktuell etwas mehr als 6 Cent pro Kilowattstunde. Die Atomkraft ist stets verschleiert subventioniert worden: Die Greenpeace-Studie von 2010 geht von mehr als 200 Milliarden aus. Großbritannien macht es erneut vor: Dort wird ein neuer AKW-Bau 35 Jahre lang mit über 11 Cent Garantievergütung plus Inflationsausgleich subventioniert. Zum Vergleich: die Herstellungspreise für Windstrom liegen bei uns jetzt schon mehr als 3 Cent darunter.

Ich hoffe, dass ich ein gewisses Problembewusstsein insbesondere bei den Haushaltspolitikern wecken konnte und hoffe auf konstruktive Beratung dieser Thematik im Ausschuss.

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