Rede Miriam Staudte: Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Gesundheit und Verbesserung des Schutzes von Kindern in Niedersachsen
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, meine Damen und Herren Abgeordnete!
Seit Mai 2008 debattieren wir hier im Landtag über das verbindliche Einladewesen. Und es ist kein Zufall, dass dieser Gesetzentwurf der Landesregierung NACH der Bundestagswahl und zu so später Stunde hier durchgewunken werden soll. Er taugt nicht viel - und das wissen auch alle, die sich damit beschäftigt haben. Fraktionsübergreifend haben wir alle zunächst für ein verbindliches oder verpflichtendes Einladewesen plädiert, doch spätestens seit der Anhörung wissen wir, dass das verbindliche Einladewesen KEINEN effektiven Schutz vor Misshandlung oder Vernachlässigung bietet. Das Verbindliche Einladewesen ist eine bürokratische Alibi-Maßnahme, politischer Aktionismus, der eher schadet als nützt - und auch mit den von der SPD angeführten Ergänzungen wie der Anerkennung der Konnexität gegenüber den Kommunen wird er nicht viel besser. Wir Grünen können hier nur ein allerletztes Mal an sie appellieren: Ziehen sie diesen Gesetzentwurf zurück!
Bei der Anhörung im März 2009 sprachen sich 15 der 16 angehörten Verbände mehr oder weniger scharf gegen das Verbindliche Einladewesen aus. Und mir ist vor allem eine Aussage ganz deutlich im Ohr: Möglicherweise verschlechtert sich mit diesem Gesetz sogar die Situation gefährdeter Kinder. Dr. Voigt von der Ärztekammer sagte: "Wir persönlich haben auch ganz konkret die Sorge, dass dieser vermehrte Kontrollaufwand für die Jugendämter dazuführen kann, dass wesentliche andere Aufgaben, die diese Jugendämter haben, speziell auch das Aufsuchen von schon bekannten Problemfamilien, darunter leiden werden und dies womöglich eher zu einer Verschlechterung als zu einer Verbesserung der Situation dieser Problemfamilien führen kann."
Ich sage Ihnen voraus: Die Jugendämter werden wieder allein als Kontrollinstanzen, nicht als Hilfsinstanzen wahrgenommen werden. Dabei haben die Jugendämater jahrzehntelang versucht, im Sinne der Kinder diesen Nimbus loszuwerden. Wir haben Ihnen mit dem Vorschlag eines zeitlich und räumlich begrenzten Modellversuchs eine goldene Brücke gebaut, damit Sie ohne Gesichtsverlust Abstand von dem Gesetzentwurf nehmen können, Frau Ministerin Ross-Luttmann. Doch scheinbar ist nichts so schwierig, wie einen Fehler einzugestehen. Es ist absolut fahrlässig, erst nach fünf Jahren wie vorgesehen eine Evaluierung durchzuführen. Sie schreiben ja selbst:
"Belastbare Daten, mit denen verlässlich beurteilt werden könnte, ob der verhältnismäßig große Aufwand den gewünschten Erfolg haben wird, liegen jedoch noch nicht vor."
Die Vermutung liegt nahe, dass die Landesregierung vor Gericht mit diesem Gesetzentwurf Schiffbruch erleiden könnte, wenn die Kommunen eine kommunale Verfassungsbeschwerde in Bückeburg einreichen würden, denn hier kommt es sehr wohl zu einer konnexitätsrelevanten Standarderhöhung
Nun kurz zum Antrag der SPD: In der ersten Hälfte finden sich sehr viele gute Ansätze: Stichwort Familienhebammen, Kinderkrankenschwestern, Netzwerk frühe Hilfen, Familienzentren- aber dass sie letztendlich nicht den Mut haben, aus einer Anhörung den richtigen Schluss zu ziehen und sich von dem verbindlichen Einladewesen ein für alle mal zu trennen, das enttäuscht. Da scheinen die Kinderschutzexperten in der Fraktion untergebuttert worden zu sein.
Unsere Position ist klar: Wir lehnen das Verbindliche Einladewesen ab und wollen stattdessen erwiesenermaßen wirksame Kinderschutzprojekte wie Familienhebammen oder das demnächst in Delmenhorst startende Baby-Begrüßungsprojekt flächendeckend ausbauen. Beim Begrüßungsprojekt machen die Jugendamtsmitarbeiter zwar auch Hausbesuche bei jedem Neugeborenen, aber sie kommen mit Geschenken- nicht mit Myrrhe und Weihrauch aber mit Infomaterial und Gutscheinen. Auf diese Weise erkennt man hilfebedürftige Familien und schafft eine gute Ausgangssituation für Zusammenarbeit. Damit verbessert man Kinderschutz tatsächlich, nicht nur auf dem Papier.