Rede Miriam Staudte: Aktuelle Stunde – Gorleben vor dem Aus
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, meine Damen und Herren Abgeordnete!
ich möchte den Aspekt der Verschiebung des Geburtenverhältnisses um Gorleben noch einmal vertiefen. Das Niedersächsische Landesamt (NLWKN) ist nicht einzige Landesbehörde, die mit ihren Ergebnissen in den letzten Wochen für Aufsehen in den niedersächsischen Medien geführt hat: Eine neue Studie des Landesgesundheitsamts hat den Befund der Wissenschaftler Ralf Kusmierz, Kristina Voigt und Hagen Scherb vom Helmholtz-Zentrum bestätigt. Demnach haben Mädchengeburten im Verhältnis zu Jungengeburten im 35-40km-Radius um das Transportbehälterlager abgenommen. Das wird von den genannten Autoren durchaus in Zusammenhang mit der Strahlung der Castoren – insbesondere mit der Neutronenstrahlung- gebracht. Die Studie des NLGA hat das Untersuchungsgebiet noch ausgeweitet: Auch in den benachbarten Bundesländern im 35km-Radius und im Amt Neuhaus hat sich seit der Einlagerung der Castoren 1995 das Geschlechterverhältnis zu Ungunsten der Mädchen verändert. Wir können nicht mit Sicherheit sagen, dass Ursache die Castorbehälter sind- aber und das ist das Entscheidende: es gibt keine andere plausible Ursache. Auf 100 Mädchen kommen inzwischen im Mittelwert der Jahre 1996 bis 2009 109 Jungen, statt wie im Bundesschnitt 105 zu 100. Und das Beunruhigende: Es gibt eine ansteigende Rampe. Während im Jahr vor der Einlagerung das Verhältnis zwischen Jungen und Mädchen in Lüchow-Dannenberg noch unter dem Bundesdurchschnitt bei 102 zu 100 lag ist es nun bei 118 zu 100. Mit anderen Worten: je mehr Castoren, umso weniger Mädchengeburten. Um welche absoluten Zahlen handelt es sich? Nach Aussagen von Prof. Pflugbeil, der sich lange mit den Effekten der Niedrigstrahlung befasst hat, kamen zwischen 1996 und 2009 vermutlich über 1400 Kinder nicht zur Welt. Jede 15.Schwangerschaft wurde nicht ausgetragen.
Doch was ist die Antwort der Landesregierung auf diese Situation, die in Verbindung mit den erhöhten Strahlenmessungen nicht nur in der Region beunruhigend wirkt. "Wir werden weiter Literaturstudien durchführen", tönt es aus dem Sozial- und Gesundheitsministerium. Erst nachdem öffentlich debattiert wurde, rang man sich dazu durch, eine Arbeitsgruppe einrichten zu wollen. Wie besetzt: Epidemiologen, Reproduktionsmediziner und Soziologen. Do wo bleiben die Strahlenmediziner? Eine Berufsgruppe, die sich mehr als aufdrängen würde.
Im Übrigen: in Jülich, Ahaus und Lubmin finden sich ähnliche Effekte, die noch nicht genauer untersucht sind. Ende 2011 wird es bundesweite Studie dazu geben.
Es gibt zwar keinen Beweis - wie immer bei ökologischen Studien – aber einen beunruhigenden Befund. In Verbindung mit Strahlenmessungen kann es nur eine Konsequenz geben: Absage des Castortransports.
Das Land kann die Einlagerung untersagen – das Land muss die Einlagerung untersagen oder glauben Sie ihren eigenen Messungen des NLWKN nicht? Kann nicht sein, was nicht sein darf?
Wer als Ministerpräsident konsequenzlose Bittbriefe an Umweltminister Röttgen schreibt, statt die eigene Atomaufsicht auch einmal als solche zu nutzen, agiert wie ein zahnloser Tiger. Das Land hat Handlungsmöglichkeiten- also nutzen Sie sie auch.