Rede Miriam Staudte: Aktuelle Stunde (CDU) - „Ihr Kinderlein kommet“ - Niedersachsen ist Krippenland, nicht nur zu Weihnachten

Landtagssitzung am 08.12.2010

Rede Miriam Staudte, MdL

Anrede,

Ihre Rede, Frau Vockert, war ja gerade ziemlich rückwärtsgewandt. Zur Richtigstellung: das erste niedersächsische Kita-Gesetz ist von Rot-Grün, das erste Investitionsprogramm für Kitas auch.

Aber ich möchte die CDU auch loben:

Es gehört schön allerhand Mut dazu, wenn man mit schlappen 15,9 Prozent im Vergleich der Bundesländer auf dem vorletzten Platz beim Betreuungsausbau liegt und dann eine Aktuelle Stunde vorschlägt mit dem Untertitel "Niedersachsen ist Krippenland."

Um ehrlich zu sein, ich vermute es war der Mut der Verzweiflung, der Sie getrieben hat.

Alles in allem sind von den 15.700 betreuten Kindern nur 2730 in echten Krippen untergebracht.

Denn hinter diesen 15,9 Prozent verbergen sich nicht nur Krippenplätze. 12 Prozent der Kinder werden bei  Tagesmüttern betreut, das ist auch in Ordnung so, aber 53,7 Prozent werden in altersübergreifenden Gruppen betreut, das heißt, der Personalstandard liegt irgendwo zwischen Krippe und Kindergarten. Bei den 2-Jährigen ist es noch eklatanter: Hier werden 25 Prozent der 2-Jährigen in ganz normalen Kindergartengruppen mit 25 Kindern und 2 Erzieherinnen betreut.

Ich vermute bei Ihrer Aktuellen Stunde einen anderen Hintergrund:

Ihnen wurde in den letzten Monaten wegen Ihrer Härte in der Sozialpolitik ja häufig vorgeworfen, dass Sie ihren "christlichen Kompass" in der CDU verloren hätten.
Das widerlegen Sie elegant, indem Sie hier den weihnachtlichen Bezug zum Krippe in Bethlehem herstellen.
Doch stellen wir uns in Niedersachsen mal dem gnadenlosen Vergleich mit der Ur-Krippe:

Der Personalstandard in Bethlehem lag mit Josef, Maria und drei heiligen Königen bei 5 zu 1.

In Niedersachsen hingegen sind zwei Erzieherinnen für 15 Kinder zuständig. Wir haben das mal visualisiert: Auf diesem Bild sehen Sie die beiden Erzieherinnen Maria und Magdalena und 15 Kleinstkinder. Wobei zwei Kinder auf dem Bild gar nicht zu sehen sind. Das sind wahrscheinlich Petrus und Johannes, die sind ein bisschen älter und zum Spielen nach draußen abgehauen. Was die Betreuungsaufgabe für Maria und Magdalena schließlich auch nicht einfacher macht.

Läge Bethlehem in Niedersachsen wäre es ja so: Wenn der Gemeinderat Bethlehem jetzt beschließen würde, das geht so nicht weiter : Maria und Magdalena brauchen Unterstützung und die Gemeinde würde aus eigener Tasche eine Drittkraft einstellen, dann käme die Kommunalaufsicht in Vertretung von Pontius Pilatus-Schünemann und würde den Haushalt von Bethlehem unter Umständen wegen dieser freiwilligen Zusatzaufgabe nicht genehmigen wollen. 

Im Übrigen: Auch die Quote der männlichen Betreuer ist mit den drei Heiligen Königen und Josef überdurchschnittlich gewesen.
In Niedersachsen liegt sie bei schlappen 3 Prozent.  

Ebenso unerreicht der Anteil des Bethlehemer Betreuungspersonals mit Migrationshintergrund. Auch hier haben die Heiligen Drei Könige mit Balthasar Maßstäbe gesetzt, an denen wir uns orientieren sollten.

So, nun noch was zu Ihrem Titelsatz "Ihr Kinderlein kommet"

Wen meinten Sie damit, liebe CDU? Wen wollten Sie zusätzlich einladen? Falls es Ihnen nicht bekannt ist, es gibt in Niedersachsen an allen Einrichtungen Wartelisten. Auch bei uns vor Ort in Lüneburg: Obwohl Lüneburg bereits für 29 Prozent der U-3-Jährigen einen Betreuungsplatz anbietet, gibt es noch Wartelisten. Die Landesmittel für die Investitionskosten sind aber längst aufgebraucht.

"Ihr Kinderlein kommet", kann sich auch nicht auf die Kinder mit Behinderung beziehen. Wir haben nämlich kein flächendeckendes Angebot für Integrationsgruppen. Nur einen Modellversuch. Erst wenn Einrichtungen von sich aus aktiv werden oder wenn Eltern mit dem Anwalt drohen, wird gehandelt.

Im Ernst:

Es ist erstaunlich, dass die CDU die Krippenversorgung zum Thema der Aktuellen Stunde gewählt hat.

Es ist absolut absehbar, dass der Rechtsanspruch 2013 in Niedersachsen nicht flächendeckend eingelöst werden kann.

Wir können nur vermuten: Da hat jemand aus Versehen mit "Niedersachsen ist Krippenland" den Wunschzettel für 2011 bei der Drucksachenstelle abgegeben!

Noch schlimmer sieht es aus, wenn wir uns die Situation in den einzelnen Landkreisen ansehen. Unter den 10 Landkreisen mit der bundesweit geringsten Krippen-Betreuungsquoten befinden sich 5 Landkreise aus Niedersachsen: Nienburg an 10.-letzter Stelle, Emsland an 5.-letzter Stelle und die Kreise Aurich, Cloppenburg und Leer auf den bundesweit letzten Stellen.

Obwohl Niedersachsen unverändert zu den Schlusslichtern gehört, geht der Ausbau noch immer viel zu langsam voran.

Die Kommunen haben sich in den letzten Jahren immer wieder darüber beklagt, dass Neubauanträge für Krippen nur sehr zögernd bewilligt wurden. Und tatsächlich waren nach einer Übersicht des Bundesfamilienministeriums bis zum 8. November 2010 in Niedersachsen erst 57 Prozent der Mittel bewilligt, die der Bund für das Krippenausbauprogramm zur Verfügung stellt. Bundesweit waren zu diesem Zeitpunkt bereits 67 Prozent der Mittel vergeben.

Aber auch dieses Tempo reicht bei weitem nicht aus. Wenn Niedersachsen so weiter macht, wird es 2013 zum Inkrafttreten des Rechtsanspruchs nicht einmal 30 Prozent erreicht haben. Nach neuen Berechnungen werden dann aber nicht einmal 35 Prozent ausreichen, sondern mindestens 39 Prozent erforderlich sein, um die Wünsche der Eltern befriedigen zu können.

Es ist also schon jetzt abzusehen, dass Niedersachsen das Ziel, bis 2013 ausreichend Krippenplätze zur Verfügung stellen zu können, bei weitem verfehlen wird.

Zurück zum Pressearchiv