Rede Meta Janssen-Kucz: „Programm für ein familien- und kinderfreundliches Niedersachsen – Bildungs- und Betreuungsangebote der Kindertagesstätten ausbauen“

 

Anrede,

spätestens seit PISA gibt es einen breiten Konsens, dass das Kita-Angebot massiv ausgebaut werden muss. Das gilt sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht.

Im Kindergartenbereich für die 3- bis 6-Jährigen haben wir inzwischen – dem Rechtsanspruch sei Dank – für alle Kinder, deren Eltern dies wünschen, einen Betreuungsplatz. Nicht ausreichend ist bei vielen Plätzen jedoch noch immer die Betreuungszeit. Vier Stunden Kita-Betreuung pro Tag reichen einfach nicht aus, um wirklich beiden Eltern eine Berufstätigkeit zu ermöglichen. Sie reichen nicht einmal für eine Halbtagsstelle.

Einen großen Mangel gibt es bei den Plätzen für die Unter-3-Jährigen. Mit einer Quote von ganzen 2,3% gehört Niedersachsen hier noch immer zu den Schlusslichtern.

Noch wichtiger ist aber die qualitative Weiterentwicklung. Die ersten Lebensjahre sind entscheidend für die Bildung und Entwicklung der Kinder, und wir sind uns einig, dass die Kitas zu einem vollwertigen Bestandteil unseres Bildungswesens ausgebaut werden müssen.

So weit die Übereinstimmung zumindest in den Reden.

Tatsächlich getan hat die Landesregierung in Niedersachsen seit der Wahl der schwarz-gelben Koalition aber leider fast nichts.

Anrede,

die Landesregierung hat keinen einzigen Cent dafür aufgebracht, um mehr Ganztagsplätze in den Kindergärten zu schaffen. Und sie hat auch nichts dafür getan, um die notwendigen Plätze für die Kinder unter 3 Jahren zu schaffen.

Als die rot-grüne Bundesregierung die gesetzlichen Grundlagen für eine ausreichende Krippenplatz-Versorgung geschaffen hat, da war die Landesregierung äußerst zurückhaltend.

Sie hat nur mit dem Finger auf den Bund gezeigt und von ihm die Finanzierung verlangt. Aber sie selbst hat sich – genau wie bei den Ganztagsschulen – nach dem Fielmann-Prinzip verhalten: "Nichts, aber auch gar nichts dazu bezahlt."

Noch erschreckender ist die Tatenlosigkeit der Landesregierung, wenn es um die qualitative Weiterentwicklung der Kitas geht. Gleich werden wir sicher wieder hören, wie Frau Vockert und Herr Minister Busemann sich selbst für den Kita-Orientierungsplan loben. Doch Vorsicht – Eigenlob stinkt! Der Plan ist gut, aber die Landesregierung tut nichts dafür, dass er für die Arbeit in den Kitas auch verbindlich umgesetzt wird. Bislang ist dieser Bildungsplan nicht viel mehr als schön bedrucktes Papier. Ihm fehlt die Verbindlichkeit, denn nur so kann man für die Zukunft gleiche Bildungschancen für alle auf den Weg bringen, und das ist mehr als überfällig! In Niedersachsen ist die frühkindliche Bildung noch immer ein Stiefkind!

Anrede,

für die Schulen baut die Landesregierung ein neues Qualitätsmanagement auf, einschließlich einer externen Evaluation durch die Schulinspektion. Das wird von uns bei aller Kritik im Detail, unterstützt.

Aber für die Kindertagesstätten gibt es nichts dergleichen. Das zeigt, wie wenig ernst die Landesregierung den Bildungsauftrag der Kindertagesstätten noch immer nimmt.

Und die Landesregierung sperrt sich beharrlich dagegen, die Ausbildung der Kita-ErzieherInnen auf ein europäisches Niveau zu heben. Während in anderen Ländern ErzieherInnen längst eben so gut ausgebildet werden wie Lehrer und Lehrerinnen, soll in Deutschland für die Frühförderung der Kinder in den wichtigen ersten Lebensjahren noch immer eine Fachschulausbildung reichen. Auch das zeigt, wie wenig Sie den Elementarbereich als gleichwertigen, gleich wichtigen Bestandteil unseres Bildungswesens begreifen.

Sicher, der notwendige Ausbau der Kindertagesstätten zu qualifizierten Bildungseinrichtungen kostet Geld, viel Geld. Aber wenn wir über Sonntagsreden hinauskommen und die Weiterentwicklung der Kitas zu qualifizierten Bildungseinrichtungen endlich in Gang bringen wollen, dann müssen wir endlich Butter bei die Fische geben.

Anrede,

wir Grünen legen deshalb heute ein "Programm für ein familien- und kinderfreundliches Niedersachsen" vor.

Dieses Programm sieht vor, dass die notwendigen Plätze auch schon für die Kinder unter 3 Jahren geschaffen werden und dass auch das Ganztagsangebot bedarfsgerecht ausgebaut wird. Dieses Ziel wird letzten Endes nur zu erreichen sein, wenn auch ein Rechtsanspruch auf diese Plätze geschaffen wird.

Ein Rechtsanspruch erst ab dem dritten Geburtstag und dann auch nur auf 4 Stunden Betreuungszeit pro Tag, die womöglich auch am Nachmittag liegen kann, reicht einfach nicht mehr aus, um allen Kindern eine frühzeitige Förderung zu garantieren und um den Eltern die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf zu ermöglichen.

Das Elterngeld läuft ohne ein ausreichendes Angebot an Kinderbetreuung ins Leere. Ein Rechtsanspruch ab dem 2. Lebensjahr muss her. Sonst ist das Elterngeld der zweite Schritt vor dem ersten.

Zweitens wollen wir endlich die notwendige Qualitätsentwicklung der Kitas voranbringen. Wie für die Schulen sollen verbindliche Bildungsstandards entwickelt werden, und gemeinsam mit den Trägern der Kitas sollen Qualitätsmanagementssysteme aufgebaut werden, um die Verwirklichung dieser Bildungsstandards in den Kitas zu evaluieren.

Wie in den Schulen ergibt die Evaluation aber nur Sinn, wenn sie verbunden ist mit Beratung. Vor allem aber muss die Ausbildung der ErzieherInnen auf ein Hochschulniveau gebracht werden. Wir können es uns einfach nicht länger leisten, hier hinter allen anderen europäischen Ländern zurückzubleiben.

Drittens schließlich wollen wir das letzte Kitajahr als "Bildungsjahr für Kinder" gestalten, in dem der Übergang auf die Schule gezielt vorbereitet wird. Um spätestens in diesem Jahr alle Kinder zu erreichen, soll der Besuch dieses Bildungsjahres verbindlich werden. Und das heißt auch, dass er für die Eltern kostenfrei sein muss.

Unser Programm wird selbstverständlich nur schrittweise zu verwirklichen sein.

Am Ende der Aufbauzeit werden die Kosten ca. 800 Millionen € jährlich betragen. Dieses Geld kann nur in einer gemeinsamen Kraftanstrengung vom Bund, dem Land und den Kommunen aufgebracht werden. Bildung gehört in die gemeinsame Verantwortung aller. Das, was gerade im Rahmen der Föderalismusreform geschieht, behindert und blockiert die Chancengleichheit im Bildungssystem. Die Chancengleichheit wird auf dem Altar der Föderalismusreform geopfert!

Aber es ist nicht nur notwendig, sondern durchaus auch möglich, dieses Geld aufzubringen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg! Allein die Umwandlung des Ehegattensplittings, mit dem noch immer die Alleinverdienerehe mit unglaublichen Summen subventioniert wird, in eine so genannte Individualbesteuerung mit übertragbarem Höchstbetrag würde bundesweit 5 Milliarden € jährlich bringen. Herrn Pofalla sei Dank diskutieren auch endlich die bürgerlichen Parteien das Ehegattensplitting.

Nach dem Königsteiner Schlüssel würden davon ca. 500 Millionen € auf Niedersachsen entfallen. Weiteres Geld könnte eine gerechte Erbschaftssteuer erbringen. Und schließlich würde sich ein Ausbau der Kita-Betreuung zu einem guten Teil auch selbst finanzieren, wenn dadurch mehr Frauen tatsächlich einer Berufstätigkeit nachgehen könnten.

Die Kindertagesstätten sind das Fundament unseres Bildungssystems. Nur wenn wir endlich dieses Fundament solide ausstatten, werden wir auch das darauf aufbauende Bildungssystem renovieren können.

Anrede,

im kalten Februar hatte die grüne Landtagsfraktion einen Antrag eingebracht, der die schwarz-gelbe Landesregierung aufforderte, bis  Juni ein Finanzierungskonzept für ein beitragsfreies Kita-Jahr zu entwickeln. Jetzt ist Juni und es ist immer noch nichts passiert. Ist dem bürgerlichen Lager das Thema zu heiß geworden, oder wie ist es zu erklären, dass der grüne Antrag in der Versenkung verschwunden ist und bis heute nicht beraten wurde.

Ich frage Sie, wollen Sie das Thema beitragsfreier Kindergarten einfach aussitzen, um für die nächste Landtagswahl wenigstens ein kleines Leckerli für die Bürger zu haben?

Kinder- und Familienfreundlichkeit könnte so einfach sein, wenn man endlich mal aufhören würde, Versprechungen zu machen und mit der Umsetzung beginnen würde.

Anrede,

die grüne Fraktion wollte im Februar den Antrag sofort beschließen, damit der Kultusminister sich sofort an die Arbeit macht. Doch Herr Busemann hatte zu folgenden Punkten noch Klärungsbedarf und Gesprächsbedarf:

  • In welchen Kita-Jahrgängen die Kostenfreiheit beginnt,
  • welche bildungspolitischen Maßnahmen, neben der Sprachförderung, im letzten Kita-Jahr notwendig sind,
  • wie hoch das Beitragsvolumen für das dritte Kita-Jahr ist und wie den Trägern dieses Geld vom Land erstattet werden soll, um die Beitragsfreiheit der Eltern zu ermöglichen.

Dazu sollten noch inhaltliche und technische Fragen mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Trägern der Kitas geklärt werden.

Anrede,

selbstverständlich haben wir dem Kultusminister Zeit eingeräumt, damit er seine Hausarbeiten machen kann. Doch bis heute hat er noch nichts vorgelegt.

Herr Busemann, wie sagten Sie im Februar so schön: "Sie können sich darauf verlassen: In den nächsten Wochen wird das Thema an Fahrt gewinnen."

Welches Fahrttempo haben Sie eigentlich gewählt, dass Sie bis heute nichts vorlegt haben?

Anrede,

im Februar sagte der Kultusminister, ich zitiere: "Ich unterstütze im Kern die Forderung nach der Elternbeitragsfreiheit  im dritten Kindertagesstättenjahr."

Kern ist Kern, lassen Sie uns endlich aufhören, auf dem Kern herumzukauen, lassen Sie uns den Kern gemeinsam pflanzen, damit das Bäumchen anfangen kann zu wachsen.

"Es besteht  in der Tat Übereinstimmung, dass der Bildungsauftrag der Kindertagesstätten gestärkt werden soll.", so Kultusminister Busemann im Februar hier im Landtag.

Anrede,

nehmen Sie unser grünes Programm zur Verbesserung der frühkindlichen Bildung, für höhere Bildungsqualität und mehr Plätze für Kinder unter 3 Jahren, dann haben wir ein Komplettpaket!

Ein Paket das alles beinhaltet und kein Stückwerk ist! Wir hätten endlich mehr Qualität in den Kitas durch verbindliche Bildungsstandards und keinen unverbindlichen Orientierungsplan.

Wir hätten Erzieherinnen mit sehr guter Ausbildung, entsprechend den europäischen Standards. Wir brauchen keine "Anerkennungskultur" wie von Frau Vockert und der CDU gefordert, sondern den Ausbau der Studiengänge für Elementarpädagogik.

Wir hätten ein letztes, verpflichtendes, beitragsfreies Kita-Jahr, das gezielt auf den Übergang in die Schule vorbereitet. Damit würde auch der Erlass zur Zusammenarbeit von Kita und Schule endlich mit Leben gefüllt.

Anrede,

wir Grüne haben ein Programm für ein familien- und kinderfreundliches Niedersachsen vorgelegt, das endlich die Flickschusterei in Niedersachsen beenden soll. Ich kann nur hoffen, Sie alle unterstützen uns dabei, damit Kinder Vorfahrt in Niedersachsen haben und Chancengleichheit nicht noch mehr zu einer hohlen Phrase verkommt.

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