Rede Meta Janssen-Kucz: Beteiligungskultur in der Jugendhilfe erhalten und ausbauen – Fachkompetenz stärken, Jugendämter und Jugendhilfeausschüsse in Niedersachsen erhalten und weiterentwickeln

Landtagssitzung am 15.09.06, TOP 25

Anrede,

"Stell dir vor, es ist Wahl und keiner geht hin." An diesen Spruch musste ich nach der Kommunalwahl vom letzten Sonntag denken, als wieder eine neue historisch niedrige Wahlbeteiligung von 51,8 Prozent verkündet wurde. Und in den Kommentaren der Parteivorsitzenden wurde darüber spekuliert, wie man denn die Wahlbeteiligung wieder  aufleben lassen könne.

Dabei fiel unter anderem Begriffe wie "mehr Beteiligung", "Beteiligung der Bürger ernster nehmen",  der "zunehmende Entfremdungsprozess zwischen Bürgern und Politik"...

In meinen Augen werden Begriffe wie Bürgerbeteiligung und auch Chancengleichheit gerne in den Mund benommen, aber wenn es konkret wird, kommt nichts anderes als eine Seifenblase, die zerplatzt, heraus.

Anrede,

Jetzt fragen Sie sich, was hat das mit dem von uns vorgelegten Antrag zu tun? Ganz viel, sage ich Ihnen! Mit der von der schwarz-gelben Landesregierung geplanten und in der Mipla schon zu findenden Auflösung des Landesjugendamtes wird eine Fachbehörde zerschlagen, die für Standards in der Kinder- und Jugendhilfe steht und damit für mehr Chancengleichheit in Niedersachsen.

Eine Behörde, die vorbildlich ihre Service- und auch Mittlerfunktion erfüllt und dadurch ein wichtiges Bindeglied zwischen den Kommunen, den öffentlichen und freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe und dem Land ist.

So, und nun hat das Land Niedersachsen im Zuge der Föderalismusreform in den Ländern die Möglichkeit erhalten, hinsichtlich der Einrichtung der Behörden und der Verwaltungsverfahren Regelungen zu treffen, die vom Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) abweichen. Und was macht das Land Niedersachsen? Als erstes wird das Landesjugendamt wieder einmal zur Disposition gestellt.

Erschreckend ist an der Debatte, dass sie nicht von den Jugendpolitikern, den Fachleuten, geführt wird, sondern die Innen- und Haushaltspolitiker das Sagen haben.

Der Kollege Coenen von der CDU behauptet sogar, dass die Behörde abgeschafft gehört, weil sie "nicht mehr zeitgemäß und mehr als überflüssig" sei. Herr Coenen, ich bezweifle bei Ihnen und einem Großteil Ihrer Kollegen, dass Sie in der Lage sind, die Aufgaben und die gesetzlichen Grundlagen der Arbeit im Landesjugendamt zu benennen. 

Noch einmal, damit es alle wissen: Das Landesjugendamt bürgt für die Sicherung von Qualitätsstandards und die konkrete, passgenaue Weiterleitung von EU-Fördergeldern für Maßnahmen der Jugendhilfe.

Das Landesjugendamt stellt landesweit die Qualität der Jugendhilfe sicher. Mit der von Ihnen geplanten Auflösung würden das versammelte Expertenwissen und die Servicefunktion verloren gehen.

Das Landesjugendamt ist im Interesse des Kindeswohls unverzichtbar. Wenn wir von Chancengleichheit reden, müssen wir auch Sorge dafür tragen, die Qualität der Angebote in der Jugendhilfe zu sichern und weiterzuentwickeln. Und das geht nur mit dem Landesjugendamt!

Anrede,

Aber es geht nicht darum, wie von der schwarz-gelben Landesregierung suggeriert, einfach eine Behörde abzuschaffen. Nein, mit der Abschaffung des Landesjugendamtes wird auch der Landesjugendhilfeausschuss zur Disposition gestellt.

Und somit sind wir beim Thema "Beteiligung". Mit der Einrichtung von Jugendhilfeausschüssen beim Landesjugendamt und bei den kommunalen Jugendämtern ist eine beispielhafte Kultur der Beteiligung geschaffen worden.

Diese Beteiligungskultur muss im Interesse der Kinder und der Jugendlichen erhalten und gestärkt werden. Das sagen Sie in Ihren Sonntagsreden doch auch immer: Beteiligungskultur stärken!

Wo gibt es noch ein ähnliches Gremium wie den Landesjugendhilfeausschuss? Ein demokratisches Gremium, das die Mitwirkung und Mitgestaltung der freien und öffentlichen Träger sichert und damit gesellschaftliche und fachliche Partizipation ermöglicht. Ein Gremium, das für die immer wieder geforderte Vernetzung steht, sowie Vernetzung auf hohem fachlichem Niveau.

Anrede,

Mit der Abschaffung des Landesjugendamtes und des Landesjugendhilfeausschusses öffnet das Land Niedersachsen dem Abbau von Chancengleichheit und Partizipation Tür und Tor. Ein Teil der Kommunen wartet nur darauf, die Standards, die für Chancengleichheit notwendig sind, zu schleifen und letztendlich Kinder- und Jugendhilfepolitik nach kommunaler Kassenlage zu machen und damit die qualitativen Standards in der Kinder- und Jugendhilfe abzusenken.

Ebenso bedeutet die Abschaffung des Landesjugendamtes die Kommunalisierung der Aufsichtsfunktion (Betriebserlaubnis/ örtliche Prüfung), so dass Heimaufsicht und Kostenträgerschaft in einer Hand liegen würden.

Die Kommunen hätten damit die Aufsicht über ihre eigenen Einrichtungen und über die Einrichtungen der freien Träger. "Ein Schelm, wer sich Böses dabei denkt".

Alle Experten warnen davor, von der bewährten Einheitlichkeit und Zweigliedrigkeit der Jugendämter abzuweichen. Es gibt kein einziges mir bekanntes Argument, das für die Abschaffung des Landesjugendamtes und des Landesjugendhilfeausschusses spricht.

Anstatt das zarte Pflänzchen Beteiligung mit den Füßen zu treten, sollten wir Sorge dafür tragen, dass Beteiligung groß geschrieben wird. Denn aus Beteiligung erwächst letztendlich bürgerschaftliches Engagement. Und das haben wir zukünftig mehr als nötig!

Anrede,

Ich frage Sie, welchen Stellenwert haben eigentlich Kinder und Jugendliche in Niedersachsen? Sind sie in Ihren Reden nicht immer Niedersachsens Zukunft? In die Zukunft investiert man, man macht keine billigen Experimente.

Und meine Damen und Herren, nutzen Sie nicht die Föderalismusreform als Möglichkeit, sich von Landesaufgaben zu entledigen und dadurch zu Ungunsten der Kommunen und der fachlichen Unterstützung der Träger der Kinder- und Jugendhilfe zu wirken!

Auch die Familienministerin Ursula von der Leyen, CDU, hat sich gegen strukturelle Änderungen bei der Kinder- und Jugendhilfe ausgesprochen. Nach der Verlagerung der Zuständigkeit auf die Länder im Zuge der Föderalismusreform sollte deren "bewährte Organisationsstruktur" erhalten bleiben. Zielgenaue Hilfen für Kinder, Jugendliche und Eltern setzen voraus, dass diese auf klare Strukturen und verlässliche Verfahren bauen können.

Verlässlichkeit  ist ja auch ein Schlagwort der schwarz-gelben Landesregierung. In Sachen Landesjugendamt und Landesjugendhilfeausschuss haben Sie die Möglichkeit hier und heute Verlässlichkeit zu dokumentieren.

Sagen Sie, wo die Reise für die Kinder- und Jugendhilfe hingeht. Was ist mit dem netten Zahlenwerk in der Mipla, wonach das LJA schon abgewickelt ist und ab 2007-2010 nur noch mit dem Merkposten 0,1 Mio. € steht, vormals 2,6 Mio. € jährlich? 

Außerdem brauchen Kinder und Jugendliche eine starke Lobby!

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