Rede Julia Willie Hamburg: Gesetzentwurf (SPD/CDU) zum niedersächsischen Schulgesetz

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

was haben wir nur für große Ankündigungen von der großen Koalition gehört: Wir wollen den Schulen Ruhe geben. Wir sorgen für Schulfrieden. Kultusminister Tonne ist der Beteiligungsminister. Und wie sieht ihre 100-Tages-Bilanz nun aus? Ich muss ihnen sagen: Sie sieht leider so aus, wie ich sie Ihnen bereits in der ersten Lesung prognostiziert habe. Die Schlagzeilen bei der Umsetzung ihrer Schulgesetznovelle werden leider eintreffen:

Kultusminister Tonne mag von Beteiligung reden – Was Sie hier und heute aber veranstalten ist die Krönung einer Basta-Politik, die sich gewaschen hat. Sie agieren frei nach dem Motto: „Was schert mich das Geschwätz der Verbände – wir haben ja eine satte Mehrheit im Parlament.“ Auf diese Weise stimmen Sie hier und heute einen Schulgesetzentwurf ab, der mit Schulfrieden so rein gar nichts zu tun hat. Chaos werden wir im August diesen Jahres erleben – und das nicht nur an den Schulen, nein auch in der Kindergärten. Wenn schon, dann richtig, scheint hier das Motto sein. Warum? Das will ich Ihnen gerne exemplarisch erörtern:

Beginnen wir mit dem Stichtag. Die Eltern von Finn haben die Petition unterschrieben, die fordert, die Einschulung zu flexibilisieren. Jetzt hören sie, dass eine Schulgesetznovelle Ihnen bereits dieses Jahr die Möglichkeit geben wird, diese Flexibilität für sich in Anspruch zu nehmen. „Toll“, denkt sich Finns Familie und dann stellt sich heraus: Durch die kurze Übergangszeit, konnten die Vorbereitungen nicht getroffen werden. Die Kita hat Finns Platz bereits vergeben, die Kommune konnte keine neuen Plätze schaffen und die Eltern schulen Finn schließlich doch ein, weil die Alternative wäre, Finn für ein Jahr in einen neuen Kindergarten einzuklagen, der womöglich am anderen Ende der Stadt steht. Darauf können alle Beteiligten verzichten.

Tja, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist wohl das Paradebeispiel für „Gut gemeint, ist noch lange nicht gut gemacht“. Wir haben Sie inständig darum gebeten, diese gute Regelung nicht dadurch zu zerstören, dass sie für so viele Konflikte vor Ort sorgen. Aber: Sie sind sich selbst genug, Sie wissen es besser und Sie wollen mit Ihrer Übermacht demonstrieren, dass Sie nicht auf Anhörungen und Ratschläge der Opposition eingehen müssen. Und das demonstrieren Sie heute – auf dem Rücken der Schulen, der Eltern und nicht zuletzt der Kinder.

Dann haben Sie angekündigt, die Unterrichtsversorgung auf dem Rücken der Erzieherinnen und Erzieher in den Kindergärten gesundzustoßen. Und während Herr Tonne noch der „Gut-Ding-Will-Weile-Haben“- Minister war, soll nun ab August die vorschulische Sprachförderung inklusive der Sprachstandsfeststellungsverfahren in den Kitas stattfinden. Ab August – und in der Anhörung wurde deutlich, dass die Kita-Träger weder wussten, wie das ablaufen soll, noch woher sie das Personal dafür auf die Schnelle bekommen sollten. Und was wollen Sie den Kitas dafür geben? 26 Millionen Euro. Wissen Sie, was das runtergerechnet für jede Kita bedeutet? 416 Euro. Die Groko sponsert also künftig jeder Kita einen Mini-Job für Sprachförderung: Nennen Sie das eine adäquate Form der Aufgabenverlagerung von der Schule in die Kita? Die Kitas in Niedersachsen ertrinken in Arbeit und Verantwortung – sie brauchen dringend mehr Personal und mehr Zeit für die Vor- und Nachbereitung, für Elterngespräche und Fortbildungen. Es braucht endlich die 3. Kraft in Krippen und dafür werden wir uns weiter mit aller Kraft einsetzen.

Und bei der Verlängerung der Förderschule Lernen schlägt ihr Agieren dem Fass noch den Boden aus. Alle Anzuhörenden, die im Bereich der inklusiven Schule seit 2012 schuften und ackern, auf Regelungen und Personal warten, täglich ihr Bestes geben, um allen Kindern gerecht werden zu können, haben Ihnen einhellig und in großer Deutlichkeit gesagt: „Halten Sie an dem Auslaufen der Förderschule Lernen fest und kümmern Sie sich endlich um die offenen Fragen, die die Inklusion in Niedersachsen derzeit behindern.“ „Lassen Sie uns die Planungssicherheit, auf die wir seit Jahren hingearbeitet haben.“ „Ihr Schritt ist ein Fehler!“ Und haben Sie auf einen dieser Hinweise, Bitten oder Anregungen reagiert? Nein! Haben Sie eine der offenen Fragen der Anzuhörenden beantwortet? Nein! Konnten Sie die Sorgen und Nöte auflösen, die in der Anhörung deutlich geworden sind? Nein! Und jetzt frage ich Sie: Warum machen Sie eigentlich eine Anhörung, wenn Ihnen die Meinung der Verbände am Ende so herzlich egal sind? Dann seien sie doch einfach so ehrlich und lassen es sein. Dieser Gesetzentwurf und Ihre Ignoranz sind ein Schlag ins Gesicht der viele Anzuhörenden, der vielen seit Jahrzehnten in der Inklusion engagierten Menschen. Der vielen Lehrkräfte und Schulleitungen, die tagtäglich ihr bestes an unseren Schulen geben. Ich werde selten so drastisch, aber an dieser Stelle kann ich es nicht anders sagen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich ist es eine beliebte Strategie in der Politik, einen so faulen Kompromiss sang- und klanglos am Anfang der Legislaturperiode durchzupeitschen. Sie hoffen, dass bald kein Mensch mehr auf die Idee kommt, dass Sie damit etwas zu tun haben könnten: Aber ich sage Ihnen, dieses Gesetz und seine negativen Auswirkungen werden noch lange nachklingen und wir werden Sie ganz persönlich immer wieder an Ihre Verantwortung dabei erinnern. Wir beantragen deshalb hier und heute namentliche Abstimmung, damit die vielen Eltern, Lehrkräfte und Schulleitungen auch wissen, an wen sie sich in Zukunft in dieser Frage zu wenden haben – ihre Abgeordneten vor Ort, die offene Ohren zu haben scheinen, diese aber derzeit auf Durchzug stehen haben.

Vielen Dank.

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