Rede Julia Hamburg: Antrag (SPD/GRÜNE) zur Teilhabe und Bildung

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

täglich kommen Tausende von Menschen in unser Land, um hier bei uns Schutz vor Kriegen und vor Verfolgung zu suchen.

Die Bereitschaft der Zivilgesellschaft, dieser Herausforderung positiv zu begegnen, ist weiterhin enorm. Diese Bereitschaft ist getragen von der Überzeugung, dass unser reiches Land eine Verpflichtung hat, diese Aufgabe anzunehmen.

Den Bildungseinrichtungen, Kindertagesstätten, Schulen und auch Universitäten kommt eine besondere Bedeutung bei der Schaffung von Teilhabe geflüchteter Menschen an unserer Gesellschaft zu.

Die Kenntnis der deutschen Sprache ist zweifellos eine wichtige Voraussetzung, um Menschen die Teilhabe an dieser Gesellschaft zu ermöglichen. Eben darum ist diese Vermittlungsarbeit, die in Schulen und Kindertagesstätten geleistet wird, so wichtig für die Zukunft dieser Heranwachsenden, die schon so früh eine Heimat verlieren mussten.

Ich danke deshalb den Lehrkräften und den Erzieherinnen und Erziehern für ihr sehr großes Engagement und den leidenschaftlichen Einsatz für die Kinder. Dieses Engagement kennt keine Grenzen. 

Wir erleben in der politischen Debatte immer wieder, dass die Anzahl der einzurichtenden Sprachlernklassen zum alleinigen Maßstab über den Erfolg der Schulpolitik im Flüchtlingsbereich  erhoben wird. Das ist aber eine absolut verkürzte Sicht auf dieses Thema. 

Und Ihre Anträge, meine Damen und Herren von CDU und FDP, folgen vornehmlich dieser eindimensionalen Sicht auf dieses Thema. Viele Sprachlernklassen gleich gelungene Integration. 

Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich, das verkennt die Herausforderungen, vor denen Schulen derzeit stehen. Genauso bedeutsam, wie die Sprache, ist die Frage Umgang mit Traumatisierungen oder etwa Einbindung in bestehende Systeme. Diesen Komplexen tragen Ihre Anträge überhaupt gar keine  Rechnung. Und zum Thema des vielbeschworenen Konsenses: Wir haben Ihnen mit unserem Antrag das Angebot gemacht, eine gemeinsame Entschließung zu entwickeln und Sie gebeten, Ihren Blick hier zu weiten. Sie haben dieses Angebot ausgeschlagen, mit dem Hinweis, dass wir in den Details ohnehin nie einer Meinung sein werden. 

Das ist sehr schade – aber auch sehr entlarvend, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Für Schülerinnen und Schüler, die noch gar kein Deutsch können, ist es sicherlich je nach Alter und Schulstruktur richtig, sie zunächst für eine gewisse Zeit in Sprachlernklassen aufzunehmen. Aber wenn die Kinder wirklich teilhaben, also im regulären Schulleben einbezogen werden sollen, ist es notwendig, sie so schnell wie möglich in die Regelklassen aufzunehmen und dort differenziert zu unterstützen. Und es gibt eben nicht nur gerichteten Spracherwerb – gerade auch bei jungen Schülerinnen und Schüler sind ungerichtete Formen des Spracherwerbs nachhaltig sinnvoll. 

Wir brauchen ein ganzes Bündel von Maßnahmen, um schließlich auch vor Ort auf sehr unterschiedliche Gegebenheiten reagieren zu können. Es gilt Vorsorge zu treffen, dass vor Ort kurzfristig und flexibel reagiert werden kann. Und man muss auch ganz klar sagen: Eine Verengung auf das Thema Sprachlernklassen und Sprache wird den derzeitigen Herausforderungen an den Schulen absolut  nicht gerecht. 

Die Weichen für die Entwicklung von unterschiedlichen  Maßnahmen wurden gestellt. Die Verbände wurden in einem Forum dazu gründlich informiert und einbezogen.

Im August 2014 hat das Kultusministerium den Erlass „Förderung von Bildungserfolg und Teilhabe von Schülerinnen und Schülern nicht-deutscher Herkunftssprache“ vorgelegt. Mit diesem Erlass ist eine Grundlage für eine differenzierte und flexible Sprach- und Bildungsförderung in den Schulen gelegt.

Auf dieser Grundlage werden wir die Teilhabe von Flüchtlingskindern an unserer Bildungslandschaft weiterentwickeln.

Wir brauchen aber weitere Bausteine und Schritte, damit wir eine gute Schule für alle Kinder in Niedersachsen bekommen:

·        Schon vor der Aufnahme in die Schule sollen die Flüchtlingskinder in den Erstaufnahmeeinrichtungen stärker gefördert werden.

·        Die Chancen, die die Ganztagsschule für umfassende Bildungsprozesse bietet, soll noch stärker und gezielter für die Förderung der Flüchtlingskinder genutzt werden. Auch in den Berufsbildenden Schulen müssen die Angebote für junge Geflüchtete ausgeweitet werden.

Die Volljährigkeit darf hierfür keine Grenze darstellen. Junge Menschen in Niedersachsen brauchen Perspektiven auf gute Berufsausbildungen und Abschlüsse, egal, ob die Geflüchteten 18, 21 oder auch 25 Jahre sind. Gerade für das Projekt Sprint bekommt das Kultusministerium sehr positive Rückmeldungen. Wir wollen überprüfen, ob es realisierbar ist in besonderen Fällen auch für Geflüchtete bis zu 25 Jahren Angebote vorzuhalten. ErzieherInnen und Lehrkräfte müssen für diese Aufgaben gezielt qualifiziert werden. Es ist gut, dass eine Basisqualifikation im Bereich Deutsch als Zweitsprache in die Ausbildung aller Lehrkräfte integriert werden soll. Zunächst müssen jedoch die Fort- und Weiterbildungsangebote ausgebaut werden. Ein sehr wichtiges Thema ist hierbei auch, mit der schweren Traumatisierung vieler Flüchtlingskinder umzugehen.

Anrede,

Sie sehen, wir können in Niedersachsen auf guten Konzepten aufbauen. Aber die Umsetzung dieser Konzepte kann nur gelingen, wenn auch genügend Ressourcen dafür zur Verfügung stehen.

Die rot-grüne Koalition hat hier schon große Anstrengungen unternommen. In zwei Nachtragshaushalten hat sie für 2015 bereits mehr als 10 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt. Im kommenden Jahr sollen noch einmal 40 Millionen Euro dazu kommen.

Dass die Opposition unsere Anstrengungen von einem beständigen Ruf nach Mehr begleiten würde, war zu erwarten. Die positiven Rückmeldungen der Verbände sind aber auch nicht zu überhören.

Die Kultusministerkonferenz hat erklärt, dass sie derzeit bundesweit von einem jährlichen Mehrbedarf von mindestens 2,3 Milliarden Euro für den Schulbereich ausgeht. Die Bewältigung dieser Aufgabe kann nur gelingen, wenn auch der Bund sich sehr viel stärker und verlässlicher an dieser Aufgabe finanziell beteiligt.

Die Aufnahme der Flüchtlinge ist eine gesamtgesellschaftliche und gesamtstaatliche Aufgabe. Wir stellen uns dieser Aufgabe.  

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