Rede Julia Hamburg: Antrag (SPD/GRÜNE) Berufliche Bildung gemeinsam stärken

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

in unserem Haus gibt es eine Tradition, nach der wir die wichtigen Richtungsentscheidungen und Weiterentwicklungen im Bereich der beruflichen Bildung nach Möglichkeit interfraktionell voranbringen. Die Weiterentwicklung eines sehr guten Systems war und ist ein Anliegen, dem sich alle Fraktionen mit großer Ernsthaftigkeit und dem Suchen nach der besten Lösung stellen.

Zurecht können wir stolz sein, auf unser System der beruflichen Bildung und auch darauf, dass wir bislang bemüht waren, in dieses Thema keine politische Profilierung und keinen parlamentarischen Streit zu legen.

Allerdings ist heute leider der Punkt erreicht, an dem wir diesen Pfad der interfraktionellen Einigung verlassen werden – und das finde ich äußerst bedauerlich und ein Stück weit auch unnötig. Was trennt uns eigentlich liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir alle haben eine ähnliche Analyse zu diesem Thema. Wir alle stehen hinter dem Beschluss von 2011, die Schulen zu regionalen Kompetenzzentren weiterzuentwickeln. Wir alle teilen die Analyse, dass es noch heute Schwierigkeiten bei dem Übergang zwischen dem Modellprojekt ProReKo zu einer flächendeckenden ReKo-Struktur gegeben hat und das ganz unterschiedliche BBSen unterschiedliche Schwierigkeiten hierbei haben.

Wir alle teilen die Analyse, dass die Stellenbewirtschaftung jeder Schule alleine für sich dazu geführt hat, dass zu viele Stellen unbesetzt geblieben sind. Und den Stellenabbau, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Sie hier kritisieren, war in weiten Teilen auch ein Stellenabbau, den Ihre Regierung damals bereits so vorgesehen hat. Vor diesem Hintergrund ist ihre Erregung an dieser Stelle nicht mehr als Populismus.

Wir alle sehen in dem verstärken Einsatz von E-Learning eine Chance und halten es für geboten, diesen Weg an den BBSen weiter zu bestreiten. Berufsorientierung muss stärker in die allgemeinbildenden Schulen integriert werden und das Zusammenwirken von BBSen und allgemeinbildenden Schulen hierbei stärker ausgebaut werden. Wir alle begrüßen die Arbeit der Jugendberufsagenturen und wollen diese weiterentwickeln. Allgemein ist die Schaffung von Übergangssystemen, damit kein Jugendlicher verloren geht, ein Fokus, den wir noch viel stärker in diesem Bereich setzen müssen. Und es gibt noch viele weitere Punkte in unseren Anträgen, bei denen wir die Handlungsbedarfe und Lösungsansätze in gleicher Weise sehen, ich möchte hier mit Blick auf meine eigene Redezeit auf den Kollegen Bratmann verweisen, der hierzu umfänglich ausgeführt hat.

Aber wo liegt jetzt der Hase im Pfeffer? Ein großer Punkt, bei dem wir nicht übereingekommen sind, ist die Schaffung eines Rechts auf Ausbildung für jeden Jugendlichen in Niedersachsen. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition lehnen es ab, staatlich finanziert unversorgten Jugendlichen Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen. Wir halten diese Einschätzung für einen massiven Fehler. Unsere Überzeugung ist, dass ausbildungsreife Jugendliche, die sich mehrfach erfolglos beworben haben, nach einem halben Jahr die Möglichkeit erhalten müssen, eine Ausbildung zu beginnen, um nicht in einer Spirale stecken zu bleiben, aus der sie irgendwann nicht mehr rauskommen. Wir werden deshalb das Recht aus Ausbildung schrittweise umsetzen und dieses über Modellprojekte in einzelnen Regionen starten.

Aber an diesem Punkt ist unser gemeinsamer Antrag auch nicht gescheitert, so weit unsere Positionen hier auch auseinanderliegen. Denn wir hatten Ihnen angeboten, diesen Teil aus dem Antrag herauszunehmen und eigenständig abzustimmen. Was war also das finale Problem?

Wenn Sie mich fragen, liebe Kollegen Bock und Försterling, dann ist das Hauptproblem, dass Sie der Versuchung nicht widerstehen konnten, aus dem schwierigen Thema der Stellenbewirtschaftung an den Berufsbildenden Schulen durch Populismus politisches Kapital zu schlagen und sich hierbei aus der Verantwortung zu stehlen. Denn auch Sie wissen, dass das alte System der Stellenbewirtschaftung deutliche Schwierigkeiten aufgewiesen hat und dass man dieses System nicht eins zu eins so weiterführen konnte. In unseren Gesprächen haben auch Sie mehr als deutlich gemacht, dass Sie die Schwächen, die die Reserven jeder einzelnen Schule für Krankheits- und Elternzeiten, aber auch um den einen guten Referendaren oder Praktiker in einem halben Jahr einstellen zu können, durch unbesetzte Stellen aufweisen, sehen. Und auch Sie haben gesagt, dass es an den BBSen ganz unterschiedlich ist, wie die Schulleitungen das alte System bewerten. Alle vier Fraktionen haben zusammengesessen und gesagt: „Das ist wohl richtig, eins zu eins kann man das alte System nicht nehmen“, denn die Analyse, dass dieses System schwächen hat, haben wir alle geteilt. Und auch, dass der Übergang von den ProReKo-Schulen auf die übrigen ReKo-Schulen nicht reibungslos geklappt hat, wurde von uns allen so gesehen.

Und wenn Sie sich jetzt hier hinstellen und sagen, sie wollen Back to the roots, dann kann ich dazu nicht mehr sagen, als dass Sie sich hier aus der Verantwortung stehlen. Sie sehen genauso wie wir ein Problem, aber anstatt sich mit uns auf einen Prozess der Weiterentwicklung und einen Weg verständigen, wie man größtmögliche Eigenständigkeit für die jeweiligen BBSen erreicht und gleichzeitig eine Koordinierung der Stellenbedarfe durch eine gemeinsame Poolbildung erreichen kann, begeben Sie sich auf die einfachste Rolle, die die Opposition einnehmen kann. Sie rufen: „Alles ist schlecht und früher war alles besser.“ Ich möchte an dieser Stelle darüber sehr mein Bedauern zum Ausdruck bringen und möchte betonen, dass ich uns allen gemeinsam an dieser Stelle sehr viel mehr zugetraut habe. Aber nun gut, es ist wie es ist. Dann gehen wir den Weg der Prozessoptimierung alleine und tragen die Verantwortung rot-grün: Ganz ehrlich, das liegt uns ohnehin sehr gut.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

Antrag Berufliche Bildung gemeinsam stärken Drs. 17/5386

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