Rede Ina Korter: Zweite Beratung Haushalt 2005 ? Kultus (Schule)

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Anrede,
leidet Herr Busemann unter Rechenschwäche, unter Dyskalkulie? Das frage ich mich, wenn ich mir den Kultushaushalt anschaue. Es gelingt dem Minister einfach nicht, sein Zahlenwerk in Einklang zu bringen mit den vollmundigen Ankündigungen und mit der großspurigen Selbstdarstellung seiner Schulpolitik.
Seine Gleichung geht einfach nicht auf!
Was behauptet Herr Busemann nicht alles zu tun: für mehr frühkindliche Bildung, für mehr Sprachförderung und für mehr individuelle Förderung der einzelnen Schülerinnen und Schüler.
Im Kultushaushalt ist das alles nicht zu finden. Nichts für die frühkindliche Bildung. Und nichts für die Sprachförderung.
Die alte Landesregierung hatte noch 8 Millionen Euro pro Jahr für die Sprachförderung für 3 – 6-Jährige im Kindergarten vorgesehen.
Das war zu wenig, denn damit konnte Sprachförderung nur angeboten werden, wenn in einer Kindergartengruppe mindestens 40% der Kinder besondere Sprachprobleme hatten.
Dringend nötig wäre die Förderung schon bei einem Anteil von 20% der Kinder mit Sprachproblemen.
Aber immerhin, ein Einstieg war gemacht.
Die neue Landesregierung hat die Summe für 2004 gleich wieder um 10% gekürzt. In vielen Kindergärten musste die gerade neu entwickelte Sprachförderung wieder eingestellt werden.
2005 werden jetzt noch einmal 2.4 Mio. Euro gestrichen.
Aber Ihnen, Herr Minister Busemann, ist es nicht peinlich, sich für die Sprachförderung in den niedersächsischen Kindergärten selbst zu loben. Wahrscheinlich werden Sie auch dann noch prahlen, wenn nur noch in einem einzigen Kindergarten Sprachförderung vom Land finanziert wird.
Bei der Sprachförderung vor der Einschulung ist es nicht besser:
Auch hier lobt sich der Minister gern und häufig für ein Programm, das er von der Vorgängerregierung übernommen hat. Doch nichts hat er bislang getan, um die offenkundigen Schwächen dieses Programms zu beheben.
Das Sprachförderprogramm beschränkt sich auf das letzte halbe Jahr vor der Einschulung und selbst in diesem halben Jahr fällt sie wegen Lehrer- und Vertretungskräftemangel an den Grundschulen viel zu oft aus.
Damit bin ich schon beim Thema Unterrichtsversorgung.
Hier erleben wir geradezu ein Lehrstück in Sachen Verschleierung.
Vor der Wahl hat die CDU lautstark eine gesetzliche Unterrichtsgarantie gefordert - nach der Wahl war davon keine Rede mehr.
Aber dafür hat Minister Busemann sich selbst auf seine Schultern geklopft für die 2.500 neuen Lehrerstellen, die er angeblich geschaffen hat - 2.500 Stellen, das sieht ja mal nach einer soliden Zahl aus.
Aber was ist tatsächlich aus seiner "Herkulesnummer" geworden?
Gleich zu Anfang hat die schwarzgelbe Regierung von den 2.500 Stellen die 700 wieder abgezogen, die die SPD-Regierung noch kurz vor der Wahl geschaffen hatte. Übrig waren nur noch 1.800 Stellen. Im kommenden Haushalt will die Landesregierung 40 Millionen € bei den Lehrern sparen. Dafür werde keine einzige Stelle gestrichen, verspricht uns der Minister.
Aber wie sollen die 40 Millionen € dann gespart werden?
Es wird so laufen, dass einfach eine Menge Stellen unbesetzt bleiben.
Für die Lehrkräfte, die zum 1. Februar aus dem Schuldienst ausscheiden, wird es mindestens bis zum Sommer keinen Ersatz geben, vielleicht sogar bis zum 1. November nicht.
Und dabei geht es nicht um Einzelfälle. Bis zum 1. November müssten über 1 000 Stellen vakant bleiben, um 40 Millionen Euro einzusparen.
Wenn die Stellen nur 6 Monate, also bis zu den Sommerferien unbesetzt bleiben sollen, geht es um fast 1.800 Stellen, um auf die Einsparsumme von 40 Millionen € zu kommen.
Das heißt, die gesamten 1.800 Stellen, die die Landesregierung geschaffen hat, werden für ein halbes Jahr unbesetzt bleiben.
Ihre selbstgefällige Herkulesnummer ist eine Luftnummer, Herr Minister.
Das Versprechen einer 100%igen Unterrichtsversorgung kann die Landesregierung ohnehin nur rechnerisch erfüllen, weil sie einfach die Bedarfszahlen verändert hat. Was heute nach dem neuen Unterrichtsversorgungserlass 100% ist, wären nach dem alten Erlass nur 97,2% gewesen.
Und da können wir dann doch nicht mehr von Dyskalkulie reden, Herr Minister. Was Sie machen ist eine trickreiche Täuschung der Öffentlichkeit, die mit Wahrheit und Klarheit nichts mehr zu tun hat!
Sie haben die Klassenfrequenzen bis auf 32 heraufgesetzt und Förder- und Zusatzstunden gestrichen.
Wenn man sieht, wie viele Lehrerstunden pro Schüler und Schülerin tatsächlich zur Verfügung stehen, sind wir bereits heute wieder auf dem gleichen schlechten Stand wie vor der Wahl.
Anrede,
in der vorigen Woche ist uns der neuste PISA - Bericht vorgelegt worden.
Wir mussten wieder mal zur Kenntnis nehmen, dass in unserem Schulsystem Kinder aus benachteiligten sozialen Verhältnissen so schlechte Chancen haben wie in keinem anderen Land.
Unsere Gesellschaft leistet sich noch immer den skandalösen Luxus, mehr als 20% ihrer Jugendlichen ohne das nötigste Rüstzeug aus der Schule zu entlassen.
Der Kultusminister aber weigert sich, auch nur den kleinsten Gedanken daran zuzulassen, dass unsere überkommene gegliederte Schulstruktur mitverantwortlich sein könnte für dieses katastrophale PISA - Ergebnis.
Der Minister prahlt lieber mit der intensiven Sprachförderung vor der Schule und individuellen Förderung in der Schule.
Über die Sprachförderung vor der Schule habe ich schon gesprochen. Das ist noch zu wenig und nicht effizient genug.
Wo aber bleibt die individuelle Förderung in der Schule?
Der Philologenverband hat vor kurzem dringend mehr Förderstunden angemahnt. Die Antwort des Ministers war kühl: Eine Förderstunde pro Klasse sei ganz unbezahlbar.
Wer so etwas fordere, sei selber schuld, wenn eine Arbeitszeiterhöhung wieder in die Diskussion komme. So stopft der Kultusminister selbst seinen Freunden den Mund und bereitet langsam die Verlängerung der Arbeitszeit vor. In die Grundsatzerlasse für die verschiedenen Schulformen hat der Minister hineinschreiben lassen, dass für jede Schülerin und jeden Schüler ein individuelles Förderkonzept festgelegt werden soll.
Aber wo bleiben die Ressourcen, um Förderkonzepte auch umzusetzen? Realität ist, dass in vielen Klassen jetzt 32 Schülerinnen und Schüler und mehr sitzen und die Lehrer weniger Zeit haben denn je, sich um die einzelnen Kinder zu kümmern.
Wir haben einen Kultusminister, der Jurist ist und nicht Pädagoge, und dieser Kultusminister scheint doch allzu sehr an Papier und an seine Paragrafen zu glauben.
Aber Paragrafen sind nicht von selber wirksam, wenn man für ihre Umsetzung nichts tut.
Der Kultusminister hat auch einen Paragrafen ins Gesetz schreiben lassen, wonach Schülerinnen und Schüler einen Anspruch haben, bei entsprechenden Leistungen in höhere Schulformen aufzusteigen.
Und nun behaupten Sie, Herr Minister, unser Schulsystem sei nach oben durchlässig. So einfach ist das. Um die Schule nach oben durchlässig zu machen, muss man nur einen neuen Paragrafen ins Gesetz schreiben oder eine Verordnung erlassen.
Aus den Schulen hören wir, dass schon jetzt, nach weniger als einem halben Jahr, die ersten Kinder wieder auf eine Hauptschule wechseln müssen.
Das ist die Durchlässigkeit nach unten, die wir schon ein halbes Jahr nach Ihrer großartigen Schulreform erleben müssen!
Von Förderung haben diese Kinder nichts erlebt, sondern nur von Aussortierung.
Herr Minister, von Finnland wollen Sie nicht lernen, dass Kinder besser gemeinsam lernen.
Dann sollten Sie wenigstens lernen, dass die Kinder in Finnland auch deshalb besser vorankommen, weil dort jeder Schule zusätzliche Fachkräfte für die Förderung zur Verfügung stehen.
Das ist viel zu teuer, werden Sie wieder sagen.
Gleichzeitig verschwenden Sie aber ungeheure Beträge, die für eine bessere Förderung eingesetzt werden könnten.
Rund 80 Millionen € könnten jährlich gespart werden, wenn nicht jeder dritte Schüler mindestens einmal in seiner Schulzeit sitzenbleiben würde.
Es gibt genügend Studien, die belegen, dass Sitzenbleiben den Schülerinnen und Schülern auf Dauer nicht hilft, und trotzdem wird starrsinnig an dieser überkommenen Institution festgehalten.
Und auch bei den Lehrkräften verschleudern Sie ungeheure Beträge. Kosten in Höhe von mehr als 100 Millionen € pro Jahr entstehen dem Land, weil ein Großteil der Lehrkräfte vorzeitig in Frühpension gehen muss.
Trotzdem fehlen noch immer effektive Programme zur Gesunderhaltung der Lehrkräfte.
Vielleicht liegt das auch daran, dass der Kultusminister die Pensionen nicht bezahlen muss. Die Frühpensionierungen tauchen im Kultushaushalt nicht auf. Da fühlt der Minister sich für diese Kosten offenbar auch nicht verantwortlich.
Für eine gute Schule, Herr Minister, müssen Sie auch in die Personalentwicklung investieren.
Wenn ein Unternehmen mit einem Personaletat von 3,2 Mrd. Euro nur 2,6 Mio. für Fortbildung investieren würde, von denen auch noch 1 Mio. vorher gesperrt sind, dann wäre das eine Katastrophe. Bei unseren Schulen reicht Ihnen das offenbar!
Herr Minister, Sie sagen immer, nach PISA kommt es vor allem auf die Verbesserung der Unterrichtsqualität an.
Aber woher soll denn die bessere Qualität kommen, wenn Sie gleichzeitig die Lehrerfortbildung fast auf Null herunterfahren?
Aber vielleicht glauben Sie, es reicht auch hier, einfach einen weiteren Paragrafen in das Schulgesetz hineinzuschreiben: Der Unterricht soll besser werden?
Herr Minister, Sie haben in der Schulpolitik bislang mächtig dicke Backen gemacht.
Aber bis heute haben Sie es nur geschafft, eine Schulform, die Orientierungsstufe, in Rekordzeit zu zerschlagen.
Sie sind überhaupt der Meister des Zerschlagens und nicht des Aufbaus: Orientierungsstufe zerschlagen, die Kultusministerkonferenz am liebsten auch, Hausaufgabenhilfe, Lernmittelfreiheit und nun die Landeszentrale für politische Bildung ersatzlos abschaffen.
Sie haben bislang nichts auf den Weg gebracht, was allen Ernstes als nachhaltige Qualitätsverbesserung bezeichnet werden könnte.
Ihr Ehrgeiz, jede Woche der Landespresse eine neue schulpolitische Großtat verkünden zu wollen, hat Sie zu hektischem Aktionismus verleitet.
Ob bei der Abschaffung der Orientierungsstufe, für deren Nachfolge es noch heute keine Rahmenrichtlinien gibt, bei der Abschaffung der Lernmittelfreiheit und der Einführung Ihres chaotischen Mietmodells für Schulbücher, ob bei der Einführung des Abiturs nach Klasse 12, der Oberstufenreform, KMK oder Rechtschreibreform, Sie haben sich mehr und mehr verzettelt, um jede Woche neue Schlagzeilen zu ergattern.
Es ist aber nicht die erste Aufgabe des Kultusministers sich um seine Profilierung zu kümmern, sondern Unterrichts- und Bildungsqualität in einem nachhaltigen Prozess zu verbessern.
Als ich kürzlich in Hamburg war, ist mir dort ein Slogan auf den Plakaten aufgefallen, der umgewandelt auch für Niedersachsen passt:
CDU Schulpolitik in Niedersachsen – Wo bleibt eigentlich die Bildung?

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