Rede Ina Korter: Situation und Perspektiven der beruflichen Bildung in Niedersachsen

Anrede,

die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der SPD macht deutlich: Diese Landesregierung hat kein wirksames Konzept, um die Probleme der beruflichen Bildung in Niedersachsen zu lösen.

Ja, sie ist offensichtlich nicht einmal in der Lage, die Probleme der beruflichen Bildung überhaupt in ihrer ganzen Dimension  zu erkennen.

In diesem Jahr wird die Zahl der Jugendlichen, die keine Lehrstelle bekommen, eine neue Rekordmarke erreichen. Bundesweit ist von 40.000 bis 50.000 Jugendlichen die Rede, die bei der Ausbildungsplatzsuche leer ausgehen könnten.

Auch in Niedersachsen hat sich die Lücke zwischen freien Lehrstellen und Bewerbern von April auf Mai dieses Jahres bereits verdoppelt.

Aber die Landesregierung hat die Dreistigkeit sich hier hinzustellen und zu sagen, der Pakt für Ausbildung sei ein Erfolg.

Das ist eine Verhöhnung aller Jugendlichen, die in diesem Jahr keine Lehrstelle finden werden.

Vor wenigen Wochen wurde von der KMK der Bildungsbericht für Deutschland vorgestellt. In diesem Bericht wird die dramatische Lage in der beruflichen Ausbildung deutlich.

Der Bericht weist darauf hin, dass inzwischen ein großer Teil der Jugendlichen, die in das Berufsbildungssystem einsteigen, weder eine duale noch eine vollzeitschulische Ausbildung aufnehmen, die zu einem Berufsabschluss führen.

40% aller Jugendlichen gehen erst einmal in so genannte Warteschleifen, in Ausbildungsangebote, die zu keinem Berufsabschluss führen.

In Niedersachsen ist dieser Anteil mit 46,2% sogar ganz besonders hoch.

Für fast die Hälfte der Ausbildungsanfänger beginnt damit in Niedersachsen der Start ins Berufsleben mit Unsicherheit und ohne konkrete Berufsbildungsperspektive.

Besonders betroffen davon sind die Absolventinnen von Hauptschulen, die in Niedersachsen sogar zu 68 % berufliche Vollzeitschulformen besuchen.

Die Ursachen für die dramatische Lage der beruflichen Bildung sind auf zwei Seiten zu suchen:

Auf der einen Seite bei der ausbildenden Wirtschaft, auf der anderen Seite aber auch bei den allgemein bildenden Schulen, die den Jugendlichen die notwendigen Kompetenzen für eine erfolgreiche Berufsbildung vermitteln sollen.

Was das rückläufige Ausbildungsplatzangebot der Wirtschaft angeht, so sind die Gründe sicherlich vielfältig und in der Antwort der Landesregierung auch beschrieben.

Sie liegen z.B. in der zunehmenden Spezialisierung vieler Betriebe, die eine umfassende Ausbildung erschwert, aber auch in der zurückgehenden Zahl der Arbeitsplätze insgesamt.

 Anrede

es ist jedoch nicht hinzunehmen, dass gerade die großen DAX-Unternehmen zum Teil derart  wenig ausbilden.

Während die Ausbildungsquote insgesamt bei 6,4% liegt, liegt sie bei einigen dieser Unternehmen zum Teil erheblich darunter.

Bei dem großen niedersächsischen Unternehmen mit Landesanteilen, bei VW, finden wir gerade mal eine Ausbildungsquote von 4,4%.

Herr Wulff, ich habe eigentlich gedacht, Ausbildungsplätze, das sei immer Chefsache für einen Ministerpräsidenten.

Wie ist das eigentlich bei Ihnen?

Und es gibt ein großes Unternehmen, das noch weniger ausbildet und mit seiner Quote am unteren Rand rangiert, nämlich die Conti mit gerade mal 3,9 %iger Ausbildungsquote.

Herr Wulff, muss der Landtag Sie erst auffordern, deutlicher das Landesinteresse unserer Jugendlichen  für eine Verbesserung der Ausbildungsquote zu vertreten?

Anrede,

wenn die Wirtschaft ihrer Verantwortung nicht nachkommt, dann muss verstärkt über Instrumente wie eine Ausbildungsumlage für nicht ausbildende Betriebe nachgedacht werden.

Die andere Seite ist die Frage, ob die allgemein bildenden Schulen den Jugendlichen die notwendigen Kompetenzen mitgeben, die sie für eine berufliche Ausbildung brauchen.

Die Landesregierung wird nicht müde, sich selbst für ihr so genanntes Hauptschulprofilierungsprogramm zu rühmen.

Ich habe gar nicht nachgezählt, wie oft Sie sich selbst in der Antwort auf die Große Anfrage dafür gelobt haben.

Aber auch wenn die Landesregierung sich noch so oft gebetsmühlenhaft wiederholt:

Sie kann nicht davon ablenken, dass ihre Antwort an den Problemen inzwischen vollkommen vorbeigeht.

Denn die Hauptschule ist keineswegs mehr die Schule, die an erster Stelle die Jugendlichen auf eine berufliche Ausbildung vorbereitet. Die meisten Schülerinnen und Schüler, die eine Berufsausbildung aufnehmen, kommen von der Realschule, und selbst vom Gymnasium kommen annähernd genauso viele Jugendliche in die duale Ausbildung wie von der Hauptschule.

Von allen Ausbildungsverträgen in der dualen Ausbildung wurden im Jahre 2005 nur noch 17, 9 % mit AbsolventInnen von Hauptschulen abgeschlossen.

Umgekehrt ist es so, dass die Chance für HauptschulabsolventInnen immer geringer wird, in eine Berufsausbildung hineinzukommen.

Anrede,

ich habe in letzter Zeit eine Reihe von Hauptschulen  besucht.

Und diese Hauptschulen konnten noch so gut sein, sie konnten mit noch so viel Engagement auch Kontakte zur ausbildenden Wirtschaft knüpfen – die Auskünfte, die ich bekommen habe waren immer gleich: nur eine äußerst kleine Minderheit der SchulabgängerInnen hat überhaupt eine Chance auf eine Lehrstelle.

Besonders dramatisch ist dabei die Situation der ausländischen Jugendlichen.

Herr Busemann, Sie machen dafür vor allem diese Jugendlichen selbst verantwortlich.

Eine ganz andere Sprache spricht da der Bildungsbericht.

Dort wird darauf hingewiesen, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund, die einen Ausbildungsplatz erreichen wollen, im Durchschnitt deutlich bessere schulische Vorleistungen erbringen müssen als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund.

Herr Busemann, da helfen auch keine 60 bis 80 Praxistage an den Hauptschulen zu Lasten des allgemein bildenden Unterrichts, wenn Sie dann hinterher eine Berufseinstiegsklasse einführen, in der das, was in Klasse 8 und 9 versäumt worden ist, nämlich Mathe, Deutsch und Englisch, wieder nachgeholt werden muss.

Die Landesregierung geht mit ihrem veralteten Schulsystem, vor allem mit ihrem starrsinnigen Festhalten an der Hauptschule vollkommen an den Erfordernissen vorbei.

Dieses angeblich begabungsgerechte Schulsystem bereitet die Jugendlichen nicht passgenau auf die Anforderungen der Arbeitswelt vor, sondern im Gegenteil, es führt frühzeitig zu einer Demotivierung der Jugendlichen.

Der Präsident des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, hat kürzlich unter der Überschrift "Alte Ideologien" in der Wirtschaftswoche erklärt:

" Der Weg, auf dem Deutschland bislang versucht hat, Gleichheit und Gerechtigkeit im Inneren zu erzielen, ist falsch. Weil wir durch unser Schulsystem die Chancengleichheit mit den Füßen treten, brauchen wir einen exzessiven Sozialstaat um das wünschenswerte Maß an Gleichheit wenigstens im Nachhinein herzustellen. (”¦) Das ist teuer und leistungsfeindlich. (”¦) Wie viel besser wäre es doch, verringerten wir die Ungleichheit im Vorhinein bei der Ausbildung unserer Schüler."

Herr Busemann, es reicht nicht, nur immer neue, teure Warteschleifen zu erfinden, sondern wir brauchen einen grundlegenden Umbau unseres Bildungssystems, damit alle Kinder und Jugendlichen von Anfang an gut gefördert werden.

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