Rede Ina Korter: Schulreform in Niedersachsen - Elternwillen stärken und nicht einschränken

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Anrede,
es gibt einen Begriff, den wir in den letzten Tagen und im ersten Plenum bei der konstituierenden Sitzung sehr oft gehört haben- das ist der Begriff "Freiheit".
Freiheit, das sollte das Leitmotiv der neuen Landespolitik von CDU und FDP sein.
Der Schulgesetzentwurf, den Sie gemeinsam so sehr schnell eingebracht haben, meine Damen und Herren von der Koalition, spricht eine ganz andere Sprache.
Schnell sein ist eben nicht alles. Man muss auch gut sein und glaubwürdig. Wer so vollmundig von Freiheit redet, muss sich an seinem Anspruch messen lassen.
Meine Damen und Herren von CDU und FDP, anstatt Freiheit der Entscheidung zuzulassen, versuchen Sie in Ihrem Schulgesetzentwurf die freie Entscheidung der Eltern, welche Schule ihr Kind besuchen soll, massiv einzuschränken.
In der 4. Klasse soll künftig wahrscheinlich eine Lehrerin entscheiden, welche der drei von ihnen klar getrennten Schulformen Gymnasium, Realschule oder Hauptschule ein Kind ab Klasse 5 besuchen soll. Die Entscheidung über die Schullaufbahn eines Kindes trifft nicht mehr ein Kollegium aus mehreren LehrerInnen nach zwei Jahren wie es in der Orientierungsstufe praktiziert wurde, sondern vermutlich eine Klassenlehrerin.
Schicken die Eltern dann aber ihr Kind gegen die Empfehlung der Grundschule auf ein Gymnasium oder eine Realschule und das Kind schafft im ersten Jahr nicht das Klassenziel, wird es von der Klassenkonferenz wieder abgeschult in eine andere Schulform. Nach nur einem Schuljahr ist Ihrer Auffassung nach bereits klar zu erkennen, ob ein Kind für das Gymnasium oder die Realschule geeignet ist oder nicht, ob es "begabungsgerecht" beschult wird.
Das ist aus Ihrer Sicht logisch, weil Sie ja von einem statischen Begabungsbegriff ausgehen.
Die 5. Klasse wird damit zu einer verschärften Auslesestufe. In diesem einen Jahr, in dem sich die SchülerInnen in einer ganz neuen Lernumgebung zurechtfinden müssen, werden sie einem scharfen Überprüfungsdruck ausgesetzt, der über ihren ganzen weiteren Bildungsweg entscheidet. Viele werden sich hier schon nach einem Jahr als Gescheiterte erleben. Und dies in einem Alter, in dem sich Kinder bereits in der Vorpubertät befinden und für sie ohnehin vieles im Umbruch ist. In diesem Alter brauchen sie Unterstützung und Stabilisierung, aber nicht verschärfte Auslese.
Wir gehen davon aus, dass Kinder sich auch später entwickeln können, erst später anfangen, sich für Schule, für besondere Fächer zu interessieren, das betrifft besonders Jungen.
Meine Damen und Herren aus der Koalition, nennen Sie mir doch eine seriöse wissenschaftliche Untersuchung, die belegt, dass die Leistungspotentiale von Schülerinnen und Schülern bereits klar und endgültig in der 5. Klasse erkennbar sind. Dazu können Sie vermutlich nichts sagen, und dazu gibt es auch in der Gesetzesbegründung nichts.
Bisher habe ich außer Ihrem vagen Begriff des Kindeswohls nichts zu diesem Punkt gehört. Dieses legen aber nicht Sie mit Ihrem traditionellen Gesellschaftsbild fest.
Ich verstehe unter Kindeswohl nicht die frühe Auslese. Die Schule, in der das Kind mit Freude lernt, in der es gefordert und gefördert wird, in der es lange die Chance offengehalten bekommt, einen möglichst qualifizierten Abschluss zu erreichen, in der es keine Diskriminierung und Trennung von den anderen Kindern gibt, das ist aus meiner Sicht eine Schule, die sich am Kind orientiert, aber die wollen Sie ja schon überhaupt nicht.
Nein, Sie wollen die Eltern und Kinder möglichst nach Ihrem Gesellschaftsmodell einschränken und darauf festlegen. Sie verbieten nicht nur die Kooperativen Haupt- und Realschulen, das ist schon wirklich unverantwortlich, sondern auch neue kooperative und integrierte Gesamtschulen, die für viele Eltern und Kinder die einzige Hoffnung darstellen, mehr Durchlässigkeit und gerechtere Bildungschancen zu erreichen. Sie verbieten diese Schulformen, obwohl sie von einer großen Zahl der Eltern gewünscht werden und noch zahlreiche Anträge auf Einrichtung vorliegen, obwohl viel mehr Anmeldungen für Gesamtschulen vorliegen als Plätze da sind, sogar in Osnabrück, Herr Ministerpräsident, an der KGS Schinkel zum Beispiel.
Wo bleibt da Ihre vielzitierte Freiheit, meine Damen und Herren von der FDP? Freiheit heißt doch auch die freie Schulwahl.
Das neue Schulgesetz von schwarz-gelb ist nicht nur rückwärtsgewandt, es schränkt die Bildungslandschaft in Niedersachsen auch derart ein, dass wir fürchten müssen, dass unser Bundesland noch weiter von bundesweiten und internationalen Standards abgekoppelt wird.
Sie wissen genau, dass nicht nur wir eine frühe Selektion der Kinder ablehnen, sondern auch Jürgen Baumert vom Max-Planck-Institut, der McKinsey-Chef Jürgen Kluge, um nicht nur wieder die Handwerkskammer Baden-Württemberg ins Feld zu führen, der DGB und zahlreiche andere Verbände, die ich hier nicht alle aufzählen möchte. Und auch die Ergebnisse der IGLU-Studie werden uns möglicherweise darin bestätigen.
Wer sich derart über die Entscheidung von Eltern hinwegsetzt, die das Beste für ihre Kinder wollen und längst wissen, welche Konsequenzen nach PISA von ErziehungswissenschaftlerInnen gefordert werden, der muss sich nicht wundern, wenn zahlreiche Eltern in Niedersachsen diesen Schulgesetzentwurf scharf kritisieren und bekämpfen. Wir werden diese Kritik unterstützen und fachlich untermauern, damit Sie, meine Damen und Herren von der CDU und FDP, endlich merken, dass Sie mit Ihrer Schulpolitik auf dem falschen Weg sind.
Meine Damen und Herren, unser Antrag verfolgt das Ziel, den Elternwillen zu stärken und nicht einzuschränken. Sie laufen mit Ihrem Gesetz in eine andere Richtung.
Nehmen Sie sich doch einfach die Freiheit und korrigieren Sie Ihren Gesetzentwurf.


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